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durchblick 2/2016

Autorenzeitschrift nicht nur für Senioren aus dem Siegerland

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Historisches aus dem Siegerland<br />

Fast vergessene Orte<br />

Willi Zöller an dem Ort, der in seiner Schulzeit für ihn eine große Bedeutung hatte:<br />

Der Bunker in der Rosterstraße unterhalb der Diesterwegschule<br />

Beim Gang durch die Stadt passiert es mir hin und<br />

wieder, dass ich an einem Haus, einer Brücke, einem<br />

Brunnen oder einem Kunstwerk vorbeikomme, bei<br />

dem ich gerne sofort Fragen stellen würde: Seit wann steht<br />

das hier, was war früher hier, welche Bedeutung hatte es einmal?<br />

Orte, die kaum jemand bewusst wahrnimmt, obwohl sie<br />

unter Umständen eine bewegte Geschichte haben, die aber in<br />

Vergessenheit zu geraten drohen, da es immer weniger Menschen<br />

gibt, die darüber etwas erzählen können. Da diese Orte<br />

oft unscheinbar sind oder versteckt, von der Natur teilweise<br />

überwuchert, nimmt manch ein Spaziergänger kaum Notiz<br />

davon. Wie gut, dass es Siegener wie Willi Zöller gibt. Mit<br />

ihm traf ich mich in der Rosterstraße vor einer merkwürdigen<br />

Tür und er erzählte mir aus seiner Schulzeit:<br />

„Bis zum schweren Bombenangriff am 16.12.1944 lief<br />

der Schulbetrieb eigentlich ziemlich normal. Danach häuften<br />

sich Alarme und akute Luftgefahr und alle Klassen mussten<br />

immer wieder in den Bunker unterhalb unserer Schule,<br />

der heutigen Diesterwegschule am Rosterberg. Zu unserem<br />

Leidwesen meinte unser Klassenlehrer Herr Schoning (Rektor<br />

war Herr Schnutz), selbst im Halbdunklen sei Kopfrechnen<br />

noch gut möglich und dies wurde auch praktiziert.<br />

Etwa nach dem zweiten Großangriff am 1.2.1945 habe ich<br />

die Schule nicht mehr besucht. Ob der Schulbetrieb über eine<br />

Bekanntmachung oder sonst wie offiziell und ab wann eingestellt<br />

wurde, ist mir bis heute nicht bekannt. Nach Kriegsende<br />

begann für uns, aber nur für die 8. Klasse, nach Hörensagen<br />

oder wie auch immer der Unterricht wieder etwa September/<br />

Oktober 1945 in der Hammerhütter Schule in der Koblenzer<br />

Straße unter Rektor Bruski in einem notdürftig hergerichteten<br />

Raum mit zum Teil Pappdeckel vor den Fenstern und<br />

einem Kanonenofen mit einem Ofenrohr aus einer Fensteröffnung.<br />

Die Toilettenanlage war nicht intakt. Unvergessen<br />

ist die alsbald verabreichte „Quäkerspeise“, die von den<br />

kräftigsten Jungen am Ende der Eintracht (damals Stadtpark,<br />

heute Siegerlandhalle) in Milchkannen geholt werden musste<br />

und vom Rektor persönlich in die jeweils von den Schülern<br />

mitgebrachten Becher per Schöpfkelle eingeschenkt wurde.<br />

Es kam auch vor, dass er fragte: „Warst du nicht eben schon<br />

mal hier?“ Die Jungs mit den Milchkannen waren mit der<br />

Zeit auf die Idee gekommen, die Kannen unterwegs schon<br />

mal um den „Trägerlohn“ zu „erleichtern“. Dazu wurde in<br />

einem Versteck der Deckel abgehoben, gefüllt und reihum<br />

geleert. Irgendwann stellte schließlich Herr Bruski fest, dass<br />

die Kannen nicht mehr richtig gefüllt wären. Er wollte sich<br />

bei der Kommandantur beschweren. Die Jungs allerdings<br />

sind nie befragt worden. Etwa im Mai/Juni 1946 wurden wir<br />

in die Schule an der Frankfurter Straße unter Rektor Schönhoff,<br />

wahrscheinlich wieder konfessionell getrennt, verlegt,<br />

obwohl die Schulzeit eigentlich abgelaufen war. Wer eine<br />

Lehrstelle bekam, konnte dann die Schule verlassen.<br />

Etwa im März 1945 hieß es, die HJ-Jungs Jahrgang 1929<br />

hätten sich bei der Leitstelle Bunker Kaisergarten sozusagen<br />

zur Einberufung zu melden. Mein Bruder war Jahrgang<br />

1929. Nach Beratung mit einigen weiteren Betroffenen<br />

wurde einfach nichts unternommen, was natürlich schlimme<br />

Folgen hätte haben können. Alle haben aber zum Glück<br />

nichts mehr gehört und gesehen. Das Chaos war vermutlich<br />

schon zu weit fortgeschritten. Aber auch hier stellt sich mir<br />

im Nachhinein wie so oft die Frage was „hieß es“ für eine<br />

Bedeutung eigentlich hatte.<br />

Wo kam das her, wer sagte<br />

was, welch amtlichen Charakter<br />

kam dem zu?<br />

Ähnlich war das mit der<br />

Beendigung der Bunkerzeit.<br />

Nachdem die Amerikaner<br />

Anfang April 1945 den<br />

Rosterberg und Umgebung<br />

eingenommen hatten „hieß<br />

es“, alle könnten nach Hause<br />

gehen. Wer hat das bestimmt,<br />

angeordnet?<br />

Obwohl die Bürokratie<br />

nach meinem Eindruck auch<br />

in der schwersten Zeit allgegenwärtig<br />

war, gingen viele<br />

Ereignisse doch sehr unbürokratisch<br />

nach „Hörensagen“<br />

über die Bühne.“<br />

Willi Zöller/Uli Hoffmann<br />

36 <strong>durchblick</strong> 2/<strong>2016</strong><br />

Foto: Rita Petri

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