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durchblick 2/2016

Autorenzeitschrift nicht nur für Senioren aus dem Siegerland

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Gesellschaft<br />

Verstehen und Verstanden werden<br />

Sprache verbindet; sie ist Voraussetzung dafür, dass wir<br />

miteinander leben können. Sprache stiftet Verbindung<br />

und ermöglicht Abgrenzung. Der eigene Dialekt ist<br />

für viele Menschen ein wichtiger Bestandteil ihres täglichen<br />

Lebens; er ist die Sprache der Heimat, Vertrautheit und Gemeinschaft<br />

1) . Aber allein im Dialekt – ohne eine verbindende<br />

Gemeinsprache – waren Austausch und Verständigung früher<br />

nur innerhalb bestimmter Radien möglich. Diese Barriere<br />

beklagte Martin Luther mit der Aussage …Die Osterreicher<br />

vnd Beiern verstehen die Düringen vnd Sachsen nicht… 2) .<br />

Für Dialektsprecher ist die Zugehörigkeit zu einem bestimmten<br />

Ort erkennbar, der Dialekt schafft Nähe. Selbst<br />

für deutsche Urlauber, die in der tiefsten anatolischen Provinz<br />

auf Türken trafen, die astrein Kölsch sprachen. Es handelte<br />

sich um ehemalige Gastarbeiter aus den Kölner Ford-<br />

Fabriken. Und der Fremdenführer („Guide“) im Pantanal,<br />

einem brasilianischen Naturschutzgebiet, erklärte die Welt<br />

in unverwechselbar sächsischem Dialekt. Für uns Touristen<br />

aus Westfalen war dies ebenfalls Sprache der Heimat, sie<br />

war Grundlage für Vertrautheit und Gemeinschaft.<br />

Wir sprechen mit dem ganzen Körper<br />

In unserer Sprache bringen wir unsere ganz eigene<br />

Welt zum Ausdruck - unsere Weltanschauung, – so wie<br />

wir sie sehen und erfahren haben oder erträumen. Diese<br />

unvermeidliche Selbstoffenbarung in der Nachricht bedeutet,<br />

Wenn einer etwas von sich gibt, gibt er auch etwas<br />

von sich – dieser Umstand macht jede Nachricht zu einer<br />

kleinen Kostprobe der Persönlichkeit… 3) . Damit ist auch<br />

ausgedrückt, dass innerhalb unserer Muttersprache viele<br />

Sprachwelten existieren, deren Inhalte und Ausdrucksweisen<br />

nicht allen zugänglich sind.<br />

Sprachwelten<br />

Wir leben in einer bestimmten Generation, in einer bestimmten<br />

Zeit und füllen unterschiedliche Rollen aus. In<br />

jeder dieser Gruppen verständigen wir uns anders. Außerdem<br />

gibt es für viele Bereiche eine ausgeprägte Fachsprache;<br />

für einen medizinischen Befund z.B. muss der Arzt<br />

alle Einzelheiten des menschlichen Körpers und seiner Zuständlichkeiten<br />

bezeichnen können. Das geschieht in griechisch-lateinischen<br />

Ausdrücken, die für unsere alltägliche<br />

Sprache unbedeutend sind. Natürlich kann Fachsprache<br />

den Nimbus des Besonderen verleihen, sie kann auch als<br />

Instrument der Ausgrenzung oder Manipulation eingesetzt<br />

werden. Im Übrigen ist das Rederecht und die Weise, mit<br />

der man jemandem etwas sagt, eng mit Beziehungsfragen<br />

und gesellschaftlichen Rollenverteilungen verbunden. Und<br />

zwischenmenschliche Konflikte entstehen vor allem, wenn<br />

die Beteiligten wenig Bereitschaft zeigen oder unfähig<br />

sind, die Sprache anderer zu verstehen.<br />

Politische Sprache<br />

Mit Sprache wird unser Denken und Handeln beeinflusst,<br />

mit ihrer Hilfe wird Politik gemacht. Und dann geht es selten<br />

darum, bestimmte Begriffe, wie etwa Zuwanderung,<br />

Wirtschaftswachstum oder den demografischen Wandel<br />

sachlich und mit klassischer Vernunft zu behandeln. Sprache<br />

wird vielmehr mit Deutungsrahmen (engl „Frames“)<br />

eingesetzt, um eine gewollte Entscheidung als zwingend<br />

und „alternativlos“ erscheinen zu lassen. Mit „Framing“<br />

wird die Diskussion auf ein Ziel und einen Wert gelenkt,<br />

dem alle anderen untergeordnet werden.<br />

Der Deutungsrahmen einer „demographischen Zeitbombe“<br />

löst z.B. unterschwellig das Empfinden einer<br />

tödlichen Gefahr für nachfolgende Generationen aus. Verantwortlich<br />

sind die Älteren mit ihren Rentenansprüchen<br />

und Krankheitskosten. Damit werden Kürzungen in der<br />

Kranken- und Rentenversicherung zum Ausdruck von Generationengerechtigkeit.<br />

Andere in dem Zusammenhang<br />

eingesetzte Begriffe wie „drohende Überalterung“ werten<br />

das Alter und die alte Generation ab und blockieren deren<br />

Gegenwehr. Der umfassende und teils erschreckende Einfluss<br />

von „Framing“ auf unser Denken und Handeln kann<br />

kaum überschätzt werden; die Sprachwissenschaftlerin Elisabeth<br />

Wehling belegt dies an Beispielen zu Themen wie<br />

Steuern, Arbeit, Terrorismus, Zuwanderung und Umwelt (4) .<br />

Sprachwandel<br />

Jede Sprache verändert sich. Das Erste was sie verliert,<br />

ist das, was für einfache Kommunikationszwecke nicht<br />

benötigt wird: Das sind vor allem grammatikalische Regeln;<br />

seit Bastian Sicks Bestsellern weiß man, dass z.B.<br />

der Genitiv bereits einen aussichtslosen Kampf kämpft<br />

(„…wegen einem Leitungsschaden…“). Weitere Motoren<br />

des Sprachwandels finden sich im Einfluss des Englischen,<br />

in der Globalisierung sowie in neuen Kommunikationsformen<br />

wie Twitter und Facebook.<br />

Seit den siebziger Jahren erleben die Deutschen, wie das<br />

eigene Land von fremden Menschen, Kulturen und Sprachen<br />

mitgeprägt und der Alltag auf eine unübersehbare Weise vielsprachig<br />

wird. Migranten bringen ihre eigene Sprache mit,<br />

sie greifen auf Strukturen ihrer Muttersprache zurück, die<br />

sich z.B. als neudeutsche Ausdrücke („ein Tor machen“) und<br />

Steigerungsform („mehr geeignet“) einbürgern. Allerdings<br />

verändert sich vor allem das gesprochene Deutsch, die Umgangssprache.<br />

Das behördliche Schriftdeutsch ist eher träge<br />

und so vergrößert sich die Distanz zwischen geschriebenem<br />

und gesprochenem Deutsch zunehmend.<br />

Erich Kerkhoff<br />

Homepage des Siegerländer Sprachatlas, zitiert in Georg Cornelissen: ‚Kleine Sprachgeschichte<br />

von Nordrhein Westfalen‘, S. 99, Greven Verlag Köln, 2015. Georg Cornelissen,<br />

S. 73. Schultz von Thun.Elisabeth Wehling: „Politisches Framing. Wie eine Nation sich ihr<br />

Denken einredet – und daraus Politik macht“. Herbert von Halem Verlag, <strong>2016</strong><br />

2/<strong>2016</strong> <strong>durchblick</strong> 19

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