Perspektivwechsel Empowerment
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Der Blick nach innen<br />
– der Wandel von Organisationen und ihrem Verständnis von Diversität<br />
und Chancengleichheit in der Sozialen Arbeit<br />
Von Miriam Camara<br />
Wer sind die Menschen und Organisationen, welche die<br />
Angebote Sozialer Arbeit konzipieren, durchführen und<br />
evaluieren? Von welchem Wissen, welchen Ansätzen und<br />
welchem Verständnis von individueller und gesellschaftlicher<br />
Vielfalt sind sie geprägt? Die Antworten auf diese<br />
Fragen sind ausschlaggebend für die Herangehensweisen<br />
von Organisationen bei der Umsetzung ihrer Projekte<br />
und vor allem für die Ausgestaltung ihrer Strukturen<br />
- welche den Rahmen für das Handeln und Wirken<br />
einer jeden Organisation bilden. Wenn wir also einen<br />
Blick auf die Angebote Sozialer Organisationen werfen –<br />
seien es Beratungs-, Sprach- oder <strong>Empowerment</strong>-Angebote<br />
– sollten wir uns gleichzeitig mit der Organisation<br />
als Ganzes beschäftigen: welches Leitbild gibt es, welche<br />
Organisationskultur wird gelebt, wer arbeitet wo und<br />
unter welchen Bedingungen und natürlich welches Verständnis<br />
von Vielfalt und Diversität besteht?<br />
Um jedoch dem Diversitätsverständnis einer Organisation<br />
auf den Grund gehen zu können, bedarf es zunächst<br />
einer grundsätzlichen Definition von Diversität.<br />
Womit haben wir es also zu tun? Die klassischen Diversitätsdimensionen<br />
bestehen i. d. R. aus den Kategorien<br />
bzw. sozialen Konstrukten »Race« bzw. »Herkunft«,<br />
Religion, Gender, Sexualität, Disability und Alter. Diese<br />
sechs Kategorien sind im Prinzip deckungsgleich mit<br />
den geschützten Merkmalen der EU-Gleichbehandlungsrichtlinien<br />
und des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetztes<br />
(AGG). Das Bewusstsein über die Grenzen<br />
einer solchen Kategorisierung für die Beschreibung<br />
von Menschen gewinnt jedoch immer mehr an Substanz:<br />
die klassischen Diversitätsdimensionen reichen<br />
bei weitem nicht aus, um den komplexen Identitäten<br />
von Menschen gerecht zu werden und blenden sogar<br />
wesentliche Dimensionen von Persönlichkeit und die<br />
Einbindung in Machtgefüge aus.<br />
Das traditionelle Verständnis von Vielfalt und Diversität<br />
befindet sich also derzeit im Wandel und muss gerade<br />
auch in der Sozialen Arbeit noch konsequenter hinterfragt<br />
und aufgebrochen werden. Dimensionen wie die<br />
soziale Herkunft oder „Klasse“, Diskriminierungserfahrungen,<br />
sozio-ökonomische Gegebenheiten, Bildung<br />
und Familie – um nur einige zu nennen – sollten somit<br />
ohne Zweifel in einem neuen und kritischen Diversitätsverständnis<br />
als direkte und komplementäre<br />
Einflussfaktoren der klassischen Dimensionen berücksichtigt<br />
und bei der (Weiter-)Entwicklung von Organisationen<br />
und Projekten angewandt werden.<br />
Gerade auch das Verständnis der Merkmale „Herkunft“,<br />
„Ethnie“, „Kultur“ oder „Fremdheit“ bedarf einer radikalen<br />
Veränderung. Hier müssen wir weg von dem differenztheoretischen<br />
Ansatz der „Interkultur“, der vermeintlich<br />
homogene Gruppen konstruiert und soziale oder ökonomische<br />
Problemlagen kulturalisiert und ethnisiert.<br />
Wie beispielsweise im Gender-Mainstreaming sollten<br />
hier vielmehr die Konstruktionsmechanismen bei der<br />
Betrachtung und Bewertung von „Kultur“ und kulturellen<br />
Identitäten unter die Lupe genommen werden –<br />
wer bestimmt auf welcher Grundlage, was Kultur oder<br />
Herkunft ist und wer „dazugehört“ oder „fremd“ und „anders“<br />
ist? Die Konstruktion von Gruppen und deren „kulturellen“<br />
und „ethnischen“ Merkmalen als maßgebliche<br />
Konzeptgrundlagen blenden die Mehrdimensionalität<br />
und Transformationsprozesse kultureller Identitäten<br />
und vor allem gesellschaftliche Machtverhältnisse aus.<br />
In der Folge können wir sowohl bei zahlreichen sozialen<br />
Angeboten als auch in den Strukturen vieler Trägerorganisationen<br />
große Schieflagen entdecken.<br />
Warum also benötigen wir dieses neue Verständnis?<br />
Wozu brauchen wir Vielfalt und Diversität in unseren<br />
Angeboten und Strukturen? Neben der Wertschätzung<br />
von Individualität als solcher, bedarf es einer<br />
Anerkennung von Differenz in Lebensentwürfen und<br />
Biographien. Die Wahrnehmung von individuellen Unterschieden<br />
und gleichzeitig auch Gemeinsamkeiten<br />
schafft neue Möglichkeiten, um individuelle Potenziale<br />
erkennen und fördern zu können. Die Wertschätzung<br />
von Vielfältigkeit und Heterogenität enthält als ein verbindendes<br />
Element Chancen, welche in der Sozialen<br />
Arbeit oft noch ungenutzt brach liegen.<br />
Der Zweck dieses neuen Diversitätsverständnisses besteht<br />
jedoch gleichermaßen in der Notwendigkeit, eine<br />
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