06.12.2012 Aufrufe

Ein Mensch mit Eigenschaften: aber welchen? - Dr. W. Peter ...

Ein Mensch mit Eigenschaften: aber welchen? - Dr. W. Peter ...

Ein Mensch mit Eigenschaften: aber welchen? - Dr. W. Peter ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

9<br />

Arabeske. Nach seiner Ansicht ist jede Sprache eine Bildersprache. In seiner Arbeit<br />

entzieht Busch der Schrift den Vorzug, wie er bei Blake noch vorherrschend war.<br />

Hier zeigt sich eine Assoziation zu der alten Vorstellung einer Ur- und Natursprache.<br />

Ähnliche Beobachtungen einer absoluten Identität von Zeichen und Bezeichnetem<br />

vollzog Ludwig Wittgenstein: “Es ist merkwürdig, daß man die Zeichnungen von<br />

Busch oft als ‘metaphysisch’ nennen kann. So gibt es also eine Zeichenweise, die<br />

metaphysisch ist? - ‘Gesehen <strong>mit</strong> dem Ewigen als Hintergrund’ könnte man sagen.<br />

Aber doch bedeuten diese Striche das nur in einer ganzen Sprache. Und es ist eine<br />

Sprache ohne Grammatik, man könnte ihre Regeln nicht angeben.” 35 Über<br />

eindeutige Regeln im Sinne einer Grammatik läßt sich allerdings nicht reden, sehr<br />

wohl jedoch über die grundlegende Voraussetzung, die die Struktur dieser Sprache<br />

bedingt. Es handelt sich dabei um die Vorstellung der wechselseitigen <strong>Ein</strong>wirkung<br />

von Körpern durch die Prinzipien von Attraktion, Repulsion und Rotation. Eben diese<br />

Prinzipien bestimmen die Relationen der Zeichenelemente in Buschs Bildsprache.<br />

Für die hier nun zu verfolgende Entwicklung in der bildenden Kunst ist eine<br />

einsetzende Veränderung von entscheidender Bedeutung, die eng <strong>mit</strong> dem bisher<br />

skizzierten Prozeß zusammenhängt. Hatte die traditionelle Ästhetik den Künstler als<br />

Nachfolger des göttlichen Schöpfers, sein Werk als ein Abbild des kosmischen<br />

Ganzen aufgefaßt, so kommt es nun zu einer Emanzipation vom<br />

Nachahmungsprinzip. Dieser Prozeß trägt dazu bei, daß neben reflexiven auch<br />

reduktionistische Tendenzen stärker in den Vordergrund treten. Wie bisher<br />

aufgezeigt, deutet sich diese Entwicklung bereits in verschiedenen ästhetischen<br />

Theorien seit Mitte des 18. Jahrhunderts an: Angefangen bei Hogarths ‘Analysis of<br />

Beauty’, über Blakes illuminierte Bücher und Toepffers ‘Physiognomische Studien’<br />

bis hin zu Busch. Spezifiziert macht sich diese Entwicklung in der zweiten Hälfte des<br />

19. Jahrhunderts bemerkbar. Charles Baudelaire etwa begriff sich nicht mehr als<br />

Nachfolger, sondern als Opponent Gottes, der selbst als “Ärgernis” 36 und dessen<br />

Schöpfung als “Sündenfall” 37 begriffen wird. Es ist daher nur konsequent, wenn<br />

Baudelaire dieser für ihn negativen Realität abstreitet, zum Gegenstand<br />

künstlerischer Nachahmung zu werden: “Man lasse alles, was natürlich ist, Revue<br />

passieren, [...] und man wird nichts als Scheußlichkeiten treffen. [...] Wer wollte der<br />

Kunst die unfruchtbare Aufgabe zuweisen, die Natur nachzuahmen?” 38<br />

Dennoch wird man auch bei Baudelaire nicht mehr als einen Beitrag zur<br />

Vorbereitung des anvisierten Reduktionsprozeßes finden. Wenige Jahrzehnte später<br />

ist diese Entwicklung bei Stéphane Mallarmé wesentlich weiter fortgeschritten. Der<br />

hier behauptete Zusammenhang von Reflexion und Reduktion ist in seinem Werk<br />

eindeutig zu beobachten. Der Fluchtpunkt von Mallarmés ‘Poésie pure’ ist das<br />

Schweigen, das “Nichts”, das der Autor gleichzeitig zum Ausdruck von Wahrheit<br />

erklärt. So beginnt das von Mallarmé als <strong>Ein</strong>gangsgedicht einer geplanten Sammlung<br />

vorgesehene Sonett ‘Salut’ <strong>mit</strong> dem Wort “Rien” und führt da<strong>mit</strong> eine Art Leitmotiv<br />

ein, das in den folgenden Zeilen mehrfach variiert wird, bis sich das Werk zum<br />

Schluß selbst <strong>mit</strong> einer leeren Leinwand vergleicht. 39 Das Gedicht wird diesem<br />

Vergleich dadurch gerecht, daß es die Bezüge zur außerästhetischen Wirklichkeit<br />

lockert und sich statt dessen vor allem auf sich selbst bezieht: Zwar ist ein Bezug zu<br />

einer realen Situation erkennbar, doch stellt diese lediglich einen Vorwand dar, den<br />

das Gedicht benötigt, um seine eigene Poetik darzustellen. In diesem<br />

Zusammenhang fordert Mallarmé “eine unbefleckte Sprache, [...] hieratische<br />

Formeln, deren fruchtloses Studium den Profanen blendet und den schicksalhaften<br />

Dulder anspornt”. 40

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!