23.02.2017 Aufrufe

COMPACT-Magazin 03-2016

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

<strong>COMPACT</strong> Leben<br />

gerottet und geben im Chor ein schneidiges Gebrüll<br />

von sich. Ihre weiße Oberbekleidung lässt sie dabei<br />

fast wie Gespenster durch die Nacht wabern. Die<br />

Beleuchtung der überdimensionalen Führerbilder am<br />

Rand des Platzes verstärkt diesen Eindruck zusätzlich.<br />

Surreal. So etwas habe ich noch nie gesehen. Kim junior<br />

scheint mir die Verblüffung anzumerken. «Die proben<br />

für die große Parade am 10. Oktober», erklärt er<br />

lächelnd. «Da feiern wir den 70. Gründungstag unserer<br />

Partei, der Partei der Arbeit Koreas.»<br />

58<br />

Nordkoreas Frauen brauchen keinen<br />

Gender-Gaga. Foto: Autor<br />

Autobahn werktags zum Feierabendverkehr.<br />

Foto: Autor<br />

Der Himmelssee auf 2.700 Meter.<br />

Foto: Autor<br />

Der nächste<br />

Koreakrieg soll in<br />

den USA stattfinden.<br />

herrscht «Pjöngjang-Zeit». Außerdem leben wir ab<br />

sofort nicht mehr im Jahr 2015, sondern 104 Chu’che,<br />

dem 104. Jahr nach der Geburt des Staatsgründers<br />

Kim Il-sung. «Chu’che» – wörtlich übersetzt «Eigenständigkeit»<br />

oder «Autarkie» – bezeichnet die hiesige<br />

Staatsphilosophie.<br />

Die Suche nach dem fünften Stock<br />

In Nordkorea ist es für Ausländer unmöglich, auf<br />

eigene Faust und ohne staatliche Kontrolle durchs<br />

Land zu tingeln. Jeder Tourist, jede Reisegruppe erhält<br />

ihre eigenen Führer, abgestellt von der staatlichen<br />

Reiseagentur KITC. Das muss man akzeptieren –<br />

oder zu Hause bleiben. Die Namen unserer Führer sind<br />

leicht zu merken. Zwei von Dreien heißen Kim – Kim<br />

senior und Kim junior. Der Dritte ist einfach der, der<br />

nicht Kim heißt. In ein paar Tagen werden wir herausfinden,<br />

dass seine Kollegen bei der KITC ihn wegen<br />

seines Bauchansatzes «Bärchen» getauft haben, und<br />

ihn fortan ebenfalls «Bärchen» nennen. Jetzt ist erst<br />

einmal abtasten angesagt. Beschnuppern. Auf beiden<br />

Seiten. Ein Punkt ist Reiseleiter «Bärchen» besonders<br />

wichtig: keine koreanischen Zeitungen zerreißen,<br />

zerknittern oder bekritzeln. Zumindest keine, die ein<br />

Bild von Machthaber Kim Jong-un, seinem Vater Kim<br />

Jong-il oder seinem Großvater Kim Il-sung enthalten…<br />

«Das ist verboten», mahnt er eindringlich. Alles klar.<br />

Halten wir uns lieber dran…<br />

Zwei Stunden später: Zum ersten Mal setze ich einen<br />

Fuß auf Pjöngjanger Asphalt und laufe ein paar<br />

Meter. Doch plötzlich zucke ich zusammen. Hinter mir<br />

durchschneidet lautes Geschrei die Szene. Es klingt<br />

wie Parolen, Kampfrufe. Ich blicke mich um – und erstarre:<br />

Hunderte, wirklich Hunderte Menschen – weiße<br />

Hemden, schwarze Hosen, weiße Baseballmützen<br />

– haben sich keine 50 Meter neben uns zusammen-<br />

Wir feiern unsere Ankunft mit einem üppigen<br />

Abendessen im Hotel Yanggakdo, gelegen auf einer<br />

Insel inmitten des Flusses Taedong, der Pjöngjang in<br />

zwei Teile trennt. Danach geht es auf nächtliche Entdeckungstour<br />

zu den Prunkplätzen der Stadt. Dabei<br />

statten wir auch dem berühmten Mansudae-Monument<br />

einen obligatorischen Besuch ab. Hier, auf einer<br />

Anhöhe gelegen, wachen die mehr als 20 Meter<br />

hohen Bronzestatuen von Kim Il-sung und Kim Jongil<br />

mit freundlich lächelndem Blick über ihr Reich. Im<br />

Hintergrund säumt ein Wandbild des Berges Paektu,<br />

des heiligen Bergs der Koreaner, die Fassade des Revolutionsmuseums.<br />

Links und rechts wird die Kulisse<br />

von beeindruckend lebensecht wirkenden Figurengruppen<br />

flankiert. Sie symbolisieren Szenen aus dem<br />

koreanischen Befreiungskampf. Eine ganz besondere<br />

Atmosphäre umgibt diesen taghell erleuchteten Ort,<br />

um den herum alles umso finsterer erscheint. Sehr feierlich<br />

– eine Kathedrale der Chu’che-Ideologie! Ein<br />

Hort der religiösen Verehrung gottgleicher Gestalten.<br />

Befremdlich. Aber gerade deshalb faszinierend.<br />

Zurück im Hotel, wundern wir uns, warum im Aufzug<br />

der Knopf für den fünften Stock fehlt – und warum<br />

die Anzeige beim Passieren desselben direkt von<br />

4 auf 6 springt. Abermals brodelt die Gerüchteküche.<br />

Das fünfte Stockwerk als Kommandozentrale zur Bespitzelung<br />

der Hotelgäste? Schon möglich. Die Notausgangstür<br />

des Stockwerks im Treppenhaus ist verriegelt.<br />

Und hat keine Klinke…<br />

Unterirdische Paläste<br />

Der nächste Tag beginnt neblig. Um sechs Uhr klingelt<br />

der Wecker. Den hätte ich allerdings gar nicht stellen<br />

müssen, denn vom Bahnhof aus schallt muntere<br />

Morgenmusik über die Stadt, durchs offene Fenster<br />

meines Zimmers im 42. Stock, bis direkt an mein Bett.<br />

So also begrüßt Pjöngjang den Tag… Ich reibe mir den<br />

Schlaf aus den Augen und schaue hinaus.<br />

Aus über 100 Metern Höhe, über dem Scheitel<br />

des Taedong, wirkt die Hauptstadt überraschend<br />

normal. Von hier oben fällt vor allem die starke Häufung<br />

himmelstürmender Hochhäuser ins Auge, etwa<br />

ein Viertel davon sind sehr modern und offensichtlich<br />

erst seit Kurzem fertiggestellt. Das gigantomanische,<br />

pfeilförmige, 330 Meter hohe Ryugyong-Hotel und der

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!