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Ausgabe 0804.pdf - Theater-Zytig

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SPoTlIchT i SchluSSaPPlauS<br />

der Vorhang<br />

der Schlussbeifall ist gelegentlich<br />

das dankeschön fürs aufhören<br />

hubert von Meyerinck lebte<br />

nach der Trennung seiner eltern<br />

bei der Mutter . Sie brachte viel<br />

Verständnis auf für den früh erwachten<br />

Wunsch ihres Sohnes,<br />

Schauspieler zu werden . Bereits<br />

als Schüler lernte Meyerinck<br />

ganze rollen auswendig, und<br />

die Mutter musste bei seinen<br />

theatralischen ergüssen das<br />

Publikum ersetzen .<br />

eines Tages deklamierte<br />

hupsi – wie er genannt wurde<br />

– den claudio aus hugo von<br />

hofmannsthals «der Tor und<br />

der Tod» . die Mutter sah dem<br />

Schauspiel schweigend zu, bis<br />

der kunstbesessene Sprössling<br />

sich in ekstase auf dem<br />

Wohnzimmerteppich wälzte und<br />

dabei einen hausschuh verlor .<br />

«aber Junge, du hast ja löcher<br />

in den Strümpfen!»<br />

grausam ernüchtert und beleidigt<br />

verliess er die Stätte<br />

seines Wirkens .<br />

30<br />

TheaTer-ZyTig 0804<br />

Winfried Hönes<br />

im inflationsjahr 1923 war Max<br />

Burghardt als jugendlicher liebhaber<br />

am rostocker <strong>Theater</strong><br />

verpflichtet . Zur gleichen Zeit<br />

spielten dort alexander Winds,<br />

hermann Weisse und Piese Mertens,<br />

eine echte Berlinerin . die<br />

vier verband eine enge Freundschaft,<br />

die noch verstärkt<br />

wurde durch die gemeinsame<br />

Freude am Segelsport .<br />

die gage war knapp bemessen,<br />

täglich stiegen die Preise . So<br />

wurde jede gelegenheit einer<br />

einladung zu einem gratisessen<br />

bei gönnerhaften <strong>Theater</strong>liebhabern<br />

dankbar entgegengenommen<br />

und die schauspielerischen<br />

Verpflichtungen mit fadenscheinigen<br />

entschuldigungen<br />

abgesagt .<br />

die <strong>Theater</strong>gesetze waren hart .<br />

Ohne urlaub keine entfernung<br />

vom Ort . aber es gab Möglichkeiten,<br />

eine Vorstellung ohne<br />

persönliches risiko ausfallen<br />

zu lassen . – Wir sassen zu viert<br />

auf meiner Bude und ärgerten<br />

uns, eine abendbroteinladung<br />

absagen zu müssen, weil wir<br />

Vorstellung hatten . es gab<br />

einen lächerlichen Schwank . Wir<br />

drei Männer waren mit kleinen<br />

rollen besetzt . Piese spielte<br />

die hauptrolle . Während wir<br />

auf sie warteten, gebar Winds<br />

einen Plan . er sagte: «Piese ist<br />

krank, sie kann heute abend<br />

nicht spielen .» – «Wieso krank?»<br />

fragte ich . – «ich habe sie heute<br />

Mittag doch noch gesprochen»,<br />

meinte Männe . – «und du hast<br />

nicht gesehen, wie blass sie<br />

fällt<br />

war?» – «Ja, etwas blass war<br />

sie .» –<br />

es klopfte . Piese kam herein .<br />

Wir musterten sie . Ja, etwas<br />

blass sah sie aus . Winds sprang<br />

auf und eilte auf sie zu . «du<br />

hast die grippe und läufst<br />

herum . Willst uns wohl alle<br />

anstecken? du musst ins Krankenhaus<br />

.» – «ich, grippe? habe<br />

etwas Kopfschmerzen, aber<br />

grippe, keine Spur .» – «gut,<br />

gut, werden wir gleich haben .»<br />

Winds griff nach seinem hut<br />

und stürzte aus dem Zimmer .<br />

– Bereits nach zehn Minuten<br />

kam er zurück, warf seinen<br />

hut auf den Tisch und sagte<br />

atemlos: «alles erledigt . gleich<br />

kommt der rettungsdienst und<br />

holt dich ab .»<br />

Piese sah nun wirklich blass<br />

aus . «Machst du Witze? es ist<br />

niemand da, der heute abend<br />

einspringen könnte .» – «Meinen<br />

hunger zu stillen, da kann auch<br />

keiner einspringen .»<br />

Von unten ertönten hupsignale .<br />

«Sie sind da .» Winds drängte .<br />

«Zieh dich an und zeige, wie<br />

krank du bist . du bist wirklich<br />

krank .»<br />

es klopfte . Meine Wirtin kam .<br />

Sie machte ein entsetztes<br />

gesicht . Sanitäter folgten ihr<br />

mit einer Trage . Winds erklärte:<br />

«Fräulein Mertens hat schwere<br />

grippe . Sie ist eben aus einer<br />

Ohnmacht erwacht . Sie muss<br />

sofort ins Krankenhaus .»<br />

Piese sagte kein Wort, obwohl<br />

sie sonst nicht auf den Mund<br />

gefallen war . Männe, Weisse<br />

und ich standen verdattert im<br />

hintergrund . Wir nickten nur mit<br />

dem Kopf .<br />

die Trage fand in meinem Zimmer<br />

keinen Platz . eine hälfte<br />

musste im Korridor bleiben .<br />

die Wirtin half Piese, sich auf<br />

die Trage zu legen . die Männer<br />

schimpften wegen der Treppe,<br />

die schmal und wendelartig<br />

nach unten führte . angstvoll beobachteten<br />

wir das drama . aus<br />

allen Türen schauten Bewohner .<br />

hämische Bemerkungen wurden<br />

laut .<br />

die Vorstellung fiel aus . Piese<br />

Mertens musste acht Tage im<br />

Krankenhaus bleiben . etwas<br />

hatte ihr also tatsächlich gefehlt<br />

.<br />

Wir aber machten uns fertig,<br />

um nun doch zum abendessen<br />

zu gehen . Winds rief bei der<br />

Familie an, dass wir wegen Vorstellungsabsage<br />

die einladung<br />

annehmen könnten . das dienstmädchen<br />

meldete sich am<br />

Telefon und sagte, da wir das<br />

abendessen abgesagt hätten,<br />

seien die herrschaften ins <strong>Theater</strong><br />

gefahren . So beschlossen<br />

wir den abend mit den üblichen<br />

Bratkartoffeln .<br />

doch in der regel haben alle<br />

üblen dinge ein Nachspiel .<br />

durch den ausfall Pieses gab es<br />

umbesetzungen . Wir mussten<br />

zusätzlich lernen und probieren<br />

– und aufs Segeln verzichten .<br />

am dessauer <strong>Theater</strong> spielte<br />

emil reubke in dem Stück «der<br />

Klubsessel» den Vater, der<br />

seinem Sohn eine Standpauke<br />

wegen seines allzu lockeren<br />

lebenswandels zu halten hat .<br />

dieser Vater aber war in seiner<br />

Jugendzeit selbst kein Kind von<br />

Traurigkeit gewesen, und so<br />

musste ihm diese Strafpredigt<br />

wahrhaft peinlich sein .<br />

Für reubke war das eine ideale<br />

rolle, und er frönte seiner von<br />

allen Kollegen gefürchteten<br />

leidenschaft des improvisierens<br />

besonders ausgiebig . Vom<br />

rollentext war nicht mehr die<br />

rede, und Max Biedermann als<br />

Sohn wartete vergeblich auf<br />

sein Stichwort . endlich legte<br />

reubke eine Pause ein, um sich<br />

eine Zigarette anzuzünden .<br />

Biedermann ergriff hastig die<br />

gelegenheit: «gestattest du,<br />

lieber Vater, dass ich jetzt auch<br />

mal etwas sage?»

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