TEILHABEN! ARBEIT UND BESCHÄFTIGUNG RUBRIKFÜR MENSCHEN MIT BEHINDERUNG und Arbeitgeber sein können. Sie waren die erste, die in Berlin Persönliche Assistenz nach dem Arbeitgebermodell praktiziert hat. Können Sie beschreiben, wie das funktioniert? Birgit Stenger: Die freie Wahl der Assistenzperson durch den assistenzbedürftigen Menschen bedeutet für den behinderten Arbeitgeber und die behinderte Arbeitgeberin, dass sie für die Suche nach geeignetem Personal selbst verantwortlich sind. Dies geschieht entweder über Mund-zu-Mund-Propaganda, über Anzeigen in Zeitungen oder auf den entsprechenden Internetseiten. Auf die Anzeigen folgen Bewerbungsgespräche, sollten diese zufriedenstellend verlaufen, kommt es zur Unterzeichnung des Arbeitsvertrages. Sowohl in Hinblick auf die Anzeigen als auch auf die Bewerbungsgespräche ist es notwendig, dass die behinderten Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen klar formulieren können, welche Aufgaben zu erledigen sind. Für den behinderten Arbeitgeber bzw. die behinderte Arbeitgeberin besteht nicht nur die Verpflichtung, den Dienstplan zu erstellen, sondern auch die Urlaubs- und Krankheitsvertretungen verantwortlich zu organisieren. Voraussetzung für einen Antrag beim zuständigen Kostenträger auf selbstorganisierte persönliche Assistenz nach dem Modell der behinderten Arbeitgeber bzw. Arbeitgeberinnen ist die Kalkulation der Kosten. ASL e. V. erstellt diese Kalkulation gemeinsam mit dem assistenzbedürftigen Menschen und vermittelt Kontakte zu Lohnbüros, die behilflich sind bei der Beantragung der Betriebs- und Steuernummer, aber auch bei der Anmeldung der Assistenten und Assistentinnen bei den zuständigen Krankenkassen. Unfallversichert sind die Assistenten und Assistentinnen über die Eigenunfallversicherung des Landes Berlin. Monatlich erhält das Lohnbüro vom behinderten Arbeitgeber eine Mitteilung der für die Kostenabrechnung relevanten Daten. Sie haben einen Verein gegründet, sich über die Beratung zum Arbeitgebermodell selbst eine Tätigkeit geschaffen, Projekte initiiert und dafür Gelder akquiriert – sehen Sie diese Erfahrungen auch weiterhin als gute Möglichkeit für junge Menschen mit Behinderung, an Arbeit teilzuhaben? Birgit Stenger: Als Sozialarbeiterin, Peer-Counselorin und systemische Familienberaterin erledige ich seit dem 15. November 1995 meine Arbeit – gewissenhaft und in der Regel zur Zufriedenheit der Klientinnen und Klienten. Wahrscheinlich aufgrund meines Alters weiß ich nicht, was Sie mit der Formulierung »an Arbeit teilhaben« meinen. Ich kenne nur Menschen mit Behinderung, die eine Arbeit haben oder nicht. Hier geht es ihnen wie Menschen ohne Behinderung. Der Weg, den wir gehen mussten, um das Geld für die Entlohnung unserer Arbeit zu bekommen, halte ich nicht für eine »gute Möglichkeit«, sondern für eine Notlösung. Junge Menschen mit Behinderung haben nur dann gute Chancen, einen Arbeitsplatz zu finden, der ihrer Qualifikation entspricht, wenn die in allen Bereichen unserer Gesellschaft bestehenden Vorbehalte gegenüber Menschen mit Behinderungen tatsächlich einmal abgebaut werden würden. In diesem Jahr finden im September die Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus statt – welche politischen (Richtungs-)Entscheidungen wünschen Sie sich für die Teilhabe behinderter Menschen am Arbeitsmarkt? Birgit Stenger: Ich wünsche mir, dass assistenzbedürftige Menschen ihren Anspruch auf bedarfsgerechte Assistenz ohne Kampf und Klage geltend machen können. Sollten sie die Assistenz benötigen, um ihren beruflichen Tätigkeiten nachzugehen, sollte sich das Land Berlin dafür einsetzen, dass sie das Geld, das sie verdienen, nicht nur bekommen, sondern auch behalten dürfen. Eine politische Richtungsentscheidung des Landes Berlin müsste auf eine bedarfsgerechte, aber auch einkommensunabhängige Assistenz gerichtet sein, damit sie meinen Wünschen entspricht. Partizipation im Sozialraum – Stärken durch Beteiligung Paritätischer Fachtag am 3. Mai in Berlin Im Rahmen des »Europäischen Protest-Tages für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderung« präsentieren die Veranstalter auf der Fachtagung »Partizipation im Sozialraum – Stärken durch Beteiligung« beispielhaft sozialräumliche Modelle von Partizipation. Gemeinsam mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern sollen folgende Fragen diskutiert werden: ·· Wie können Stadtteilzentren und Einrichtungen für Menschen mit Behinderung die Entwicklung hin zu einer inklusiven Gesellschaft befördern? ·· Welche Faktoren müssen berücksichtigt werden, damit ein Beteiligungsprozess gelingt? ·· Wie können Hilfen für Menschen mit Behinderungen sozialräumlich gestaltet werden? Aktuelle Ergebnisse aus Wissenschaft und Forschung werden herangezogen, um mit Blick aus der Praxis Strategien zur Umsetzung partizipativer Projekte zu entwickeln. Mit dem Fachtag »Partizipation im Sozialraum – Stärken durch Beteiligung« möchten wir Entscheidungsträger aus Politik und Verwaltung, Leitungen von Nachbarschaftseinrichtungen, Leitungen von Einrichtungen für Menschen mit Behinderung und Selbstvertreterinnen und Selbstvertreter ansprechen. Am Vormittag erwarten die Teilnehmer Fachvorträge und praxisnahe Projektvorstellungen. Nachmittags stehen Workshops zur Inklusion im Sozialraum sowie eine Podiumsdiskussion auf dem Programm. Der Fachtag endet mit der Premiere des Films »Inklusion – Eine Spurensuche« in Anwesenheit der Regisseure Ralf Mischnick und Simon Brückner. Wissenswertes »Partizipation im Sozialraum Dienstag, 3. Mai 2016 9:30 Uhr bis 16:45 Uhr, Centre Monbijou Oranienburger Str. 13-14, 10178 Berlin Wir bitten um Anmeldung bis zum 29. April per Fax an 030 860 01-220 oder per E-Mail an gross@paritaet -berlin.de. 30 <strong>PARITÄTISCHER</strong> <strong>RUNDBRIEF</strong> März / April 2016
Teilhaben! Arbeit und Beschäftigung für Menschen mit Behinderung