Mitteilungsblatt - Deutscher Altphilologenverband
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was schon 2000 Jahre vor diesem der griechische<br />
Dichter Euripides gültig formuliert hat?<br />
��στις νέ�ς �ν µ�υσ�ν �µελε�,<br />
τ�ν τε παρελθ�ντ� �π�λωλε �ρ�ν�ν<br />
κα� τ�ν µέλλ�ντα τέθνηκεν. (Frg. 1028 Nauck)<br />
60<br />
Wer in seiner Jugend die Musen vernachlässigt, der<br />
hat die vergangene Zeit verloren und ist für die<br />
Zukunft tot.<br />
Die Anforderungen der modernen Arbeitswelt an die gymnasiale Bildung<br />
Meine sehr geehrten Damen und Herren,<br />
über die Anforderungen der Arbeitswelt an die<br />
gymnasiale Bildung zu sprechen, heißt, über die<br />
Beziehungen zwischen Beschäftigungssystem<br />
und Bildungssystem nachzudenken.<br />
Beschäftigung, Arbeit und Arbeitsmarkt sind<br />
Teilbereiche des großen Feldes der Wirtschaft.<br />
Sie unterliegen den ökonomischen Gesetzmäßigkeiten<br />
und Zwängen, z. B. dem unerbittlichen<br />
Prinzip von Angebot und Nachfrage, dem<br />
harten Test des Wettbewerbs sowie dem konjunkturellen<br />
Auf und Ab des Wirtschaftsgeschehens.<br />
Sie werden wie die gesamte wirtschaftliche<br />
Welt von den Prinzipien der Rationalität,<br />
Zweckmäßigkeit und Effektivität beherrscht.<br />
Der einzelne muß sich den großen Strömungen<br />
anpassen, wenn er beruflichen Erfolg haben<br />
will.<br />
Gymnasiale Bildung hingegen als Teil des Bildungssystems<br />
orientiert sich zuvörderst an der<br />
Persönlichkeit des einzelnen. Sie zielt auf die<br />
zweckfreie, allgemeine Vervollkommnung des<br />
heranwachsenden Menschen ab, will die in ihm<br />
liegenden Eigenschaften und Fähigkeiten - unabhängig<br />
von seiner funktionalen Einbindung in<br />
die Arbeitswelt - um seiner selbst willen zur<br />
Entfaltung bringen.<br />
Mit anderen Worten: Das Thema spricht zwei<br />
völlig heterogene Lebensbereiche an. Die im<br />
Thema verborgene Aussage stellt aber zugleich<br />
auch schon eine Beziehung zwischen diesen<br />
beiden Welten her. In der Tat: Bei genauerem<br />
Hinsehen ergeben sich zahlreiche Querverbin-<br />
FRIEDRICH MAIER<br />
dungen zwischen Bildungssystem und Beschäftigungssystem.<br />
Dies beginnt schon mit der banalen<br />
Tatsache, daß die Lebenslinie des einzelnen<br />
Menschen im Regelfall beide Welten<br />
durchläuft. Die Schnittstelle ist der oft beschworene<br />
„Eintritt des Jungen Menschen in die Arbeitswelt“,<br />
der häufig, vor allem bei unzulänglicher<br />
Antizipation der die Arbeitswelt beherrschenden<br />
Regeln und Zwänge, als Schock empfunden<br />
wird.<br />
Die wichtigste Bezugsschiene resultiert aber<br />
daher, daß dem Bildungssystem zumindest auch<br />
die Aufgabe zukommt, den jungen Menschen<br />
auf seine Funktionen in der arbeitsteiligen Wirtschaft<br />
vorzubereiten. Bildung und Erziehung<br />
mögen durchaus vorrangig auf die Entfaltung<br />
der im jungen Menschen liegenden Kräfte und<br />
Anlagen gerichtet sein. Am Ende muß dieser<br />
Prozeß - schon um der schieren Existenzsicherung<br />
willen - in einer gesellschaftlich akzeptierten<br />
Funktion münden. Auch Künstler, Philosophen<br />
und Schriftsteller bedürfen des Broterwerbs.<br />
Unzählige Schülergenerationen haben<br />
sich deshalb den Satz vorhalten lassen müssen,<br />
daß sie nicht für die Schule, sondern für das<br />
Leben zu lernen hätten. Dabei wird diese Sentenz,<br />
von Seneca im übrigen in ironischer Umkehrung<br />
auf den Schulbetrieb seiner Zeit gemünzt,<br />
eher als Motivierungsinstrument gegenüber<br />
lernunwilligen Schülern eingesetzt, als daß<br />
man daraus substantielle Vorgaben für Gang<br />
und Inhalt des Bildungsgeschäftes abgeleitet<br />
hätte.