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Ein Mensch mit Eigenschaften: aber welchen? - Dr. W. Peter ...

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Frauen, Kinder und alte <strong>Mensch</strong>en beiderlei Geschlechts finden u.a. von dieser Zielsetzung<br />

her keine Erwähnung.<br />

Physiognomik im engeren Sinne (auch als Pathognomik von jener geschieden) ist der<br />

Versuch, aus der Mimik, Farbe der Haut usw. etwas über die gegenwärtige<br />

Gemütsverfassung des Individuums ablesen zu können (Affektsituation). Das begleitet uns<br />

selbstverständlich in unserem Alltag, erscheint dort <strong>aber</strong> als natürliche Situation, als<br />

anthropologische Konstante. Und <strong>mit</strong> dieser mehr oder weniger reflektierten Erfahrung<br />

konstruieren wir angesichts historischer <strong>Mensch</strong>endarstellungen gerne auch Bedeutungen<br />

von Skulpturen und Gemälden, wie es für die Interpretationsgeschichte der Werke<br />

Messerschmidts aufgezeigt wurde, der vom Verrückten innerhalb von wenigen Jahren zum<br />

genialen Konstrukteur in der kunstwissenschaftlichen Literatur avancierte. 14<br />

1.<br />

Der systematische Ort innerhalb der Kunsttheorie.<br />

Im II. Buch seiner 1436 erschienen Schrift ‘De Pictura’ spricht Alberti von der entscheidenden<br />

15<br />

Bedeutung der Darstellung der "motu animi ex motibus corporis" für den Maler der<br />

"historia", die immer nur aus unterscheidbaren Gestalten von <strong>Mensch</strong>en komponiert werden<br />

könnte. Die Reihenfolge nun, die er im Aufbau seiner Darlegung hier, wie auch in seinem<br />

16<br />

Buch ‘De statua’ (um 1466) befolgt finden wir bei Gauricus (‘De Sculptura’) 1504 in gleicher<br />

Weise wieder:<br />

Mit der Umrißlinie wird die Gestalt festgelegt, sie baut sich aus Proportionen auf und wird<br />

durch Beachtung der Spezifika der Körperbewegung zum Abbild des Individuellen in der<br />

bildenden Kunst. Da<strong>mit</strong> ist deutlich, daß physiognomische Kenntnisse an zweiter Stelle der<br />

Wichtigkeit bei der künstlerischen Ausbildung gefordert werden: Nach der Raumdisposition<br />

(Umriß - Perspektive), und Proportion (Differenzierung nach maßhaltigen Größen) kann der<br />

bildenden Künstler nur durch Kenntnis der Zeichen der seelischen Disposition in der Sprache<br />

der Mimik und Körpergestik ein angemessenes Werk verfertigen. Alberti schrieb wie man<br />

sich diese Kenntnisse erwerben kann: durch Beobachtung der Natur. Für die Proportion<br />

verwies er auf den Klassiker Vitruv, die Physiognomie beläßt er ohne eine derartige Autorität,<br />

belegt sie <strong>aber</strong> <strong>mit</strong> Beispielen aus der antiken Kunstkritik und verwies auf Giotto - wohl die<br />

Szene aus Alt St. <strong>Peter</strong> vor Augen, auf jenes Mosaik - um 1300 verfertigt - <strong>mit</strong> der Szene, in<br />

der Christus dem zu ihm übers Meer wandelnden Petrus die Hand entgegenstreckt. 17<br />

Bemerkenswert war dieses Werk wegen der sehr differenziert dargestellten mimischen und<br />

gestischen Reaktionsweisen der übrigen Jünger Jesu im Boot. Seitdem findet sich der Platz<br />

dieser Diskussion an nämlicher Stelle in allen folgenden europäischen Kunsttheorien. 18<br />

Ähnlich, <strong>aber</strong> doch <strong>mit</strong> einer entscheidenden Nuance verändert sieht das Programm der<br />

französischen Akademie den Ort der Unterrichtung und des Studiums der Affektdarstellung<br />

vor: Mit der ‘Conférence’ Charles Le Bruns im Jahre 1668 und den daraus erwachsenden<br />

Publikationen und Kritiken entsteht unter dem Leitbegriff der expression ein genau<br />

umrissenes Feld kunsttheoretischer Debatten, in dem das Problem der angemessenen<br />

Darstellung des mimischen Ausdrucks, das in den voraufgehenden und nachfolgenden<br />

Physiognomik-Traktaten nur nebenbei behandelt wurde, zum Zentrum wurde. Die<br />

Physiognomik diagnostiziert den Charakter-Typus, war und blieb von daher die Grundlage<br />

für jede Äußerung zur bildnerischen Formulierung der mimischen Varianten dieser Typologie.<br />

Da<strong>mit</strong> ist die Physiognomik - wenn es denn einer derartigen Begründung bedarf - legitimer<br />

Forschungsgegenstand der Kunstwissenschaft. Dies ist sie <strong>aber</strong> aus einem weiteren Grunde:<br />

Sicherlich nicht erst seit Alberti, <strong>aber</strong> dort als Fundament jeder bildenden Kunst

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