Ein Mensch mit Eigenschaften: aber welchen? - Dr. W. Peter ...
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Arabeske. Nach seiner Ansicht ist jede Sprache eine Bildersprache. In seiner Arbeit<br />
entzieht Busch der Schrift den Vorzug, wie er bei Blake noch vorherrschend war.<br />
Hier zeigt sich eine Assoziation zu der alten Vorstellung einer Ur- und Natursprache.<br />
Ähnliche Beobachtungen einer absoluten Identität von Zeichen und Bezeichnetem<br />
vollzog Ludwig Wittgenstein: “Es ist merkwürdig, daß man die Zeichnungen von<br />
Busch oft als ‘metaphysisch’ nennen kann. So gibt es also eine Zeichenweise, die<br />
metaphysisch ist? - ‘Gesehen <strong>mit</strong> dem Ewigen als Hintergrund’ könnte man sagen.<br />
Aber doch bedeuten diese Striche das nur in einer ganzen Sprache. Und es ist eine<br />
Sprache ohne Grammatik, man könnte ihre Regeln nicht angeben.” 35 Über<br />
eindeutige Regeln im Sinne einer Grammatik läßt sich allerdings nicht reden, sehr<br />
wohl jedoch über die grundlegende Voraussetzung, die die Struktur dieser Sprache<br />
bedingt. Es handelt sich dabei um die Vorstellung der wechselseitigen <strong>Ein</strong>wirkung<br />
von Körpern durch die Prinzipien von Attraktion, Repulsion und Rotation. Eben diese<br />
Prinzipien bestimmen die Relationen der Zeichenelemente in Buschs Bildsprache.<br />
Für die hier nun zu verfolgende Entwicklung in der bildenden Kunst ist eine<br />
einsetzende Veränderung von entscheidender Bedeutung, die eng <strong>mit</strong> dem bisher<br />
skizzierten Prozeß zusammenhängt. Hatte die traditionelle Ästhetik den Künstler als<br />
Nachfolger des göttlichen Schöpfers, sein Werk als ein Abbild des kosmischen<br />
Ganzen aufgefaßt, so kommt es nun zu einer Emanzipation vom<br />
Nachahmungsprinzip. Dieser Prozeß trägt dazu bei, daß neben reflexiven auch<br />
reduktionistische Tendenzen stärker in den Vordergrund treten. Wie bisher<br />
aufgezeigt, deutet sich diese Entwicklung bereits in verschiedenen ästhetischen<br />
Theorien seit Mitte des 18. Jahrhunderts an: Angefangen bei Hogarths ‘Analysis of<br />
Beauty’, über Blakes illuminierte Bücher und Toepffers ‘Physiognomische Studien’<br />
bis hin zu Busch. Spezifiziert macht sich diese Entwicklung in der zweiten Hälfte des<br />
19. Jahrhunderts bemerkbar. Charles Baudelaire etwa begriff sich nicht mehr als<br />
Nachfolger, sondern als Opponent Gottes, der selbst als “Ärgernis” 36 und dessen<br />
Schöpfung als “Sündenfall” 37 begriffen wird. Es ist daher nur konsequent, wenn<br />
Baudelaire dieser für ihn negativen Realität abstreitet, zum Gegenstand<br />
künstlerischer Nachahmung zu werden: “Man lasse alles, was natürlich ist, Revue<br />
passieren, [...] und man wird nichts als Scheußlichkeiten treffen. [...] Wer wollte der<br />
Kunst die unfruchtbare Aufgabe zuweisen, die Natur nachzuahmen?” 38<br />
Dennoch wird man auch bei Baudelaire nicht mehr als einen Beitrag zur<br />
Vorbereitung des anvisierten Reduktionsprozeßes finden. Wenige Jahrzehnte später<br />
ist diese Entwicklung bei Stéphane Mallarmé wesentlich weiter fortgeschritten. Der<br />
hier behauptete Zusammenhang von Reflexion und Reduktion ist in seinem Werk<br />
eindeutig zu beobachten. Der Fluchtpunkt von Mallarmés ‘Poésie pure’ ist das<br />
Schweigen, das “Nichts”, das der Autor gleichzeitig zum Ausdruck von Wahrheit<br />
erklärt. So beginnt das von Mallarmé als <strong>Ein</strong>gangsgedicht einer geplanten Sammlung<br />
vorgesehene Sonett ‘Salut’ <strong>mit</strong> dem Wort “Rien” und führt da<strong>mit</strong> eine Art Leitmotiv<br />
ein, das in den folgenden Zeilen mehrfach variiert wird, bis sich das Werk zum<br />
Schluß selbst <strong>mit</strong> einer leeren Leinwand vergleicht. 39 Das Gedicht wird diesem<br />
Vergleich dadurch gerecht, daß es die Bezüge zur außerästhetischen Wirklichkeit<br />
lockert und sich statt dessen vor allem auf sich selbst bezieht: Zwar ist ein Bezug zu<br />
einer realen Situation erkennbar, doch stellt diese lediglich einen Vorwand dar, den<br />
das Gedicht benötigt, um seine eigene Poetik darzustellen. In diesem<br />
Zusammenhang fordert Mallarmé “eine unbefleckte Sprache, [...] hieratische<br />
Formeln, deren fruchtloses Studium den Profanen blendet und den schicksalhaften<br />
Dulder anspornt”. 40