Perspektivwechsel Empowerment
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Menschen die Ausgangssituation dar, aus der heraus<br />
sie sich zur Flucht entscheiden. Neben denen,<br />
die zusammen mit ihrer Familie aufbrechen, fliehen<br />
manche Frauen allein, andere gemeinsam mit ihren<br />
Kindern oder anderen weiblichen Angehörigen. Die<br />
Flucht auf den mittlerweile rar verfügbaren, illegalisierten<br />
und lebensgefährlichen Wegen bedeutet für<br />
viele Frauen und Mädchen mit hoher Wahrscheinlichkeit<br />
erneut, Opfer von sexueller Gewalt und Machtmissbrauch<br />
zu werden. Weil viele von ihnen nicht die<br />
finanziellen Mittel haben, um die Kosten ihrer Flucht<br />
zu zahlen, werden Mädchen und junge Frauen daher<br />
häufig zur Prostitution gezwungen und ausgebeutet.<br />
Sie werden auch Opfer von Menschenhändlern und<br />
Sexsklaverei. Dabei sind es nicht „nur“ die so genannten<br />
„Schlepper“, sondern auch Mitarbeiter von Nichtregierungsorganisationen<br />
oder UN-Schutztruppen,<br />
die diese Gräueltaten verüben [Amnesty International<br />
2016].<br />
An(ge)kommen in Deutschland…<br />
Viele der minderjährigen und erwachsenen Frauen,<br />
die in Deutschland ankommen, haben Ungleichbehandlungen<br />
und Menschenrechtsverletzungen im<br />
Herkunftsland und auf der Flucht erfahren. Teilweise<br />
haben sie mehrfach schwere traumatische Erfahrungen<br />
gemacht und müssen nun einen Umgang mit<br />
den psychischen, physischen und sozialen Folgen finden.<br />
Mit der Ankunft setzen sich jedoch häufig neue<br />
Formen von (struktureller) Diskriminierung und Gewalt<br />
fort: Frauen machen in der rechtlichen Praxis, in<br />
Konfrontation mit Abschiebungen, in Unterkünften<br />
mit fehlenden Schutzräumen und in Auseinandersetzung<br />
mit (strukturellem) Rassismus und Sexismus erneut<br />
traumatisierende Erfahrungen.<br />
Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) von 1951 einzuordnen<br />
[Arbel 2014]. Hier wird als „Flüchtling“ eine<br />
Person verstanden, die aus der „begründeten Furcht<br />
vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität,<br />
Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe oder wegen<br />
ihrer politischen Überzeugung“ ihr Herkunftsland verlassen<br />
musste [UNHCR 1954]. Erst mit nachfolgenden<br />
internationalen Richtlinien [u.a. UNHCR 1991; 2002]<br />
wurde auf die stärkere Berücksichtigung geschlechtsspezifischer<br />
Verfolgungsgründe 6 verwiesen. Auch<br />
wenn die „Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe“<br />
laut GFK entsprechend ausgelegt werden kann, wurden<br />
Frauen, die geschlechtsspezifische Verfolgung<br />
als Asylgrund geltend machen wollten, lange Zeit<br />
nur ungenügend in der deutschen Rechtsauslegung<br />
berücksichtigt [Pelzer 2006 ]. Dies änderte sich mit<br />
Einführung des Zuwanderungsgesetzes im Jahr 2005.<br />
Mit § 60, Abs. 1 AufenthG und in Anlehnung an die<br />
EU-Qualifikationsrichtlinie wurde eine Rechtsgrundlage<br />
geschaffen, nach der ein formaler Schutzanspruch<br />
auch bei geschlechtsspezifischer Verfolgung von<br />
nicht-staatlichen Akteuren besteht 7 . Unter bestimmten<br />
Bedingungen kann demnach eine durch Familienangehörige<br />
verursachte Verfolgung – und somit<br />
Vergewaltigung und häusliche Gewalt – als Asylgrund<br />
geltend gemacht werden.<br />
Diese Entwicklungen sind ohne Zweifel zu begrüßen;<br />
sie sind vor allem dem langjährigen internationalen<br />
Engagement und Wirken feministischer<br />
Arbeit und einem breiten Bündnis von NGOs zu verdanken.<br />
Dennoch ist festzustellen, dass geschlechtsspezifische<br />
Verfolgung nur in einem geringen Maße<br />
anerkannt wird. 8 Die Praxis der Anwendung dieser<br />
gesetzlichen Regelungen zeigt, dass es für Frauen<br />
oft nicht leicht ist, ihren Schutzanspruch geltend zu<br />
machen.<br />
…und rechtlich gleichgestellt?!<br />
Die Rechtstellung und die restriktive Anerkennungspraxis<br />
waren lange Zeit geprägt von einem genderblinden<br />
bzw. männlich dominierten Verständnis<br />
des „Flüchtlings“. Vor dem Hintergrund eines gesellschaftlich<br />
stereotypen und heteronormativen Weltbildes,<br />
welches Frauen kaum als politische Subjekte<br />
wahrnimmt, ist auch die Begriffsdefinition in der<br />
6 UNHCR fasst unter „geschlechtsspezifische Verfolgung“, auf die sich<br />
sowohl Frauen als auch Männer berufen können, u.a. „sexuelle Gewalttaten,<br />
Gewalt in der Familie/häusliche Gewalt, erzwungene Familienplanung,<br />
Verstümmelung der weiblichen Geschlechtsorgane, Bestrafung<br />
wegen Verstößen gegen den Sittenkodex und Diskriminierung von Homosexuellen<br />
(...).“ [UNHCR 2002]<br />
7 Heute regelt § 3b Abs. 1 Nr. 4b AsylG ausdrücklich, dass die Anknüpfung<br />
an geschlechtsspezifische Aspekte, einschließlich der geschlechtlichen<br />
Identität, einen Verfolgungsgrund darstellen können.<br />
8 So wurden 2015 lediglich 1.265 Personen als Flüchtling anerkannt.<br />
Im Vergleich zu den Vorjahren hat die Bedeutung von geschlechtsspezifischem<br />
Schutz jedoch zugenommen [BAMF 2006; 2009; 2015].<br />
7