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Lebenslust Gottingen - Winter 2016

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50 KULTUR lebenslust:gö<br />

Der LogenPlatz<br />

❜❜<br />

Wir(r) sind Elite?<br />

❛❛<br />

Der Autor ist weder Germanist, noch gelernter Schauspieler<br />

oder gar Theaterkritiker, sondern einfach Jurist.<br />

Seine Überlegungen zu den Göttinger Theateraufführungen,<br />

die wir an dieser Stelle regelmäßig veröffentlichen, verstehen<br />

sich daher nicht als Expertise. Es handelt sich vielmehr um die<br />

persönlichen Eindrücke eines „ganz normalen Zuschauers“.<br />

Unter der Regie von Katharina Ramser kommt mit „PEAK WHITE oder Wirr sinkt das Volk“ eine etwas<br />

eigentümlich geratene Auftragsarbeit des Autors Kevin Rittberger zur Aufführung im Deutschen Theater.<br />

Auf der klinisch weißen und ansonsten<br />

requisitenlosen Bühne stehen drei einsame<br />

Rollstühle. Die Männer, die dort<br />

Platz nehmen werden, mutieren augenblicklich<br />

zu greisenhaften Menschruinen. Ein vierter<br />

kommt hinzu, ebenfalls im Rollstuhl<br />

sitzend, fährt er ziellos umher. Wir befinden<br />

uns in einer fernen Zukunft und die alten<br />

Männer sind die, die einst – in<br />

unserer Zeit – in der Mitte der<br />

Gesellschaft das Sagen hatten.<br />

Ärzte, Generäle, Macher aus<br />

der Werbebranche und Altintellektuelle.<br />

Die Insignien Ihres früheren<br />

Lebens, die sie in Form<br />

von Orden, Businessanzug oder<br />

Burschenband noch mit sich<br />

führen, wirken seltsam deplatziert<br />

an diesen entkernten Persönlichkeiten.<br />

In Rittmeyers grotesken Dystopie<br />

gewinnt man den Eindruck,<br />

dass in diesen vier kraftlosen<br />

Greisen der letzte Rest des völkischen<br />

Deutschtums angesiedelt<br />

ist, während sich die übrige<br />

Gesellschaft längst weiter entwickelt<br />

hat in ein multinationales<br />

Umfeld, voll Toleranz und<br />

ohne Vorurteile. Eine Entwicklung,<br />

die die Männer auf der<br />

Bühne mit kindgleichem Altersstarrsinn verpasst<br />

haben – eindrucksvoll symbolisiert<br />

durch den gruselig anmutenden Auftritt von<br />

vier Kindern (in Erscheinungsbild und Kleidung<br />

exakte Pendants ihrer senilen Gegenstücke),<br />

die das Versteckspiel vor der längst<br />

real gewordenen multikulturellen Seligkeit<br />

sinnbildlich umsetzen.<br />

Man könnte fast Mitleid haben mit diesen<br />

verirrten Seelen, vor allem, als Amsel, die<br />

Pflegerin, die sie ungeachtet ihrer Fehler liebevoll<br />

umsorgt, wegrationalisiert wird. An<br />

ihre Stelle tritt ein Pflegeroboter, der als die<br />

Fleisch – Entschuldigung – Mechanik gewordene<br />

Inkarnation, der von rechten Kreisen so<br />

gefürchteten Mainstreamdiktatur – daher<br />

kommt. Vordergründig geschlechts-, religions-<br />

und seelenlos ruft er die immer wieder<br />

Marco Matthes, Nikolaus Kühn,<br />

Andrea Strube, Andreas Jeßing und<br />

Florian Eppinger<br />

in ihrem reaktionären Weltbild aufbegehrenden<br />

Pflegeopfer zur Räson und schreckt bei<br />

dieser Gleichschaltung auch nicht vor durchaus<br />

aktiver Sterbehilfe zurück.<br />

Die sehenswerte Verkörperung dieses Roboters<br />

durch Fabian von Berlepsch (der den maschinengleichen<br />

Habitus dieses Androiden<br />

leider nicht stringent durchhält) gehört zu<br />

den Lichtblicken des Abends. Überhaupt, Regisseurin<br />

Katharina Ramser hat sich einiges<br />

einfallen lassen, um die etwas lahme Handlung<br />

aufzupeppen. Andrea Strube, die die<br />

menschliche Pflegerin Amsel mit großer Präzision<br />

exakt so auf die Bühne bringt, wie man<br />

sich eine gleichbleibend freundliche, kantenlos<br />

glatte und in der Hektik des Alltages um<br />

Menschlichkeit bemühte Altenpflegerin<br />

eben vorstellt, muss gleich mehrfach von der<br />

Bühnendecke schweben. Mal<br />

als rosa Plüschengel, mal als<br />

Mistkäfer mit gigantischer<br />

Dungkugel überzeugt Strube<br />

ebenfalls durch einige kurze<br />

Gesangseinlagen.<br />

Dennoch, diese Lichtblicke verpuffen<br />

vor der ansonsten reichlich<br />

überfrachteten Geschichte,<br />

die sich ungelenk müht, aktuelle<br />

Streitthemen mit historischen<br />

Abhandlungen und<br />

zahlreichen, teilweise unverständlichen,<br />

teilweise unpassenden<br />

Anspielungen zu kombinieren.<br />

Für einen ganzen<br />

Theaterabend ist die karikatureske<br />

Inszenierung einiger ewig<br />

Gestrigen, die ohne gesellschaftliche<br />

Resonanz vor sich<br />

hinvegetieren einfach nicht hinlänglich,<br />

zumal die Figuren bis<br />

ins Groteske überzeichnet sind.<br />

Die hier im Wesentlichen praktizierte Wiedergabe<br />

von Stereotypen wirkt bei allen Beteiligten,<br />

insbesondere aber beim Zuschauer,<br />

doch eher ermüdend als anregend.<br />

Foto: Thomas Müller<br />

Schlussendlich fragt man sich, was an diesem<br />

Abend wirrer war, die Konzeption des Stükkes<br />

oder die Gehirne der Hauptfiguren. Dementsprechend<br />

höflich zurückhaltend fällt<br />

auch der Applaus aus, bevor ein schulterzukkendes<br />

Publikum seiner Wege geht. ■

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