16.09.2016 Aufrufe

durchblick 2/2016

Autorenzeitschrift nicht nur für Senioren aus dem Siegerland

Autorenzeitschrift nicht nur für Senioren aus dem Siegerland

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Auf'n Kaffee mit Henner – Satire von Uli Hoffmann<br />

Foto: Fotolia.de<br />

In einem Siegener Café trifft der Autor regelmäßig seinen Freund<br />

Henner, einen Lebenskünstler, der immer wieder mit verrückten,<br />

aber kreativen Ideen verblüfft.<br />

Panta Rhei<br />

Leute mit Einkaufstüten kamen mir entgegen, als ich<br />

in der Bahnhofstraße unterwegs war, um mich wie<br />

immer im Café mit meinem Freund Henner zum<br />

Schwätzchen zu treffen. Offensichtlich gaben noch immer<br />

viele der Siegener Geschäftsleute die kostenlosen Plastiktüten<br />

heraus, obwohl auch hier eifrig diskutiert wurde, ob<br />

man aus Gründen des Umweltschutzes auf dieses künftige<br />

Abfallprodukt gänzlich verzichten sollte, was ja bereits von<br />

einigen Läden praktiziert wurde. Ich versuchte mir gerade<br />

vorzustellen, wie hoch der aufgetürmte Müllberg all der<br />

an einem Tag in Siegen benutzten Plastiktüten sein würde,<br />

als ich an der Ecke zum Bahnhofsvorplatz fast mit meinem<br />

Freund Henner zusammengestoßen wäre. „Schur“, rief er,<br />

„sollen wir bei dem schönen Wetter heute mal den Cappuccino<br />

ausfallen lassen und ein Stück gehen. Ich will dir etwas<br />

zeigen.“ Ich willigte sofort ein, zumal die Sonne heute für<br />

Siegener Verhältnisse ungewöhnlich lange von einem kräftig<br />

blauen Himmel schien.<br />

Wir schlenderten los, gingen zurück durch die Bahnhofstraße,<br />

bis Henner plötzlich zielstrebig nach links in<br />

Richtung Siegufer abbog. Er deutete auf die neu gestalteten<br />

Stufen am Flussufer und sagte: „Komm, wir setzen<br />

uns hierhin!“ Wir nahmen etwa auf halber Höhe Platz und<br />

schauten versonnen der ruhig dahinplätschernden Sieg zu.<br />

Siegen zu neuen Ufern hieß das Projekt der Stadterneuerung,<br />

zu dem die Freilegung des Flusses durch Abriss der<br />

Siegplatte gehörte. Ich musste an diesem schönen Tag den<br />

Stadtplanern Recht geben: Dieser Teil Siegens hat durch die<br />

Umgestaltung zweifelsfrei gewonnen. Während ich mich so<br />

meinen Gedanken hingab, sagte Henner auf einmal: „Panta<br />

rhei.“ Verdutzt entgegnete ich: „Wie meinen?“ „Panta<br />

rhei“, wiederholte mein Freund, „Alles fließt. Du erinnerst<br />

dich? Griechische Philosophie? Oder hast du das Wissen<br />

aus der Schulzeit bereits entsorgt?“ „Panta rhei. Alles klar.<br />

Aber du willst jetzt nicht mit einem altgriechischen Spruch<br />

glänzen und mir damit die Neuigkeit verkünden, dass unsere<br />

Sieg ein Fließgewässer ist?“, fragte ich. Henners Antwort<br />

kam prompt: „Natürlich nicht. Mit dem Ausspruch<br />

meine ich vordergründig allerdings die Fließbewegung des<br />

Wassers, aber hauptsächlich das große Ganze, das dahintersteckt.“<br />

„Du meinst das stadtplanerische Konzept?“, entgegnete<br />

ich. „Auch. Und alles fließt bedeutet ja auch, dass<br />

es ja immer weitergeht und dass man Dinge gedanklich<br />

fortschreiben muss“, konstatierte Henner. Gedanklich fortschreiben<br />

war mal wieder eine brillante Formulierung, die<br />

zum Weltbild meines Freundes passte. Böse Zungen hätten<br />

jetzt behauptet, auf Henner bezogen bedeute dies eher spinnerte<br />

Ideen. Gespannt legte ich los: „Also jetzt raus damit!<br />

Du brütest doch wieder etwas aus.“ Mit stolzer Miene verkündete<br />

Henner: „Als ich gestern hier saß und auf die Sieg<br />

schaute, dachte ich mir: Aus diesem schönen Stück Fluss<br />

müsste doch mehr zu machen sein!“ Jetzt war ich gespannt.<br />

Henner war ja immer für etwas Originelles gut. „Als erstes<br />

könnte man ja diese Stufen als Tribüne nutzen, für eine<br />

Regatta. Start ist am Kino an Reichwalds Ecke, Ziel beim<br />

Apollo. Zugegeben, eine Kurzregatta um den Apollo-Cup.“<br />

Ich versuchte, ernst zu bleiben, was mir aber nicht ganz<br />

gelang: „Aber der Deutschland-Achter wird hier wohl kaum<br />

Platz finden, oder?“ „Natürlich nicht, maximal Zweier-Kajak<br />

würde reichen“, erwiderte mein Freund. Er ließ seinen<br />

Blick über die gesamte Flussbreite schweifen und fuhr fort:<br />

„Und für die kleinen künstlichen Inseln habe ich auch eine<br />

Idee. Siegen ist ja eine Stadt mit Statuen, Skulpturen<br />

und Denkmälern. Allen voran Bergmann und Hüttenmann<br />

und der Berliner Bär. Da hätte ich ein neues zusätzliches<br />

Wahrzeichen: Auf eine Insel gehört ein kleiner Leuchtturm,<br />

allein der Sicherheit wegen. Mittelfristig sehe ich auch,<br />

dass der Fluss als Verkehrsweg genutzt werden sollte.“ Ich<br />

konnte meine Ironie nicht mehr zügeln: „Ach so, eine Weiße<br />

Flotte für Siegen, Containerschiffe, die vom Kreuztaler<br />

Umschlagbahnhof kommen, Fähren usw“, frotzelte ich. Pikiert<br />

entgegnete mein Freund: „Nimm meine konstruktiven<br />

Ideen doch einmal ernst! Ich habe dabei eher an Hamburg<br />

gedacht. Die setzen jetzt im Hafen einen schwimmfähigen<br />

Bus ein. Der könnte von Weidenau bis hierhin im Flussbett<br />

fahren. Das wäre eine Superattraktion für unsere Stadt und<br />

würde zudem noch die VWS entlasten.“<br />

Beeindruckt, aber keineswegs überzeugt fragte ich:<br />

„Toll, aber wie beurteilst du die Realisierungsmöglichkeiten?“<br />

„Das Leuchtturmprojekt ließe sich sofort verwirklichen“,<br />

erklärte Henner, „für die Regatta und den<br />

Flussbus sind noch Vorarbeiten nötig: Das Flussbett müsste<br />

von großen Steinen befreit und vertieft werden. Für dieses<br />

Projekt habe ich sogar schon einen zugkräftigen Namen<br />

gefunden: Siegen – die Stadt mit Tiefgang. Panta rhei! Und<br />

ich habe einen Traum: Wie schön wäre es, wenn wir von<br />

hier mit Kreuzfahrtzubringerschiffen nach Rotterdam mit<br />

Anschluss in die Karibik fahren könnten.“ Nach diesem<br />

kreativen Stadtspaziergang kam ich nicht umhin, meinen<br />

Freund Henner auf ein Bier einzuladen. <br />

<br />

2/<strong>2016</strong> <strong>durchblick</strong> 43

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!