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PARITÄTISCHER RUNDBRIEF

2016_04_05_PAR_Rundbrief

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TEILHABEN! ARBEIT UND BESCHÄFTIGUNG FÜR MENSCHEN MIT BEHINDERUNG<br />

»…wenn Vorbehalte gegenüber Menschen mit<br />

Behinderungen tatsächlich einmal abgebaut werden würden«<br />

Fünf Fragen an Birgit Stenger, Arbeitsgemeinschaft für ein selbstbestimmtes Leben<br />

schwerstbehinderter Menschen – ASL e. V.<br />

Birgit Stenger hat Rechtswissenschaft an der Freien Universität Berlin und Sozialpädagogik/-arbeit<br />

an der Ev. Fachhochschule Berlin studiert. Seit 1994 war sie in<br />

der Beratung behinderter Menschen und ihrer Angehörigen aktiv. Seit 2004 gibt<br />

sie regelmäßig Vorträge und leitet Workshops zu den Themen Persönliche Assistenz,<br />

Arbeitgeber-Modell und persönliches Budget. Für die Arbeitsgemeinschaft<br />

für selbstbestimmtes Leben schwerstbehinderter Menschen (ASL e. V.) ist Birgit<br />

Stenger bereits seit 1994 aktiv. Die Fragen stellte Ulrike Pohl.<br />

Frau Stenger, 1992 wurde der Verein »Arbeitsgemeinschaft für<br />

selbstbestimmtes Leben schwerstbehinderter Menschen e. V.« gegründet<br />

– was waren damals die Gründe und sind sie es heute auch<br />

noch?<br />

Birgit Stenger: Die ASL e. V. wurde 1992 von assistenzbedürftigen<br />

Menschen gegründet, denen von den ambulanten diensten<br />

e. V. Assistenten und Assistentinnen vermittelt wurden.<br />

Die Assistenten nannte man damals Helfer und die assistenzbedürftigen<br />

Menschen nannte man Hilfenehmerinnen und<br />

-nehmer. Die Helferinnen und Helfer arbeiteten als Honorarkräfte,<br />

das heißt sie mussten sich selbst kranken-, renten-, arbeitslosen-<br />

und unfallversichern, aber auch ihr Honorar versteuern.<br />

Das Finanzamt Friedrichshain-Kreuzberg stellte 1992<br />

nach einer Prüfung der ambulanten dienste e. V. fest, dass es<br />

sich bei der Tätigkeit der Helfer um eine weisungsgebundene<br />

und damit abhängige Beschäftigung handelt. In der Folge<br />

mussten die Helferinnen und Helfer fest angestellt werden.<br />

Dies wiederum bedeutete, dass Kündigungsfristen eingehalten<br />

werden mussten. Bis zu diesem Zeitpunkt war es möglich,<br />

das »Beschäftigungs«-Verhältnis sowohl von Seiten der Helferinnen<br />

als auch der Hilfenehmer von einen Moment auf den<br />

anderen zu lösen. Eine Möglichkeit, die vielen Hilfenehmern<br />

sehr wichtig war, weil sie sich nicht vorstellen konnten, sich<br />

von Helferinnen und Helfern, mit denen sie sich nicht mehr<br />

wohlfühlten, zum Beispiel im Intimbereich pflegen zu lassen.<br />

Nach der Entscheidung des Finanzamtes suchten wir nach<br />

einer Alternative, die unserem Interesse gerecht wurde; wir<br />

wollten so viel wie möglich Einfluss auf die Personalauswahl<br />

haben, um Kündigungen möglichst zu vermeiden. Diese Alternative<br />

sahen wir im Arbeitgebermodell. Die Situation hat<br />

sich heute dahingehend geändert, dass die Assistenten und<br />

Assistentinnen in der Regel sozialversicherungspflichtig beschäftigt<br />

sind, sei es bei den Diensten oder den behinderten<br />

Arbeitgebern. Nicht verändert hat sich unser Wille, so viel wie<br />

möglich Einfluss auf die Personalauswahl zu haben.<br />

Sie beraten zu Persönlicher Assistenz – was ist das und wo liegen die<br />

Unterschiede zur herkömmlichen Pflege und Betreuung durch Pflegedienste?<br />

Birgit Stenger<br />

FOTO: PRIVAT<br />

Birgit Stenger: Persönliche Assistenz wird in Berlin als Leistung<br />

der Hilfe zur Pflege erbracht und in Form des jeweils<br />

gültigen Stundensatzes des Leistungskomplexes (LK) 32 vergütet.<br />

Persönliche Assistenz sind laut LK 32 die am individuellen<br />

Bedarf orientierten Hilfen bei den täglichen Verrichtungen,<br />

bestimmt durch die Lebensrealität der auf Assistenz<br />

angewiesenen Menschen, die eine kontinuierliche Arbeitstätigkeit<br />

erforderlich macht und deren Ausdifferenzierung in<br />

Einzelleistungen nicht sinnvoll ist. Dies insbesondere, weil<br />

nicht planbare pflegerische Leistungen im großen Umfang<br />

parallel zu anderen Leistungen anfallen. Persönliche Assistenz<br />

dient der eigenständigen Gestaltung des Alltags in der eigenen<br />

Wohnung bzw. in einer selbstgewählten Umgebung. Sie<br />

ist eine von behinderten Menschen bewusst gewählte Versorgungsform<br />

und kann nicht gegen deren Willen angewendet<br />

werden.<br />

Insbesondere sind dies Hilfen im Bereich der Pflege, Hilfen<br />

im Haushalt, Mobilitätshilfen, oder Kommunikationshilfen.<br />

Entscheidendes Kriterium der persönlichen Assistenz ist<br />

das Recht des auf Assistenz angewiesenen Menschen, des Assistenten<br />

oder die Assistentin selbst anzuleiten und die Arbeitsinhalte<br />

und -umstände zu bestimmen: Dazu gehört,<br />

selbst zu bestimmen, welcher Assistent die Arbeiten ausführt,<br />

welche der genannten Arbeiten verrichtet werden, außerdem<br />

wann, wo und wie sie verrichtet werden.<br />

Der Unterschied zur herkömmlichen Pflege und Betreuung<br />

durch Pflegedienste liegt also darin, dass den Assistenznehmerinnen<br />

und -nehmern Entscheidungsbefugnisse, aber<br />

auch -kompetenzen zugesprochen werden.<br />

Viele Menschen wissen wahrscheinlich nicht, dass behinderte Menschen,<br />

die auf Assistenz angewiesen sind, auch Arbeitgeberinnen<br />

März / April 2016 <strong>PARITÄTISCHER</strong> <strong>RUNDBRIEF</strong> 29

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