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Ein Mensch mit Eigenschaften: aber welchen? - Dr. W. Peter ...

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“Wenn ich in meinem Gemälde bin, reflektiere ich nicht, was ich tue. Erst nach einer<br />

‘Kennenlernphase’ sehe ich, was ich getan habe. Ich habe keine Scheu, Änderungen<br />

vorzunehmen, auch Zerstörung, da das Gemälde ja ein Eigenleben hat. Dieses<br />

suche ich durchkommen zu lassen. Nur wenn ich die Fühlung zum Bild verliere,<br />

rutscht es ab ins Chaos.” 61 Timothy J. Clark stellt diesbezüglich fest, daß ein nicht<br />

unwesentliches Moment seiner Kunst die Dissonanz darstellt. “Wie ich sehe, war es<br />

gerade Pollocks Projekt, den Formen von Dissonanzen ebenso wie den Formen von<br />

Totalität die Herrschaft nicht zu ermöglichen. Seine Malerei ist eine Arbeit gegen die<br />

Metapher, gegen die Möglichkeit, daß irgendeines seiner Bilder sich innerhalb eines<br />

einzigen metaphorischen Bezugsrahmen niederläßt. Er will Metaphern durchkreuzen,<br />

er will Konnotationen blockieren, indem er sie vervielfacht. Er beabsichtigt, den<br />

Vorgang der Deutung zu beschleunigen, daß kein einziger Bezugsrahmen mehr<br />

paßt. Formen von Dissonanzen machen Formen von Totalität ungültig [...].” 62<br />

Pollocks Technik des <strong>Dr</strong>ip-Painting kann <strong>mit</strong> Hogarths Idee von der Fluktuationslinie<br />

verglichen werden, der Linie als innerstes Prinzip, als einer imaginären Spielachse<br />

von Innen und Außen. Clarks Darstellung der Dissonanzen bedeutet folglich nichts<br />

anderes als die Befreiung der Linie aus dem Kontext einer Materialität, wie sie in<br />

Hogarths ‘Analysis’ beschrieben worden ist.<br />

Um bei der Malerei zu bleiben, soll im folgenden Francis Bacon als Beispiel dienen,<br />

der im Hinblick auf die Thematik der Perzeptionen durch eine aggressiv<br />

suggerierende Motivik und in besonders signifikanter Weise als ein Maler von<br />

körperlichen Gewaltakten hervorgetreten ist. Hier gibt es zunächst einmal das<br />

Augenmerk auf Bacons Bewußtsein von Tod und Liebe, das bei ihm eines von<br />

existentiell-nihilistischer Trauer darstellt: “Oh, man kann optimistisch sein und<br />

dennoch völlig ohne Hoffnung [...]. Ich war schon immer sehr berührt von Bildern, die<br />

<strong>mit</strong> Schlachthäusern und Fleisch zu tun haben [...]. Es gibt da erstaunliche Photos<br />

von Tieren, die man kurz vor ihrer Schlachtung aufgenommen hat; und auch der<br />

Geruch des Todes gehört dazu.” Schließlich: “<strong>Ein</strong>es der schrecklichen Dinge an der<br />

sogenannten Liebe, besonders für einen Künstler, ist die Vernichtung. [...] Ich selbst<br />

habe dies Gefühl von Sterblichkeit die ganze Zeit. Weil einen das Leben erregt, muß<br />

das Gegenteil, der Tod, wie Schatten von ihm, einen auch erregen.” <strong>Ein</strong>e der<br />

eindrücklichsten Fassungen dieses nihilistischen Augenblickbewußtseins lautet: “Ich<br />

erinnere mich, daß ich Hundescheiße auf dem Pflaster betrachtete, und plötzlich<br />

erkannte ich es, da war es - so ist das Leben. Eigenartigerweise hat es mich<br />

monatelang gequält, bis ich dazu kam, gewissermaßen zu akzeptieren, daß es so ist:<br />

eine Sekunde lang zu existieren und dann weggewischt zu werden wie Fliegen von<br />

der Wand.” 63 Bacon erkennt im Blick des Opfers die <strong>Ein</strong>geschlossenheit in den<br />

Modus der physischen Bedingung selbst. Man kann über den Schrecken<br />

nachdenken, daß heißt <strong>aber</strong> nicht, daß man sich ihm naht. Die Absage an das<br />

Angebot, das Gewaltthema über kulturkritische Legitimierung zu begründen, wird<br />

besonders manifest bei der Diskussion des Themas ‘Papst Innozenz X.’ nach der<br />

Vorlage des Gemäldes von Diego de Silva Velázquez. Bacon lehnt jede religiöse<br />

oder psychoanalytische Implikation ab und konzentriert das Gespräch auf “alle Arten<br />

von Gefühlen und Bereiche der Phantasie” 64 Als Motiv der künstlerischen Ausführung<br />

nennt er die farbliche Intensität als einziges Motiv. Der Begriff der Intensität taucht<br />

immer wieder auf und geht wohl auf Friedrich Nietzsches Auffassung des<br />

leidenschaftlichen Kunstwerks, ohne metaphysische Referenz zurück. Diese<br />

Intensität kann als Ansammlung perzeptiver Prozesse betrachtet werden, die durch<br />

unbestimmte Relationen <strong>mit</strong>einander verbunden sind. Bacons Kausalverknüpfungen

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