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Ein Mensch mit Eigenschaften: aber welchen? - Dr. W. Peter ...

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der Liebe - einer Liebe, die nicht als Sünde stigmatisiert ist, sondern zur<br />

Vervollkommnung des höfischen Mannes führen soll. Die so verehrte Minne-Dame<br />

erscheint als ebenso erstrebenswertes wie unerreichbares und unberührbares Objekt<br />

der Begierde. Dieses höfische Ideal beeinflußt auch die Bilder von Batseba. In einem<br />

Lied Walthers von der Vogelweide (Si wunderwol gemachet wîp, L. 53,25 ff.)<br />

erscheint vor unserem imaginären Auge die schöne, reine Frau:<br />

Ir kel, ir hende, ietweder fuoz,<br />

daz ist ze wunsche wol getân.<br />

ob ich da enzwischen loben muoz,<br />

sô waene ich mê beschowet hân.<br />

ich hete ungerne 'decke blôz!'<br />

gerüefet, do ich si nacket sach.<br />

si sach mich niht, dô si mich schôz,<br />

daz mich noch sticht als ez dô stach,<br />

swann ich der lieben stat<br />

gedenke, dâ si reine ûz einem bade trat. 12<br />

(Ihr Hals, ihre Hände, jeder ihrer Füße - das alles ist wunderschön. Und wenn ich das<br />

lobpreisen soll, was dazwischen ist, so glaube ich, doch mehr gesehen zu haben.<br />

Nur widerwillig hätte ich ihr zugerufen "Bedecke dich!", als ich sie nackt sah. Sie sah<br />

mich nicht, als sie mich <strong>mit</strong>ten ins Herz traf, so daß es mir noch heute genauso weh<br />

tut wie damals, sooft ich an den lieben Ort denke, wo sie rein aus dem Bade stieg.)<br />

Walther entwirft ein Bild der Frau, das <strong>mit</strong> den Konventionen des Minnesangs und<br />

des Frauenpreises bricht, denn die Dame ist nackt. Selbstverständlich gibt der<br />

höfische Sänger keine näheren Informationen über das, was zwischen Hals und Fuß<br />

ist, er überläßt das enzwischen der Imagination seines Publikums. Auch nennt er<br />

keinen Namen (dies wiederum entspricht den Regeln des Minnesangs), doch für das<br />

<strong>mit</strong>telalterliche Publikum, das in der Regel <strong>mit</strong> den biblischen Texten besser vertraut<br />

war als das heutige Publikum, wird klar gewesen sein, was Walther hier anzitiert: Die<br />

Frau, die unschuldig-nackt aus dem Bade tritt und dabei von einem Mann beobachtet<br />

wird, ist Batseba. 13<br />

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