oneX magazin 05.2015
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ESTHER SCHÖNMANN<br />
«Wenn wir nicht<br />
mehr können,<br />
IST ES<br />
VORBEI»<br />
Esther Schönmann betreut seit 11 Jahren<br />
die Gassechuchi in Langenthal. Sie hilf Bedürftigen<br />
in schwierigen Situationen mit Essen<br />
und Kleidern, die gespendet werden. Doch die<br />
72-jährige sorgt sich um ihre Nachfolge.<br />
TEXT: BRUNO WÜTHRICH<br />
Mit ihrer Wahl zur «Heldin<br />
des Alltags» wurde sie<br />
schweizweit bekannt. Ihre<br />
«Gasse chuchi» wird in Langenthal<br />
rege benutzt und<br />
entspricht einem echten Bedürfnis im sozialen<br />
Bereich. Doch bei den Behörden wird<br />
die Institution mehr geduldet als geliebt, und<br />
schon gar nicht gefördert. Wir sprachen mit<br />
«Gasse chuchi»-Gründerin und -Betreiberin<br />
Esther Schönmann über ihr Engagement,<br />
Menschen am Rande der Gesellschaft, die<br />
Rolle der Behörden und ihre grösste Sorge:<br />
Im Alter von 72 Jahren die Nachfolge regeln<br />
zu können.<br />
one X Magazin: Sie wurden am 1. Februar<br />
dieses Jahres zur «Heldin des Alltags» gewählt,<br />
und zwar weil Sie seit 11 Jahren<br />
die Gassenküche in Langenthal betreiben.<br />
Was haben dieser Titel und die damit verbundene<br />
Publizität bewirkt?<br />
Esther Schönmann: Ich hatte erst gar keine<br />
Ahnung, vorgeschlagen worden zu sein. Erst<br />
als von 230 geprüften Vorschlägen 17 nochmals<br />
ausgewählt wurden und ich in der engsten<br />
Auswahl war, also unter den letzten drei,<br />
vernahm ich davon. Bemerkenswert ist, dass<br />
ich von einer Frau aus Langenthal angemeldet<br />
wurde, die mich nicht persönlich kannte,<br />
aber unsere Arbeit mit der Gassechuchi über<br />
Jahre beobachtet hatte. Diese Wahl löste<br />
sofort sehr viel aus. Ich erhielt massenhaft<br />
Reaktionen per Telefon, per Brief oder per<br />
Mail, ich wurde angefragt für Interviews und<br />
ich wurde eingeladen, Vorträge über unsere<br />
Arbeit in der Gassenküche zu halten. Wir<br />
erhielten einige Geldspenden, und auch Kleider<br />
und Schuhe zum weiterverteilen trafen<br />
ein, und ich wurde mit Blumen beschenkt.<br />
Wie kam es überhaupt zu dieser Gassenküche?<br />
Wie begann diese bemerkenswerte<br />
Geschichte?<br />
Ich arbeitete bis zu meiner Pension zu 100<br />
Prozent in St. Urban in der Verwaltung, und<br />
liess mich nebenbei zur psychologischen<br />
Lebenstherapeutin ausbilden. Das Thema<br />
meiner Diplomarbeit lautete «Sehnsucht,<br />
Sucht, Drogen». Im Rahmen dieser Arbeit<br />
thematisierte ich, wie jemand wegen unerfüllten<br />
Sehnsüchten absacken kann und ich<br />
befasste mich mit allen legalen und illegalen<br />
Drogen. Doch irgendwie war mir dies<br />
zu wenig. Oft gerät ja jemand durch seine<br />
Drogensucht in die Arbeitslosigkeit und in<br />
die soziale Not. Weil ich in St. Urban arbeitete,<br />
wurde mir gestattet, mit Patienten, die<br />
wegen ihrer Abhängigkeit dort weilten, Interviews<br />
zu führen. Doch nur darüber zu<br />
schreiben, war mir immer noch zu wenig,<br />
denn in mir war das Bewusstsein gewachsen,<br />
dass sich jemand um diese Menschen<br />
kümmern sollte. Daraus entstand die Idee<br />
mit der Gassechuchi.<br />
Fotos: Marcel Bieri<br />
4 one X 5 / 2015