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Ein Mensch mit Eigenschaften: aber welchen? - Dr. W. Peter ...

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Vorstellung eines kohärenten, wesenhaften Ganzen impliziert. Während konkrete<br />

Gedanken vollkommen der Wirklichkeit entsprächen und aus demselben Stoff sind<br />

wie die der Außenwelt, sei das Bewußtsein als ein Wesenhaftes nur eine Chimäre.<br />

“Ich bestreite [...], daß das Wort Bewußtsein für eine Entität steht, betone jedoch<br />

nachdrücklichst, daß es für eine Funktion steht.” 25 In dem sinnesphysiologischen<br />

Arbeiten von Mach und James findet gegen Ende des 19. Jahrhunderts der Versuch<br />

einer Versöhnung des mechanistisch-atomistischen Sensualismus der britischen<br />

Empiristen <strong>mit</strong> der panpsychischen romantischen Gegenreaktion statt: Während bei<br />

Locke und seinen Nachfolgern die Natur, wie Whitehead schreibt, zu einer “öden<br />

Angelegenheit” gerät, “tonlos, geruchlos und farblos; nichts als das endlose und<br />

bedeutungslose Vorbeihuschen von Material” 26 , gehen diese Konzepte in ihren<br />

Analysen vom lebendigen Organismus als Grundlage der Wahrnehmung aus. Das<br />

organismische Paradigma, das in Blakes poetischen Visionen die Raumzeit-<br />

Korpuskeln trägt, gerät zum Bild einer lebendig begriffenen Prozessualität der Natur.<br />

Doch zurück zu Sterne: Die Ablenkung und Zerstreuung der Aufmerksamkeit in<br />

endlos gewundene Kapriolen und Eskapaden der freien Assoziation bildet sowohl die<br />

Grundstruktur des ‘Shandy’, als auch sein selbstreflexives Leitmotiv. Unter expliziter<br />

<strong>Ein</strong>beziehung von Hogarths wenige Jahre zuvor erschienene ‘Analysis’ griff er<br />

dessen Schönheitslinie als Abbild eines “wohlgeknüpften Fadens [...] eines Romans”<br />

auf und synthetisierte sie <strong>mit</strong> Lockes Assoziationskette zum Diagramm seiner ‘cockand-bull-story’<br />

(aus dem franz. ‘coq-á l’âne’ - Gedankensprung), zur potentiell endlos<br />

fortschreitbaren Digressionslinie. 27 Hogarths autonome Linie war da<strong>mit</strong> nicht nur <strong>mit</strong><br />

der Struktur des frei assoziierenden Romans verbunden, sondern darüberhinaus<br />

auch ganz generell <strong>mit</strong> den labyrinthischen Verknüpfungen der Bewußtseinsakte.<br />

Sternes <strong>Ein</strong>fluß auf die romantische Vorstellung von Roman als offenes und<br />

regelloses Kompendium des Bewußtseins war enorm. Friedrich Schlegel<br />

parallelisiert 1799 in seinem erschienen “Brief über den Roman” die Freude, die man<br />

bei der Lektüre von Sternes Romanen empfindet, <strong>mit</strong> dem Genuß bei der<br />

“Betrachtung der witzigen Spielgemälde”, die man “Arabeske nennt”. 28 Sein Begriff<br />

der Arabeske läßt sich direkt auf Hogarths Fluktuationslinie im Bild von Sternes<br />

Digressionsdiagrammen zurückführen. Im weiteren Verlauf seines Briefs bezeichnet<br />

er Arabesken als “eine wesentliche Form der Äußerungsart der Poesie” und neben<br />

der literarischen Form der Bekenntnisse seien sie “die einzigen romantischen<br />

Naturprodukte unseres Zeitalters”. 29<br />

Die Weiterentwicklung der autonomen flukturierenden Linie in Blakes illuminierten<br />

Büchern und Töpffers Bilderromanen, die zeitlich nicht weit auseinanderliegen, war<br />

vor allem durch die Konkurrenz der sprachlichen Elemente behindert. Formal stehen<br />

die illuminierten Bücher in der Tradition der <strong>mit</strong>telalterlichen Buchmalerei. Die<br />

Kombination von Text und Bild ist bei Blake im Gegensatz zu Toepffers<br />

Bilderromanen auf offene Relationen angelegt. Beide Medien sind zwar inhaltlich<br />

verknüpft, bewahren jedoch trotzdem ihre eigenen Identitäten. Blakes angwandtes<br />

drucktechnisches Umkehrverfahren der Reliefätzung, daß als Verbindungselement<br />

die Textpassagen und Zeichnungen vertieft, bedeutet den Versuch, die energetischfließende<br />

Auffassung von Linie <strong>mit</strong> der des statisch Zeichenhaften zu harmonisieren.<br />

Doch Blake scheint den Ausdrucksmöglichkeiten der Sprache eine größere<br />

Präferenz einzuräumen. Dies wird dadurch deutlich, daß es der Kenntnis seiner<br />

Dichtung bedarf, um einen detaillierteren Zugang zu seinen Zeichnungen zu<br />

erhalten. Die Dichtung kann allerdings auch ohne Kenntnis der Illuminationen<br />

ver<strong>mit</strong>telt werden. Der Abstraktionsgehalt erschwert Blakes Körperarchitekturen auf

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