Ein Mensch mit Eigenschaften: aber welchen? - Dr. W. Peter ...
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fließender Energie und formt sich in spiraligen Windungen und in floralen<br />
Verzweigungen zu labyrinthischen Konfigurationen, die die kreativen Impulse des<br />
Lebens verkörpern. Hogarths Reduktion bei der Beschreibung einer Grammatik des<br />
Ausdruck auf spezielle Linien, als Formalismus zur Darstellung äußerer<br />
Identitätsmerkmale, kann als frühe Antizipation abstrakter Kunst betrachtet werden.<br />
Im Gegensatz zur Geraden und zum Kreis wird die fließende Wellenlinie, so Hogarth,<br />
vor allem deshalb als die angenehmere empfunden, da sowohl der menschliche<br />
Geist, als auch das Auge an allen Arten von Verwicklung Interesse finden.<br />
“Allegorien und Rätsel [...] vergnügen uns doch, und <strong>mit</strong> was für einen Genuß<br />
verfolgen wir den wohl geknüpften Faden eines Schauspiels oder eines Romans, in<br />
dem die Verwicklung immer weiter zunimmt.” 18 <strong>Ein</strong> knappes Jahrhundert später war<br />
eben dieser Ansatz Grundlage der verwickelten Bilderromane von Rodolphe<br />
Toepffer. Diese entstehen aus einem graphischen Strich, der aufgrund seiner<br />
“Bequemlichkeit” außerordentlich befruchtend ist für die Erfindung. Man könnte<br />
sagen, “[...] daß [er] allein die Segel setzt und zugleich auch die Segel bläst”. 19 Die<br />
autodynamisch-flukturierende Linie entwickelt in ihrer intrinsischen Gestalt<br />
Handlungen bis in minutiöse Details hinein, quasi als Gegenentwurf aus sich selbst<br />
heraus - eine Handlung, die nichts anderes darstellt, als eben diese Linie in ihrer<br />
äußeren, extrinsischen Gestalt: Ariadnefaden und Labyrinth zugleich. Dieses<br />
Verständnis von Handlung bietet eine Alternative zur klassischen Auffassung, die<br />
von einem Erzählfaden ausgeht, der chronolgisch in einigen wenigen<br />
Spannungsbögen abgewickelt wird. Henry James beschreibt diesbezüglich den<br />
Roman in seiner räumlichen Ausdehnung als einen lebendigen Organismus, der vom<br />
“unregelmäßigen Rythmus des Lebens” durchdrungen sei. “Der Roman ist ein Bild”,<br />
heißt es im Essay ‘The Art of Fiction’. “Von allen Bildern ist er das Umfassendste und<br />
das Elastischste.” Seine Plastizität und Elastizität seien unendlich. Gegenüber allen<br />
anderen Gattungen zeichne ihn seine “luxuriöse” Unabhängigkeit von Regeln und<br />
<strong>Ein</strong>schränkungen” aus. <strong>Ein</strong>e Grenze für mögliche Experimente gäbe es nicht, denn<br />
sein Gegenstand sei “das gesamte menschliche Bewußtsein”. 20<br />
Lawrence Sternes epochalem Werk ‘Life and opinions of Tristan Shandy’ ist es zu<br />
verdanken, daß sich der Roman überhaupt <strong>mit</strong> dem Topos des Bewußtseins<br />
verbindet. Beim ‘Shandy’ handelt es sich um ein anarchisches Konstrukt, das sich<br />
ständig zwischen inneren und äußeren Erzählebenen bewegt, ohne dabei eine<br />
chronologische Determination zu beachten. Der Erzählfluß verästelt sich noch ehe er<br />
begonnen hat in ein scheinbar richtungsloses Labyrinth aus Exkursen und<br />
Digressionen. Sterne spielt in seinem Werk gelegentlich auf zwei literarische<br />
Vorläufer an, auf Michel de Montaigne und Jonathan Swift. Letzteren rechnet auch<br />
Hogarth neben Milton und Shakespeare zu den drei Stützen seiner Kunst; Blake<br />
versuchte ihm in seiner Burleske ‘Island in the moon’ nachzueifern. Swifts ‘Tales of a<br />
Tube’ bestehen wie der ‘Shandy’ aus einem amorphen zentrumslosen Gefüge. Es<br />
handelt sich um eine Satire im ursprünglichen Sinn des Wortes: ein “Füllsel,<br />
Gemenge, Potpourrie”. Während jedoch die offene, heterogene Struktur der Satire<br />
eine unpersönliche, extrovertierte Ausrichtung hat, spiegelt sie in den Essays, die als<br />
literarische Gattung von Montaigne begründet wurden, die intime, richtungslose<br />
Verschlungenheit unkontrollierter Gedankenverläufe wider. Sterne bedurfte einer<br />
weiteren Anregung, um das Skizzenhafte, Fragmentarische der Essays in den<br />
größeren Zusammenhang eines “Bewußtseinsromans” zu überführen, und er fand<br />
sie in der sensualistischen Philosophie John Lockes. Wie bereits angedeutet,<br />
erweiterte dieser das menschliche Bewußtsein, das in Descartes’ Philosophie noch