COMPACT-Magazin 03-2016
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<strong>COMPACT</strong> Politik<br />
Weshalb konnte der Fall derartige Emotionen in<br />
der russlanddeutschen Gemeinde auslösen? Vielleicht,<br />
weil sie das Weltbild der multikulturellen Realitätsverweigerer<br />
noch nicht verinnerlicht haben. Ihre<br />
eigene Migrationsgeschichte macht viele Russlanddeutsche<br />
besonders sensibel für den Merkelschen<br />
Willkommenswahn. «Viele Russen sind auch hierhergekommen»,<br />
sagte Kostja, der bei Frankfurt wohnt und<br />
ebenfalls vor dem Kanzleramt demonstrierte. «Ich bin<br />
mit meinen Eltern herumgelaufen, wir haben darauf<br />
geachtet, dass wir bloß nicht bei Rot die Straße überquerten.<br />
Wir sind hergekommen und haben uns langsam<br />
und vorsichtig umgesehen – was und wie, wo<br />
gibt es Arbeit. Die kommen einfach hierher und Frau<br />
Merkel gibt ihnen alles: Wohnungen und so weiter.<br />
Dabei spucken sie auf alles.»<br />
«Die kommen einfach hierher, und<br />
Frau Merkel gibt ihnen alles.»<br />
Ihren Siedepunkt erreichte die Stimmung auch,<br />
weil Lisas Vergewaltigung keinesfalls ein Einzelfall<br />
ist. Im Gegenteil: Immer wieder begehen Asylbewerber<br />
und muslimische Migranten brutale Sexualstraftaten.<br />
Zur gleichen Zeit, als die Lügenpresse im Januar<br />
in Berlin auf eine «erfundene Vergewaltigung» hoffte,<br />
wurde in Kiel eine junge Frau «von drei Männern<br />
südländischen Aussehens verfolgt, (…) hinter einen<br />
Sicherungskasten gezogen und gegen ihren Willen<br />
angefasst», wie die örtliche Polizei angab. In Lehrte<br />
verfolgten zwei Männer eine 25-Jährige und forderten<br />
sie auf, «die Beine breit zu machen». Einer der<br />
Täter hatte nach Polizeiangaben einen «etwas dunkleren<br />
Teint». Auch die Polizei in Nordstadt ermittelte<br />
Ende Januar wegen einer versuchten Vergewaltigung.<br />
«Der deutsch und arabisch sprechende Gesuchte» ließ<br />
von seinem Opfer ab, nachdem er von einer Personengruppe<br />
gestört wurde. Im hessischen Friedberg entging<br />
eine 48-Jährige nur durch heftigen Widerstand<br />
einer Vergewaltigung durch zwei Männer, die «sich<br />
auf Arabisch unterhalten» hätten.<br />
Putin ist Schuld<br />
Die Nazikeule schüchterte die Russlanddeutschen<br />
nicht ein, die Proteste wurden größer – auch in anderen<br />
Städten gingen mittlerweile Tausende auf die<br />
Straße. Nachdem Moskaus Außenminister Sergej<br />
Lawrow das Thema auf seiner dreistündigen Neujahrs-Pressekonferenz<br />
kurz ansprach, mutierte Lisas<br />
Schicksal zur angeblichen Kreml-Kampagne. Von<br />
«Russen-Propaganda» schrieb die Bild-Zeitung. Der<br />
einstige Tagesthemen-Moderator Ulrich Wickert witterte<br />
die Gelegenheit für eine Verschwörungstheorie.<br />
In der Wirtschaftswoche vom 30. Januar hielt er<br />
es «nicht für ausgeschlossen, dass der russische Geheimdienst<br />
den Begriff ”Lügenpresse” in Deutschland<br />
verbreitet hat». Selbstkritische Töne waren selten.<br />
«Leider ist diese [russische] Propaganda so erfolgreich,<br />
weil es einen massiven Vertrauensverlust bei<br />
uns gibt, in Politik, Medien, Polizei und Justiz. Daran<br />
sind wir selbst schuld, nicht Moskau», betonte allerdings<br />
selbst der als Putin-kritisch bekannte Journalist<br />
Boris Reitschuster im Focus.<br />
Doch gab es die angebliche Kreml-Propaganda im<br />
Fall Lisa überhaupt? Anwalt Danckwardt gab Medien<br />
aus beiden Ländern Interviews. «Das russische Fernsehen<br />
hat meine Äußerungen jedenfalls ungeschnitten<br />
und im Originalton gesendet, teilweise sogar<br />
live. Das ZDF-Morgenmagazin hingegen hat es fertiggebracht,<br />
meine Aussagen so zu schneiden, dass<br />
sie in ihr Gegenteil verdreht wurden», sagte er der<br />
Jungen Welt.<br />
Tatsächlich hatte Berlins Staatsanwaltschaft mittlerweile<br />
endlich eingeräumt, dass Lisa sexuell missbraucht<br />
wurde – wenn auch zu einem anderen Zeitpunkt.<br />
Doch die Medien geiferten trotzdem weiter<br />
und sprachen von «Vergewaltigungslüge» (Berliner<br />
Zeitung). «Es gab weder eine Vergewaltigung noch<br />
Sex», beschwichtigte der Berliner Kurier. Der Tagesspiegel<br />
käute erneut die Darstellung wider, «vor dem<br />
Verschwinden des Mädchens sei es eventuell zu einvernehmlichen<br />
Sexualkontakten gekommen». Wie es<br />
Lisa geht, fragte keiner der Schmierenjournalisten.<br />
Sie befindet sich seit Ende Januar in stationärer psychiatrischer<br />
Behandlung. Dass ihre Peiniger vom Oktober<br />
in Untersuchungshaft säßen, ist dagegen nicht<br />
bekannt.<br />
Russlanddeutsche<br />
Rund vier Millionen Russlanddeutsche<br />
leben heute in der<br />
Bundesrepublik. Der Sammelbegriff<br />
umfasst zum einen die<br />
größte Gruppe, die als Angehörige<br />
der deutschen Minderheit –<br />
früher zumeist Wolgadeutsche<br />
genannt – in mehreren Wellen<br />
einreisten. Hinzu kommen russische<br />
Auswanderer und sogenannte<br />
jüdische Kontingentflüchtlinge.<br />
Ihre Integration gilt<br />
seit Ende der 1990er Jahre als<br />
weitgehend abgeschlossen. Bekannte<br />
Russlanddeutsche sind<br />
etwa der frühere Boxweltmeister<br />
Robert Stieglitz, der Fußball-<br />
Nationalspieler Roman Neustädter<br />
sowie die Sängerinnen<br />
Jule Neigel und Helene Fischer.<br />
Helene Fischer 2013. Foto: Sandra<br />
Ludewig/Universal Music GmbH<br />
Auch Russlands Außenminister<br />
Sergej Lawrow zeigte sich besorgt<br />
über die wachsende Migrantenkriminalität<br />
in Deutschland.<br />
Foto: Valeriy Sharifulin/MID<br />
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