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oneX magazin 05.2015

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ESTHER SCHÖNMANN<br />

Längst ist zur Institution<br />

geworden, was vor elf<br />

Jahren klein angefangen<br />

hat und noch heute von<br />

Seiten der Behörden mehr<br />

geduldet ist als erwünscht.<br />

Jeweils von Oktober bis<br />

Ostern wird an jedem<br />

Donnerstag ein Mittagessen<br />

für Randständige und<br />

Bedürftige gekocht. Berühmt<br />

geworden ist die<br />

Raubritter-Suppe des ehemaligen<br />

Posthalters und<br />

heutigen Gassechuchi<br />

Kochs Hans Ruedi<br />

Leuthold. Gegessen wird<br />

jeweils im Jugendraum<br />

des Evangelischen Gemeinschaftswerks<br />

gleich<br />

gegenüber dem Kino<br />

Der Platz ist knapp<br />

für das Team der<br />

«Gassechuchi» – mehr<br />

Räumlichkeiten<br />

würden die Arbeit<br />

erleichtern.<br />

ZUSATZINFOS<br />

Die Gassechuchi Langenthal<br />

Scala. Doch die Gassechuchi<br />

ist heute längst nicht<br />

mehr nur Küche. Während<br />

des ganzen Jahres findet<br />

jeweils am Mittwoch ab<br />

15.00 Uhr eine Lebensmittelabgabe<br />

beim Waaghüsli<br />

gleich neben der<br />

Markthalle statt. Hier dürfen<br />

auch bedürftige Menschen<br />

ohne Sozialausweis<br />

vorbei kommen (im Gegensatz<br />

zum «Tischlein<br />

deck dich», wo der Ausweis<br />

gefordert ist). Grosses<br />

Interesse finden auch<br />

gespendete Kleider und<br />

Schuhe. Dankbar entgegen<br />

genommen werden diese<br />

jeweils am Mittwoch 13-<br />

15 Uhr beim Waaghüsli.<br />

Kleider bringen will. Am Mittag kam eine<br />

andere Frau, die gerne mit anpacken<br />

möchte.<br />

Das Angebot der Gassechuchi<br />

richtet sich in erster<br />

Linie an Menschen, die<br />

sich nicht viel leisten können,<br />

denen es nicht einmal<br />

fürs Essen reicht. Sind<br />

auch Obdachlose dabei?<br />

Ab und zu. Wenn einer bei<br />

seiner Freundin rausgeflogen ist,<br />

kann es passieren. Aber da helfen<br />

sich die Leute untereinander. Die meisten<br />

kennen sich. Es heisst unter Kumpels jeweils<br />

sofort, «dann kannst du bei mir schlafen».<br />

Die Bereitwilligkeit, einander zu helfen in<br />

der Not, ist bei diesen Menschen sehr gross.<br />

Das habe ich anderswo nie erlebt. Ein ganz<br />

spezieller Obdachloser war Lehrer in Ex-<br />

Jugoslawien, wo er seinerzeit mit ansehen<br />

musste, wie seine gesamte Schulklasse ermordet<br />

wurde. Er floh in die Schweiz und<br />

lebte obdachlos, weil er sich nicht mehr in<br />

geschlossenen Räumen aufhalten konnte<br />

und deshalb lieber irgendwo auf einer Parkbank<br />

schlief. Für Obdachlose gibt es in der<br />

Stadt die «Notschlööfi» – ein betreutes Wohnen,<br />

was ich als sehr gut erachte.<br />

Was läuft falsch, dass es überhaupt derartige<br />

Angebote wie Ihres braucht?<br />

In der Schweiz werden Bedürftige materiell<br />

minimal abgefedert. Sie leben in einer Wohnung,<br />

ihre Krankenkasse wird bezahlt und<br />

sie erhalten wöchentlich oder monatlich<br />

einen Betrag, um durchs Leben zu kommen.<br />

Doch das «Seelische» wird bei diesen Menschen<br />

nicht angeschaut. Wenn einer depressiv<br />

ist, lässt man ihn in seiner Depression<br />

allein. Niemand kümmert sich darum. Keine<br />

Überraschung deshalb, wenn sich der Eine<br />

oder Andere unter den Zug wirft. Hinterher<br />

heisst es dann, man hätte halt schauen sollen.<br />

Viele Männer, die zu uns kommen, können<br />

nicht kochen. Niemand würde ihnen<br />

einen Kochkurs anbieten. Wir hatten drei<br />

Mal einen Kochkurs organisiert, aber es fehlt<br />

an geeigneten Räumen. Wir versuchen, diesen<br />

Menschen auch im zwischenmenschlichen<br />

Bereich etwas zu bieten, indem wir<br />

Gespräche führen, sie aufmuntern, ihnen<br />

Geburtstagskärtchen schicken, den Osterhasen,<br />

den Samichlaus überreichen und ein<br />

tolles Weihnachtsfest bieten. Denn es gibt<br />

Leute, die noch nie ein Geburtstagskärtli oder<br />

ein Weihnachtsgeschenk erhalten haben.<br />

Welches sind Ihre grössten Sorgen?<br />

Sorgen ist nicht das richtige Wort. Wir sind<br />

froh, dass wir ärmeren Menschen helfen<br />

Auch wenn ein Grossteil<br />

der Lebensmittel gespendet<br />

werden und sämtliche<br />

Gassechuchi-Mitarbeiter<br />

ehrenamtlich arbeiten,<br />

kommt der Verein trotzdem<br />

nicht ohne Geld aus.<br />

Wer die Gassechuchi<br />

finanziell unterstützen<br />

und die Arbeit des Teams<br />

erleichtern möchte, findet<br />

unten stehend die notwendigen<br />

Angaben.<br />

Geldspenden an Verein<br />

Gassechuchi Langenthal<br />

Clientis Bank Oberaargau,<br />

4950 Huttwil<br />

30-38116-2<br />

CH86 0645 0016 0327<br />

9660 9<br />

können. Die Gassechuchi war jahrelang am<br />

Rande unserer Gesellschaft. Auch finden sie<br />

unseren Marktstand am Rande des Märits.<br />

Ich würde mir wünschen, dass unsere sozial<br />

Schwächeren näher zu uns rutschen könnten.<br />

Für diese Menschen gibt es kaum berufliche<br />

Angebote. Die Arbeitsprojekte sind jeweils<br />

nur für drei oder vier Monate gedacht.<br />

Es sollte viel mehr Plätze geben, wo betreutes<br />

Arbeiten möglich ist. Doch stattdessen<br />

werden solche Projekte aus Kostengründen<br />

geschlossen, wie kürzlich die Keramikwerkstätte<br />

in Roggwil, wo wunderschöne Keramiksachen<br />

hergestellt wurden.<br />

Zu vermuten ist, dass die Menschen, die<br />

am Rande der Gesellschaft leben, auch in<br />

Langenthal und Umgebung nicht weniger,<br />

sondern in Zukunft eher mehr werden.<br />

Was bedeutet dies für Sie und Ihr Projekt?<br />

Es werden immer mehr. Wir tun, was wir<br />

können. Von der «Schweizer Tafel» erhalten<br />

wir wöchentlich 40 Harassen mit Esswaren.<br />

Wir verteilen sie wie die Kleider und Haushaltsgeräte,<br />

die wir von Spendern erhalten.<br />

Der Stadtrat von Langenthal hat Ihnen<br />

zum Titel «Heldin des Alltags» gratuliert.<br />

Was könnte der Stadtrat sonst noch für<br />

Sie, bzw. Ihr Projekt tun?<br />

Dringend wäre ein zusätzlicher Raum für<br />

unser Material. Eine Antwort auf unsere Anfrage<br />

bei der Stadt ist immer noch hängig.<br />

Sie sind 72 Jahre alt, wirken lebendig, fit<br />

und agil. Doch wenn die Gassenküche<br />

noch lange bestehen soll, müssen sie sich<br />

Gedanken um die Nachfolge machen. Welches<br />

sind Ihre Überlegungen?<br />

Hans Ruedi Leuthold ist gleich alt wie ich.<br />

Wenn er nicht mehr kann, ist es vorbei. Das<br />

Gleiche gilt für mich. Ein Nachfolger oder<br />

eine Nachfolgerin ist nicht in Sicht. Alle, die<br />

mithelfen, sind um die 60 Jahre alt. Wir sind<br />

ein kleiner Verein, der alle Einnahmen und<br />

Ausgaben sauber dokumentiert und der deshalb<br />

dereinst problemlos in andere Hände<br />

übergeben werden könnte. Doch die Suche<br />

nach Nachfolgern war bisher vergeblich.<br />

8 one X 5 / 2015

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