SOCIETY 369 / 2016
Nr. 369 I Nr. 1 - 2016
Nr. 369 I Nr. 1 - 2016
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DIPLOMATIE<br />
INTERNATIONAL<br />
Damit beginnt eine Vielzahl an Problemen:<br />
Die verbliebene Mutter sieht sich mit einem<br />
hochkomplexen juristischen Gefüge – Haager<br />
Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte<br />
der internationalen Kindesentführung<br />
(HKÜ) und Brüssel II-Verordnung – konfrontiert.<br />
Damit einher geht eine extreme finanzielle Belastung<br />
durch Anwaltskosten sowohl im eigenen<br />
Land als auch im Ausland, Übersetzungskosten,<br />
Kosten für deren Beglaubigungen, Recherchen<br />
zum Aufenthaltsort der Kinder und Reisen in das<br />
Land, in dem Vater und Kind(er) sich (vermutlich)<br />
aufhalten.<br />
Nicht zuletzt bedeutet jeder Fall von Kindesentführung<br />
aber unvorstellbares emotionales<br />
Leid, Trauer und permanente Anspannung. Bei<br />
manchen Müttern kommt es zu einer sekundären<br />
Traumatisierung durch die Angst, ihr Kind<br />
ZUR PERSON<br />
Andrea<br />
Brem ist<br />
diplomierte<br />
Sozialarbeiterin<br />
und<br />
Supervisorin<br />
in<br />
Wien. Sie<br />
arbeitete<br />
viele Jahre im 2. Wiener<br />
Frauenhaus und ist seit<br />
2001 Geschäftsführerin des<br />
Vereins Wiener Frauenhäuser<br />
sowie seit 2013<br />
Vorsitzende des Vereins<br />
ZÖF – Zusammenschluss<br />
Österreichischer Frauenhäuser.<br />
Sie ist unter anderem<br />
Initiatorin und Koautorin<br />
des Buches „Am Anfang<br />
war ich sehr verliebt“ (mit<br />
Karin Berger), der Studie<br />
des Vereins Wiener Frauenhäuser<br />
„Sexualisierte<br />
Gewalt in Paarbeziehungen“<br />
(mit Elfriede Fröschl)<br />
und der Studie „Psychische<br />
Gewalt gegen Frauen“ (mit<br />
Irma Lechner und Beate<br />
Wimmer-Puchinger). Seit<br />
2008 ist sie außerdem Mitglied<br />
des Österreichischen<br />
Werberates.<br />
INFO<br />
VEREIN WIENER<br />
FRAUENHÄUSER<br />
Der Verein Wiener Frauenhäuser<br />
wurde im Jahre<br />
1978 gegründet. Es gibt vier<br />
Frauenhäuser, die misshandelten<br />
und/oder bedrohten<br />
Frauen und ihren Kindern<br />
Schutz und Hilfe bieten.<br />
Insgesamt stehen etwa<br />
175 Plätze für Frauen und<br />
Kinder zur Verfügung.<br />
Für Frauen, die nicht in<br />
einem Frauenhaus wohnen<br />
wollen, aber dennoch Hilfe<br />
und Beratung brauchen,<br />
steht eine ambulante Beratungsstelle<br />
zur Verfügung.<br />
Die Beratungen sind anonym<br />
und kostenlos.<br />
Weiters betreibt der Verein<br />
einen Übergangswohnbereich<br />
mit 54 Wohnplätzen für<br />
Frauen und ihre Kinder, die<br />
den Schutz der Frauenhäuser<br />
nicht mehr brauchen,<br />
jedoch weiterführende<br />
psychosoziale Betreuung<br />
benötigen.<br />
»Die Praxis zeigt, wie wichtig<br />
in Fällen der Kindesentziehung<br />
die Unterstützung<br />
durch Botschaften ist.<br />
«<br />
nie mehr wiederzusehen, die Angst, das Kind an<br />
einen Menschen zu verlieren, der Gewalt ausübt.<br />
Betroffene Mütter sind immer in einer psychischen<br />
Ausnahmesituation; sie kämpfen, fühlen<br />
sich ohnmächtig, im Stich gelassen und fordern<br />
in dieser psychischen Verfassung uns alle, die<br />
wir versuchen ihnen zu helfen, mit Verhaltensweisen,<br />
die unhöflich und auch kontraproduktiv<br />
sind. Wenn wir uns aber vorstellen, was wir<br />
selbst täten, wären unsere Kinder von heute auf<br />
morgen irgendwo weit weg gebracht, würden<br />
auch wir wahrscheinlich Handlungen setzen, die<br />
nicht die Zustimmung aller hätten.<br />
Für die Kinder wiederum bedeutet die Entführung,<br />
dass sie in den meisten Fällen von ihrer<br />
Hauptbezugsperson rücksichtslos weggerissen<br />
werden. Weil sie oft nicht begreifen können, was<br />
passiert ist, fühlen sie sich von ihrer Mutter im<br />
Stich gelassen, was vom Vater oftmals noch bekräftigt<br />
wird, oder hören teilweise sogar, dass<br />
ihre Mutter tot sei.<br />
Im schlimmsten Fall, und das sind leider<br />
keine Einzelfälle, verlässt der Vater die Kinder,<br />
nachdem er sie zu irgendwelchen Verwandten<br />
verbracht hat, und kehrt zurück nach Österreich.<br />
In diesen Fällen müssen die Kinder in einer Umgebung<br />
und mit Menschen leben, die sie nie zuvor<br />
gesehen haben. Sie müssen in einer neuen<br />
Umgebung zurechtkommen und sind manchmal<br />
nicht einmal der dortigen Sprache mächtig. Verlusttraumata<br />
sind quasi vorprogrammiert.<br />
Die Praxis zeigt, wie wichtig in Fällen der Kindesentziehung<br />
die Unterstützung durch Botschaften<br />
ist, denn sie sind weltweit wichtige Player im<br />
Falle von Kindesentführungen, kennen sie doch<br />
die Gesetze vor Ort, haben Kontakte zu „wichtigen“<br />
Menschen, können aber auch mit der Empfehlung<br />
eines/einer guten Rechtsanwaltes/-anwältin weiterhelfen.<br />
Manchmal ist es auch eine Gratwanderung,<br />
einerseits der Mutter zu ihrem Recht zu verhelfen<br />
und andererseits die Gesetze des jeweiligen<br />
Landes zu respektieren. Hier sind viel Diplomatie,<br />
hohe interkulturelle Kompetenz und eine realistische<br />
Einschätzung davon, was im jeweiligen Land<br />
möglich ist, gefragt, um die Fälle vor Ort abzuwickeln.<br />
Die österreichischen Botschaften haben<br />
uns in der Praxis dieses diplomatische Geschick<br />
immer wieder bewiesen und auch die koordinierende<br />
Abteilung des Außenministeriums nimmt<br />
dankenswerterweise ihre wichtige Rolle beim<br />
Thema Kindesentziehung sehr ernst. •<br />
<strong>SOCIETY</strong> 1_<strong>2016</strong> | 61