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durchblick 2/2016

Autorenzeitschrift nicht nur für Senioren aus dem Siegerland

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lange Zeit dem weiblichen Geschlecht und der Welt der<br />

Arbeit vorbehalten. Nicht dem Meer, der Ewigkeit, dem<br />

Himmel, dem Transzendenten, was wir heute eher mit Blau<br />

verbinden. So wurde Maria in der christlichen Kunst über<br />

Jahrhunderte als „Schutzmantelmadonna“ in einem weiten<br />

blauen Mantel dargestellt. Im Altertum galt Ultramarinblau,<br />

das Königsblau, schlechthin als kostbarste Malerfarbe:<br />

aus dem Edelstein Lapislazuli mit goldglänzenden<br />

Pyrit-Einsprengseln - „Ultra Marin“, also „von jenseits des<br />

Meeres „ - hergestellt. Man denkt wieder an den Künstler<br />

Yves Klein aus dem 20. Jahrhundert. Schön und edel war<br />

für Goethe Rot als Symbol der Vernunft.<br />

Die Psychologin Eva Heller hat sich jahrelang intensiv<br />

mit der Wirkung von Farben beschäftigt. Wie unterschiedlich<br />

nach Kultur, Geschlecht und Zeitgeist wirken die immer<br />

gleichen Farben auf uns Menschen. Bis heute gilt eine<br />

subjektive Wahrnehmung. Die einen sehen in Gelb etwas<br />

Giftiges und als Symbol für Neid, Gier und Eifersucht. Positiv<br />

war Gelb aber auch schon bei Goethe besetzt mit den<br />

Attributen Verstand und gut.<br />

Wie die Herstellung von Malerfarben war auch die Färberei<br />

im Mittelalter ein Geheimwissen und wurde nur ansatzweise<br />

überliefert. Eva Heller beschreibt beispielsweise<br />

das Blaufärben. Erst wurde mit Blättern der einheimischen<br />

Färberpflanze Waid, dann mit dem importierten Indigo ein<br />

Farbsud angesetzt. Später kam Alkohol dazu oder - günstiger<br />

– der Urin von Männern, die viel Alkohol getrunken<br />

hatten, um die Gärung voranzubringen. Daher die Redensart<br />

Blaumachen oder Blausein. Das Färben war eine stinkende,<br />

körperlich sehr harte Arbeit und oft mit dem Einatmen und<br />

Berühren von giftigen Stoffen begleitet. Die Stoffe waren<br />

„billig“, also eher schwarz-blau und stumpf – weit entfernt<br />

vom Königsblau. Irgendwie kommen mir dabei aktuelle Bilder<br />

aus Bangladesch oder China in Erinnerung, wohin wir<br />

heute die schmutzigen und gefährlichen Arbeiten ausgelagert<br />

haben. Ohne diese fleißigen Hände gäbe es heute nicht an<br />

jeder Ecke Bluejeans - ein Dauerbrenner in der Mode der<br />

letzten Jahrzehnte in immer neuen Variationen – ob verätzt,<br />

destroyed (zerstört) oder klassisch für 9,99 Euro beim Discounter<br />

oder hochpreisig für mehrere 100 Euro Scheine in<br />

edlen Boutiquen. Echter Jeansstoff muss bis heute mit Indigo<br />

gefärbt sein.<br />

Mit der Farbe Weiß feiern wir in unserer Kultur das<br />

Leben. Bei der Kommunion, bei Hochzeiten und seit einigen<br />

Jahren in den Metropolen Europas bei den „White<br />

Dinners“ in lauen Sommernächten. Die weißen Nächte<br />

von St. Petersburg oder das Mittsommerfest in Schweden<br />

zur Sommersonnenwende werden gefeiert, weil die<br />

Nächte in dieser Jahreszeit kaum dunkel werden. Seit<br />

1988 gibt es das „White Dinner“ zuerst in Paris. Andere<br />

Metropolen folgten. Es ist ein elegantes Outdoor Dinner,<br />

alle Teilnehmer kleiden sich in Weiß, sie treffen<br />

sich an einem öffentlichen Platz in der Innenstadt und<br />

nehmen an mitgebrachten Tischen ein dreigängiges Menü<br />

ein und edle Getränke, alles mitgebracht. Verabredet<br />

wird sich natürlich über die sozialen Medien oder über<br />

Freunde und Bekannte. Da es eine nichtkommerzialisierte<br />

Veranstaltung bleiben soll, ist Ort und Datum meist<br />

Foto: Gebr.-Busch-Kreis Hilchenbach<br />

geheim. Aus der ursprünglich exklusiven Fest-Veranstaltung<br />

ist inzwischen ein Event geworden, das jedem offen steht. In<br />

Deutschland gab es White Dinners nicht nur in den Metropolen<br />

Berlin, München und Hamburg. Das öffentliche Festmahl<br />

zieht immer weitere Kreise.<br />

2014 feierte das „Diner en blanc“ auch in Hilchenbach,<br />

damals auf dem Marktplatz, seine Premiere. Erfolgreich<br />

veranstaltete der Gebrüder-Busch-Kreis in Zusammenarbeit<br />

mit der Stadt das außergewöhnliche Picknick im Freien<br />

– in leicht abgewandelter Form. Vielleicht findet die Idee<br />

demnächst auch in Siegen Freunde. Die neuen Ufer an der<br />

Sieg, oberes oder unteres Schloss wären vielleicht einen<br />

Versuch wert, auch hier ein „White Dinner“ zu wagen.<br />

Schon immer haben sich Gelehrte, Wissenschaftler und<br />

Künstler natürlich mit dem Phänomen Farbe auseinandergesetzt.<br />

Im Kunstunterricht an der Schule oder in den Malklassen<br />

der Akademien gehört immer auch das Fach Farbtheorie<br />

dazu. Vor allem der Bauhauslehrer Johannes Itten war ein<br />

Wegbereiter der künstlerischen Farbtheorie. Er beschäftigte<br />

sich in den 20-iger Jahren des letzten Jahrhunderts mit der<br />

Wirkung der Farben und dem Zusammenwirken von Form<br />

und Farbe. Seitdem gehören Begriffe wie Grund- und Komplementärfarben<br />

zum Rüstzeug für angehende Künstler. Und<br />

jedes Kind weiß, was passiert, wenn man Blau und Gelb<br />

mischt. Es entsteht Grün. Trotz aller Theorie gehört aber immer<br />

noch Intuition und Kreativität dazu, die rechte Farbe auf<br />

den richtigen Fleck der Leinwand zu setzen.<br />

Heute in unserer reizüberfluteten Zeit fühlen wir uns<br />

manchmal auch von Farben bedrängt. Alles wimmelt von<br />

oft grellen, ja kreischenden Farben. Wie wohltuend ist es<br />

dann manchmal wieder in den Schwarz-Weiß Modus zu<br />

wechseln. Bei alten Filmen, beim Betrachten von alten<br />

Fotos. Kein Wunder, dass Schwarz-Weiß Fotografie auch<br />

heute wieder einen hohen Stellenwert genießt und bewusst<br />

als künstlerisches Mittel eingesetzt wird. Und alte Filme<br />

wie „Der dritte Mann“ oder „Alexis Sorbas“ faszinieren<br />

uns noch heute ganz ohne Technicolor.<br />

In diesen unsicheren Zeiten sind also die Trendfarben<br />

Rosa und Hellblau für uns vorgesehen. Was soll uns das<br />

sagen? „Bleiben Sie heiter – irgendwie“. Tessie Reeh<br />

Quellen: Eva Heller „Wie Farben wirken“, Reinbek 1995. „Schwarz-Weiß war gestern“,<br />

Süddeutsche Zeitung vom 24./25.März <strong>2016</strong>. www.hilchenbach.de „Dinner in Weiß“<br />

„Dinner in Weiß“, beliebte Veranstaltung in Hilchenbach<br />

2/<strong>2016</strong> <strong>durchblick</strong> 35

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