11.12.2012 Aufrufe

Mitteilungsblatt - Deutscher Altphilologenverband

Mitteilungsblatt - Deutscher Altphilologenverband

Mitteilungsblatt - Deutscher Altphilologenverband

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Den Sonderweg Europas sieht Meier eindeutig<br />

bei den Griechen beginnen. Während alle frühen<br />

Völker durch monarchische Strukturen und<br />

Zentren geprägt sind, ist diese Erscheinung bei<br />

den Griechen die Ausnahme oder nur Vorform<br />

für die charakteristische Polis-Gesellschaft, in<br />

der die Bürgerschaft ihre Affekte kontrolliert,<br />

mitdenkt und durch Herstellung von Konsens<br />

ohne monarchische Führung das Staatswesen<br />

aufzubauen sich bemüht. Notwendige Folge ist<br />

das Entstehen von Verantwortung der Bürger<br />

für die politische Ordnung, in der der Bürgerschaft<br />

als politische Kraft durch permanentes<br />

Ändern der politischen Zustände bald<br />

‚Verfassungsdenken’ nicht mehr fremd ist. Die<br />

politische Praxis wird abgestützt durch das philosophische<br />

Nachdenken über das Wesen und<br />

Funktionieren der Ordnung. Das Gemeinwesen<br />

ist die Bürgerschaft, deren Mitglieder als Individuen<br />

zwar nach Autarkie streben, in der aber<br />

der einzelne integrativer Teil eines Ganzen<br />

bleibt. Jeder Bürger ist betroffen, gefragt und<br />

verantwortlich (horizontale Solidarität), alle<br />

sind herausgefordert. Die griechische Philosophie<br />

wie auch die Tragödie legen die grundsätzlichen<br />

Fragen offen: das Wesen des Menschen,<br />

mit seinen Fähigkeiten und seinen Möglichkeiten<br />

im Positiven und Negativen. Griechisch und<br />

damit europäisch ist es nach Meiers Überzeugung,<br />

sich den Schwierigkeiten jeweils zu stellen,<br />

mit Rationalität nach Lösungen zu suchen,<br />

um sich in der Welt selbstbewußt zu behaupten,<br />

nach Gerechtigkeit unablässig zu suchen, die<br />

Frage nach dem Sinn immer wieder zu stellen<br />

und damit Kultur zu schaffen.<br />

Der Zuhörer, der den nachdenklichen, weisen<br />

Einsichten des Vortragenden folgte, brauchte<br />

die Frage nach dem Sinn und der Notwenigkeit<br />

des Griechischunterrichtes am Ende nicht mehr<br />

zu stellen.<br />

2.2 Sprache ohne Welt ist nicht vermittelbar.<br />

Die politische und gesellschaftliche Wirklichkeit,<br />

die sich in den Denkmälern der Hauptstadt<br />

des Imperium Romanum vornehmlich manifestiert,<br />

war Gegenstand eines sehr anregenden<br />

Vortrags von Dr. FRANZ PETER WAIBLINGER<br />

(Universität München) zum Thema: „Urbs aeterna.<br />

Die Stadt Rom im Lateinunterricht“. Er<br />

78<br />

ging von der widersprüchlichen Situation aus,<br />

daß das Interesse an der römischen Kultur außerhalb<br />

der Schule ganz erstaunlich sei, Motive<br />

würden sogar durch die moderne Produktwerbung<br />

aufgegriffen, während in der Schulpraxis<br />

immer noch Materialien weitgehend fehlen und<br />

auch didaktische Konzepte kaum sichtbar sind.<br />

Ziel der unterrichtlichen Behandlung ist nicht<br />

die Förderung archäologischer Kenntnisse, sondern<br />

die Einsicht, daß das Vergangene im Gegenwärtigen<br />

enthalten ist: die Gegenwärtigkeit<br />

der Geschichte, die Kontinuität der Tradition.<br />

Gerade die Stadt Rom bietet ein ideales anschauliches<br />

Modell für urbanes Leben im Fortleben<br />

der antiken Stadt. Dadurch kann nach<br />

Waiblingers Ansicht der Lateinunterricht einen<br />

wertvollen Beitrag leisten für interkulturelles<br />

Lernen und für das bessere Verständnis der Krise<br />

der modernen Städte. Er zeigte überzeugend<br />

an Hand von Abbildungen aber auch Texten in<br />

vier Aspekten die Stadt Rom als Modell für<br />

urbane Strukturen.<br />

Deutlich wurden zunächst die Probleme des<br />

Großstadtverkehrs am antiken Rom entwickelt,<br />

die bis heute unvermindert anhalten. Aufschlußreich<br />

war auch Caesars Versuch, durch die Lex<br />

Iulia municipalis Rom tagsüber in eine Fußgängerzone<br />

zu verwandeln, eine rigorose Verfügung,<br />

die heute politisch nicht mehr durchsetzbar<br />

wäre. Welche Gefährdung vom Großstadtverkehr<br />

schon zur Kaiserzeit ausging, zeigt Juvenal<br />

in einer Satire. Mit Hilfe einer Reihe von<br />

Texten konnte der Referent nachweisen, wie<br />

sich nach gravierenden Veränderungen im Mittelalter<br />

(verkehrsbehindernde Bauten), in der<br />

Renaissance (Verbindung der Pilgerkirchen),<br />

durch Nationalstaatbildung (Nationaldenkmal)<br />

und Faschismus (Aufmarschstraßen) heute in<br />

der modernen Konzeption wieder das antike<br />

Konzept des radialen Straßensystems ablesen<br />

läßt.<br />

Als zweiter Aspekt wurde das Infrastrukturproblem<br />

der Wasserversorgung einer Großstadt<br />

vorgestellt. Die Einzigartigkeit dieser römischen<br />

Leistung erwähnt bereits ein Text des Plinius<br />

voller Stolz, den praktischen Nutzen machen die<br />

Ausführungen von Frontinus deutlich, Cassio-

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!