Ein Mensch mit Eigenschaften: aber welchen? - Dr. W. Peter ...
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Die Hochzeit des mechanistischen Weltbildes in der Physiognomik <strong>aber</strong> wurde erst zu einem<br />
späteren Zeitpunkt erreicht: in der Phrenologie. Dafür steht der Name des niederländischen<br />
Arztes <strong>Peter</strong> Camper. Ab 1784 veröffentlichte er eine Reihe von Büchern, in denen er durch<br />
Vermessungen von Schädeln die dominante ethnische Differenz - sicher längst<br />
wahrgenommen und in sprichwörtlichen Volksweisheiten und in der Karikatur kolportiert - nun<br />
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auch zu einem metrisierten Index individueller Differenzierung ausgebaut hat. Der Anatom<br />
Gall und sein Assistent Spurzheim entfachten wenig später (1810) <strong>mit</strong> ihrer Phrenologie eine<br />
ganze Modewelle der charakterlichen Schädelkunde, die von Gottfried Schadow Johann<br />
Gottfried Schadow: ‘National - Physiognomieen oder Beobachtungen über den Unterschied<br />
der Gesichtszüge und die äußere Gestaltung des menschlichen Kopfes, in Umrissen bildlich<br />
dargestellt auf neun und zwanzig Tafeln, als Fortsetzung des Policlet oder Lehre von den<br />
Verhältnissen des menschlichen Körpers’ (Berlin 1835) bis in die Rassentheorie des 20.Jh.<br />
nachwirkte, und die vor allem in der forensischen Anthropologie heute noch eine gewichtige<br />
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Rolle spielt. Voraussetzung <strong>aber</strong> dafür daß Le Brun und Camper, Gall und seine Epigonen<br />
so überzeugend wirken konnten war eine Überzeugung, die wir <strong>mit</strong> dem Namen Linnè und<br />
Buffon verbinden, die sich ihrerseits - ebenso wie Descartes - auf die biblische<br />
Schöpfungsgeschichte berufen konnten: nämlich das Argument von der Konstanz der Arten.<br />
Nach dieser Überzeugung sind alle diese am <strong>Mensch</strong>en und Tier beobachtbaren<br />
Unterschiede ein unveränderliches Zeugnis der unendlichen, <strong>aber</strong> seit der Schöpfung der<br />
Zahl nach konstanten Mannigfaltigkeit der schöpferischen Kraft der Natur. 30<br />
Lange vor Darwin entfaltete sich in der englischen politischen Karikatur - vor diesem<br />
Hintergrund als Karikatur begreifbar - ein Instrument der politischen Diffamierung eines<br />
innenpolitisch unerwünschten Konkurrenten um die Vorherrschaft im Königreich<br />
Großbritannien: die Iren wurden als affen-ähnliche <strong>Mensch</strong>en von unausrottbarer und nicht<br />
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durch kulturelle <strong>Ein</strong>wirkung zu beseitigende Roh- und Dumpfheit charakterisiert. Grade ob<br />
der christlichen Überzeugung von der Konstanz der Arten konnte kein philantropischpädagogisches<br />
Konzept entstehen, das auf der gleichzeitigen Überzeugung von Gleichheit<br />
Aller und angesichts der Kampagne zur weltweiten Abschaffung der Sklaverei, die von den<br />
gleichen Briten betrieben wurde.<br />
Doch in der bildenden Kunst bahnte sich vor allem in Frankreich und Deutschland eine neue<br />
Innerlichkeit als bürgerliche Reaktion auf die als steif und unmenschlich empfundene<br />
höfische Kultur des späten Absolutismus an: die Eroberung eines neuen Kanons zulässiger<br />
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Affekteäußerungen findet sich in den Darstellungen des ‘leidenden Helden’ , des Kindes<br />
und der geschlossenen Familie. Als ursprünglicher und natürlicher (Rousseau, Itard) wurden<br />
deren Affekte-Äußerungen herausgestellt.<br />
Bildbarkeit und Erziehung waren die gesellschaftlichen Instrumente, <strong>mit</strong> denen man hoffte,<br />
den unerwünschten Wirkungen von Temperament-Anlagen Herr zu werden. An der<br />
Grundüberzeugung von der Konstanz der Arten <strong>aber</strong> ändert sich lange nichts. Nur das<br />
Vokabular änderte sich: im Deutschen erschien der erste Text von Christian Tobias Ephraim<br />
Reinhard [1719 - 1792], ‘Beweis, daß die <strong>Mensch</strong>en nur einen einzigen Hauptsinn, nämlich<br />
das Gefühl besitzen.’ (Sorau 1758). Gefühl wird erst danach zum Oberbegriff in der<br />
deutschen Sprache für alles, was bis dahin unter Passionen oder Affekten getrennt oder<br />
subsumiert wurde. 33<br />
Mit dem Buch von Anton Tischbein ‘Unterricht zur gründlichen Erlernung der Mahlerey’ von<br />
1771, zeigt sich bereits eine Konsequenz auch in der Kunstlehre, die sich nachhaltig im<br />
Kommentar einer 1804 in Wien erschienen Übersetzung von Charles Le Bruns ‘Traité sur