KiNDER Oktober 2015
KiNDER, Deutschlands große renommierte Elternzeitschrift für Familien mit Kindern im Kindergarten- und Grundschulalter. Titelthema in diesem Monat: Glück für uns alle
KiNDER, Deutschlands große renommierte Elternzeitschrift für Familien mit Kindern im Kindergarten- und Grundschulalter. Titelthema in diesem Monat: Glück für uns alle
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FAMILIE HEUTE<br />
Auf Gedeih<br />
und Verderb<br />
Die Weichen für den Bildungserfolg werden im Vorschulalter gestellt.<br />
Das bestreitet niemand mehr. Für den Bildungsforscher Klaus Hurrelmann<br />
ist es jetzt höchste Zeit, daraus politische Konsequenzen zu ziehen.<br />
Etwa 200 Milliarden Euro werden<br />
in Deutschland Jahr für Jahr umverteilt,<br />
um Ehepaare mit und<br />
ohne Kinder zu unterstützen.<br />
Kindergeld, Kinderfreibeträge, Kinderzuschlag,<br />
Elterngeld, Steuererleichterungen<br />
und viele andere Programme mehr.<br />
Der Hintergrund: Familien mit Kindern<br />
sollen finanzielle Unterstützung erfahren,<br />
um ihren im Grundgesetz festgelegten<br />
Auftrag erfüllen zu können – „Erziehung<br />
und Pflege der Kinder sind das<br />
natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst<br />
ihnen obliegende Pflicht“. Eine<br />
weltweit einmalige Verankerung in der<br />
Verfassung.<br />
Im Grundgesetz ist ein monopolartiges<br />
Erziehungsrecht der Eltern verankert.<br />
Kinder in Deutschland sind im<br />
wahrsten Sinne des Wortes „auf Gedeih<br />
und Verderb“ auf ihre Eltern angewiesen.<br />
Mutter und Vater sollen die einzig<br />
verantwortlichen Personen sein, die sich<br />
in den ersten Lebensjahren um ihr Kind<br />
kümmern.<br />
Erst mit dem sechsten Lebensjahr soll<br />
das Kind für einige Stunden des Tages in<br />
die (Halbtags-)Schule gegeben werden.<br />
Dort soll es eine kognitive und fachliche<br />
Bildung erhalten, während die Erziehung<br />
und die Persönlichkeitsbildung weiterhin<br />
Elternsache bleiben. Dies führt dazu,<br />
dass in Deutschland der Bildungserfolg<br />
der Kinder so stark vom Elternhaus abhängt<br />
wie in kaum einem anderen Land<br />
der Welt. Machen die Eltern ihre Sache<br />
schlecht, dann hat ihr Kind einen schweren<br />
Start ins Leben.<br />
Trotz der ungeheuren Transfersumme<br />
an Ehepaare mit Kindern gelingt es im<br />
internationalen Vergleich noch nicht<br />
einmal befriedigend, materielle Armut<br />
von Kindern zu vermeiden und ihre körperliche<br />
und psychische Gesundheit zu<br />
sichern. Alle vorliegenden Untersuchungen<br />
bestätigen: Das deutsche Modell der<br />
Familienpolitik sichert die erwünschte<br />
wirksame und nachhaltige Erziehung<br />
und Pflege der Kinder nicht. Es ist falsch,<br />
den Eltern die absolute Monopolstellung<br />
bei der Erziehung, Pflege und Bildung<br />
der Kinder einzuräumen.<br />
Viele andere europäische Länder stellen<br />
den Eltern von Anfang an Betreuungs-,<br />
Erziehungs-, und Bildungseinrichtungen<br />
zur Seite. Sie relativieren damit bewusst<br />
den Einfluss der Eltern. Großbritannien,<br />
die Niederlande und die skandinavischen<br />
Länder investieren anteilsmäßig mehr in<br />
die vorschulische Erziehung und Bildung<br />
als in die Unterstützung von Familien.<br />
Seit der Jahrtausendwende haben Bundesregierungen<br />
endlich damit begonnen,<br />
Elemente dieser Politik zu übernehmen.<br />
Der Rechtsanspruch auf einen Kinderkrippen-<br />
und Kindergartenplatz und die<br />
gezielte Förderung von Ganztagsschulen<br />
signalisierten diese Trendwende.<br />
Moderne Bildungspolitik ist somit<br />
gezielte Förderpolitik für Kinder und<br />
eben nicht nur Finanzausgleich für das<br />
Elternhaus mit Kindern. Wir brauchen die<br />
materielle Basisabsicherung des Elternhaushaltes<br />
und zugleich die vorschulische<br />
Betreuung auch am Nachmittag,<br />
weil sie die Förderimpulse der Eltern<br />
Das belegen Studien –<br />
wodurch sich die<br />
Leistungsbilanz der<br />
Kinder fördern lässt:<br />
1. Ein möglichst hoher Anteil<br />
von Kindern in vorschulischen<br />
Bildungseinrichtungen<br />
2. Ein möglichst langer Aufenthalt<br />
der Kinder in diesen Einrichtungen<br />
bei intensiver Abstimmung<br />
zwischen Elternhaus und<br />
Einrichtung<br />
3. Eine möglichst spät in der<br />
Bildungslaufbahn einsetzende<br />
Aufteilung der Kinder in<br />
unterschiedlichen Schultypen<br />
nach ihrem bis dahin<br />
erreichten Bildungsstand<br />
Jedes dieser Merkmale erhöht<br />
das Potenzial des Bildungssystems,<br />
die schulischen<br />
Leistungen bei allen Kindern –<br />
unab hängig von den Vorgaben<br />
des Eltern hauses, aber immer<br />
in enger Abstimmung mit dem<br />
Elternhaus – zu verbessern.<br />
ergänzt. Je besser die öffentliche mit der<br />
privaten Erziehung abgestimmt ist, desto<br />
mehr profitieren die Kinder. Es würde<br />
sich rechnen, von den vielen Milliarden<br />
Euro einige für ein Vorschulangebot und<br />
eine frühkindliche Bildung für diese Kinder<br />
abzuzweigen.<br />
Kinder 10/<strong>2015</strong>