❤ GLOSSE In allen vier Ecken … ❤ … soll Liebe drinstecken. Poesiealben waren einst zarte Zeichen der Zuneigung. Das ging oft schief, war aber aufregender als die modernen Nachfolger in Form von Freundebüchern mit dem Charme eines Melderegister-Formulars, findet <strong>KiNDER</strong>-Autorin Stefanie Albert. Illustration: Claudia Tejeda ❤ Als ich endlich reinschreiben durfte, schlug mein Herz höher. Klassensprecherin Jutta hatte mich auserkoren. Sie überreichte mir ihr Poesiealbum. Zwei blütenweiße Seiten hatte sie für mich reserviert. Wow, war ich stolz. Weil Jutta wichtig war, beschloss ich, ihr das zweitschönste Glanzbild aus meiner Sammlung zu opfern. Fohlen mit Glitzer. Das Schönste (Cockerspaniel-Welpen mit Glitzer) wollte ich selbst behalten. Danach ging der Stress los. Ich musste hauchdünne Linien zeichnen und darauf ohne Fehler schreiben: „Wenn Du einmal traurig bist und das Lachen ganz vergisst, schau in dieses Album rein: Bald wirst Du wieder fröhlich sein!“ Ich versuchte zu retten, was nicht mehr zu retten war Ging natürlich schief. Ich verschrieb mich, strich durch, schmierte drüber, versuchte, mit Tintenkiller zu retten, was nicht mehr zu retten war. Das Glanzbild klebte schon links, ich riss die rechte Seite raus, weitere Seiten lösten sich. Ich bekam Panik. Denn Jutta hatte mich schriftlich gewarnt: „Reiß bloß keine Seiten raus, sonst ist’s mit unserer Freundschaft aus.“ Puh! Und das, wo die Freundschaft doch gerade erst beginnen sollte. Kinder 10/<strong>2015</strong> Und Jutta in meinem Album mit Herzchen notiert hatte: „In allen vier Ecken soll Liebe drinstecken.“ Stapelweise Freundschaftshefte: Der Trend geht zum Drittbuch Meine Kinder haben solche Probleme heute nicht mehr. Stapelweise schleppen sie Freundschaftsbücher an, die frei von Herzklopfen und Schwitzehändchen ausgefüllt werden wie lästige Lückentexte. Hefte mit dem Charme eines Telefonbuches In sozialen Übergangssituationen (zum Beispiel beim Gruppenwechsel von den Tanzmäusen zu den Power-Trommlern) geht der Trend zum Drittbuch. Vorgedruckte Hefte mit fertigen Linien lesen sich ungefähr so aufregend wie Formulare aus dem Einwohnermeldeamt. Name, Geburtsdatum, Adresse. Manchmal kommen noch Hobbys, Lieblingsessen und Lieblingstiere dazu. „Ich habe oben Jona hingeschrieben, du kannst den Rest machen“, erklärt mein Sohn (Jungens dürfen nämlich heute auch) und legt mir das neueste Meine-Freunde-Buch auf den Schreibtisch. Vorname in Krakelschrift, den Rest macht dann Mutti Ich staune. Tatsächlich machen die anderen Eltern das ebenfalls. Zumindest die der Jungens. Vorname in Krakelschrift, die Formalitäten macht Mutti. Und das Bild? Smiley reicht. Mein Sohn malt zwei Punkte und einen Halbmond unter den Schriftzug „Mein Foto“. Für ihn ist der Job damit erledigt. Ich erzähle ihm von Jutta. Wie ich ihr damals das ramponierte Buch zurückgeben musste. Wie sie mich anmeckerte, verächtlich auf meine mühsam mit Tesafilm reparierte Seite blickte, nicht meine Freundin wurde – aber das Glitzerfohlen für ihre Sammlung heraustrennte. „Gemein“, sagt mein Sohn. Recht hat er. Das Formulare-Ausfüllen hat auch etwas Demokratisches. Immerhin hängen Kinderfreundschaften heute nicht mehr von ein paar Zeilen ab. www.wireltern.de ❤
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