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KULTUR<br />
«Raucht<br />
e<strong>in</strong> Tourist,<br />
bee<strong>in</strong>flusst<br />
das unsere<br />
Messungen»<br />
Forschungsstation: Der alte Lift ist nur für das Betriebsleiterpaar (oben.)<br />
Der berufliche Alltag der Betriebsleiter<br />
ist klar strukturiert, die Möglichkeiten<br />
für Aktivitäten neben dem Beruf<br />
bleiben äusserst limitiert. Wird es<br />
den Fischers nie langweilig? Mart<strong>in</strong><br />
lacht. «Nie! Es gibt immer wieder<br />
neue Geräte, ich lerne unentwegt<br />
dazu.» Und das Sozialleben sei nicht<br />
dermassen beschränkt, wie man vielleicht<br />
annehme. Tagsüber arbeiteten<br />
viele Leute hier. «Und im Sommer besuchen<br />
wir regelmässig die Hüttenwarte<br />
der Mönchsjochhütte.»<br />
Die Abende <strong>in</strong> der Privatwohnung<br />
oberhalb des Wissenschaftlerhotels<br />
s<strong>in</strong>d ruhig. Neben den Betriebsleitern<br />
übernachtet nur noch e<strong>in</strong> Bahnangestellter<br />
auf dem Jungfraujoch. «Am<br />
Abend tun wir das, was auch die meisten<br />
Menschen im Tal tun», sagt Joan,<br />
«wir essen, lesen, schauen fern.» Der<br />
grosse Vorteil ihres Arbeitslebens sei<br />
die elftägige Pause nach jedem<br />
Arbeitse<strong>in</strong>satz. «Das ist wie Ferien.<br />
Wir führen praktisch zwei Leben.»<br />
Mart<strong>in</strong> bestätigt: «Vieles mache ich<br />
nur hier, anderes nur, wenn wir <strong>in</strong><br />
Brienz s<strong>in</strong>d. Unten setze ich mich<br />
überhaupt nie an den Computer –<br />
stattdessen steige ich oft aufs Velo.»<br />
Interessant sei, wie sich die beiden Leben<br />
auf die Wahrnehmung auswirkten,<br />
me<strong>in</strong>t Joan: «Wenn ich <strong>in</strong>s Tal<br />
fahre, b<strong>in</strong> ich jedes Mal überwältigt<br />
von den Farben – das Auge gewöhnt<br />
sich hier oben an das viele Weiss.»<br />
Die klimatischen Veränderungen<br />
s<strong>in</strong>d hier oben sicht- und spürbar<br />
Allerd<strong>in</strong>gs: Vom Weiss gibt es immer<br />
weniger. Wie dramatisch sich das Klima<br />
verändert, zeigen Langzeitmessungen<br />
auf dem Jungfraujoch. Die Fischers<br />
brauchen allerd<strong>in</strong>gs ke<strong>in</strong>e<br />
hochsensiblen Instrumente, um über<br />
den Klimawandel Bescheid zu wissen.<br />
«Wir haben hier zwar garantiert noch<br />
jedes Jahr weisse Weihnachten, aber<br />
die Veränderungen s<strong>in</strong>d sicht- und<br />
spürbar», sagt Mart<strong>in</strong>. «Im ersten Jahr<br />
kam es eigentlich nie vor, dass es regnete,<br />
heute haben wir im Sommer<br />
mehr Regen als Schnee.» Ist es eigentlich<br />
gesund, so viel Zeit <strong>in</strong> der Höhe<br />
zu verbr<strong>in</strong>gen? «Schädlich ist die starke<br />
kosmische Strahlung vermutlich<br />
schon, aber dafür geniessen wir hier<br />
oben saubere Luft», sagt Mart<strong>in</strong>.<br />
«Und das Herz muss stärker pumpen,<br />
das hält die Adern sauber. Alle unsere<br />
Vorgänger wurden jedenfalls uralt.»<br />
An e<strong>in</strong>em so schönen Ort zu arbeiten,<br />
das tue e<strong>in</strong>fach gut. Auch nach 15 Jahren<br />
ist Joan immer wieder h<strong>in</strong>gerissen<br />
von der Aussicht auf dem Jungfraujoch.<br />
«Für uns ist das der schönste<br />
Arbeitsplatz der Welt.»<br />
■<br />
H<strong>in</strong>ter der Forschung auf dem<br />
Jungfraujoch steht die Internationale<br />
Stiftung Hochalp<strong>in</strong>e Forschungsstationen<br />
Jungfraujoch und Gornergrat (HFSJG).<br />
Direktor ist Professor Markus Leuenberger,<br />
Umweltphysiker an der Universität <strong>Bern</strong>.<br />
Wie bedeutend ist die Forschungsstation<br />
auf dem Jungfraujoch?<br />
Sie belegt fraglos e<strong>in</strong>e Ausnahmeposition.<br />
Auf dem Jungfraujoch können wir messen,<br />
wie sich die Luft <strong>in</strong> Kont<strong>in</strong>entaleuropa<br />
zusammensetzt, und prüfen, wie sich das<br />
Kyoto-Protokoll oder das Pariser Abkommen<br />
auf die Konzentration bestimmter<br />
Schadstoffe auswirken. Unsere Station ist<br />
zudem <strong>in</strong> die wichtigsten Netzwerke der<br />
Klima- und Umweltforschung <strong>in</strong>tegriert.<br />
Wie gross ist die<br />
Nachfrage nach<br />
Forschungen auf dem<br />
Jungfraujoch?<br />
Es laufen stets etwa 50 bis<br />
60 Projekte. Bei vielen geht<br />
Professor<br />
Leuenberger<br />
es um das Monitor<strong>in</strong>g von<br />
Luftschadstoffen oder um<br />
klimatische<br />
Veränderungen.<br />
Wer f<strong>in</strong>anziert die Station?<br />
Wir erhalten Gelder von Institutionen, die<br />
unserer Stiftung angeschlossen s<strong>in</strong>d, und<br />
für die Nutzung der Infrastruktur. Etwa die<br />
Hälfte des Budgets trägt der<br />
Schweizerische Nationalfonds.<br />
Wie gross ist das Budget?<br />
Rund e<strong>in</strong>e Million Franken im Jahr.<br />
Das sche<strong>in</strong>t nicht viel ...<br />
Ne<strong>in</strong>, vor allem, wenn man bedenkt, dass<br />
die Station 365 Tage im Jahr betreut wird<br />
und unsere Stiftung auf dem Gornergrat<br />
noch e<strong>in</strong>e zweite Station betreibt.<br />
«Top of Europe» lockt jährlich rund e<strong>in</strong>e<br />
Million Besucher an. Stören diese nicht?<br />
Doch. Das Problem ist die hohe Empf<strong>in</strong>dlichkeit<br />
der wissenschaftlichen Geräte.<br />
Raucht jemand auf der Terrasse, verändert<br />
das die Messresultate umgehend.<br />
So fe<strong>in</strong> s<strong>in</strong>d die Geräte?<br />
Ich würde behaupten, wir könnten sogar<br />
feststellen, ob die Rauchpartikel von e<strong>in</strong>er<br />
Zigarre oder e<strong>in</strong>er Zigarette stammen!<br />
<br />
Marius Leutenegger<br />
1/2016 MADE IN BERN<br />
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