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Mitteilungsblatt - Deutscher Altphilologenverband

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gen des negativen Griechenbildes (ad Q. fr.<br />

1,1,16 und 1,1,27).<br />

Doch auch Cicero konnte durch seinen Widerstand<br />

das Eindringen des Griechischen nicht<br />

verhindern (Sall. Iug. 85,32), ebenso wenig wie<br />

der Hüter des mos maiorum: Cato. In zunehmender<br />

Akzeptanz kommt es zu einer fruchtbaren<br />

Begegnung der beiden Kulturen (Polybios,<br />

Panaitios), so daß es um die Mitte des 2. Jahrhunderts<br />

vor Chr. zur vollen Anerkennung der<br />

griechischen Bildung bei der römischen Nobilität<br />

kommt: Cicero bekennt, von den Griechen<br />

gelernt zu haben (Tusc. l,1 und 2,5). So initiiert<br />

die Entstehung der hellenistisch-römischen<br />

Kultur einen folgenreichen Akkulturationsprozeß<br />

Europas: die Verbindung von Utilitarismus<br />

und Konservativismus mit dem Musischen und<br />

kreativer Innovationskraft. Eine geglückte Begegnung<br />

mit Fremdem.<br />

2.4 Wer von der Vergangenheit spricht, hat<br />

möglicherweise die Gegenwart vor Augen oder<br />

denkt schon an die Zukunft. Völkerwanderung -<br />

ein sich wiederholender Vorgang in der Geschichte;<br />

die Spätantike - eine Allegorie auf die<br />

Jetztzeit? Mit diesem Gedanken der Repetitio<br />

und des Kontinuums von Geschichte eröffnete<br />

Prof. Dr. MANFRED FUHRMANN (Konstanz) seinen<br />

Vortrag zum Thema: „Klio schweigt. Zukunfts-<br />

und Herkunftslosigkeit im Chaos der<br />

Völkerwanderung“.<br />

Stoff und Gehalt römischer Geschichtsschreibung<br />

ist der Staatsgedanke (Horaz, c. 11,12).<br />

Die Tradition des Staatsethos führt zu einem<br />

stabilen Sinngefüge der römischen Gesellschaft.<br />

Historiographisch erfaßt werden Vergangenheit<br />

und Zeitgeschichte, die Gegenwart wird freilich<br />

der Panegyrik unterworfen.<br />

Noch Ammianus Marcellinus (etwa 330-395)<br />

pflegte den zivilisatorischen Rompreis in einem<br />

Geschichtswerk, die Motive der Einheit, des<br />

Friedens, der Rechtsgleichheit, des starken Heeres,<br />

des fürsorglichen Kaisers und der Prosperität<br />

werden panegyrisch herausgestellt. Noch<br />

Claudian hing am Gedanken der Ewigkeit römischer<br />

Macht zu Beginn des Abstiegs um 400<br />

nach Chr. und nährte die Hoffnung ihres Wie-<br />

80<br />

derauflebens in der Zeit beginnender Auflösung:<br />

die nomadisierenden Vandalen brechen ein, die<br />

Westgoten erobern Rom. Große Geschichte gibt<br />

es nicht mehr: Klio schweigt. Als neue literarisch<br />

tragfähige Gattungen erscheinen Chronik<br />

und Heiligenlegende, die Einzelschicksale<br />

schildern: Vertreibung, Verarmung, Rechtsunsicherheit<br />

- Bilder schwerer Störung menschlichen<br />

Zusammenlebens und Fratzen einer untergehenden<br />

Kultur (bei: Paulinus v. Pella und<br />

Eugippius). Der Sinn für die große Vergangenheit<br />

war verlorengegangen, über der Zukunft lag<br />

schweres Dunkel, die Existenz des Individuums<br />

war auf das Gegenwärtige reduziert. Innere und<br />

äußere Auflösung lassen erkennen, daß sich die<br />

Römer selbst aufgegeben haben. Die Kirche<br />

wird Fluchtburg der geistigen Überlieferung in<br />

den Chroniken und Hagiographien. Im Strudel<br />

der Völkerwanderung lösen sich viele von der<br />

irdischen Staatlichkeit. Nach dem Untergang<br />

des heidnischen Rom wird das christliche entdeckt<br />

(Prosper von Aquitanien; Gregor der Große).<br />

An die Stelle der Weite der Reichshistorie<br />

tritt der schmale Horizont der eigenen Region:<br />

Gregor von Tours beschränkt sich auf Gallien,<br />

seine Intention ist die Darstellung der Geschichte<br />

seiner Zeit als bunte Episodenreihe in<br />

die christliche Heilsgeschichte eingebunden.<br />

Nach diesem Aufflackern großer Historiographie<br />

zerrütten sich die Verhältnisse nach Gregors<br />

Tod völlig: Italien verwüstet, Gallien zerfallen,<br />

geistige Öde allerorten.<br />

Die Wende kommt vom Rande (Iren und Angelsachsen).<br />

Erst Einhard (um 770-840) zeichnet in<br />

nüchterner Klarheit im Bild Karls des Großen<br />

wieder das Ideal des starken Herrschers, der<br />

seinem Imperium Christianum Sicherheit und<br />

Dauer gibt. Sein Blick und Rückgriff auf Suetons<br />

Kaiserviten ist unverkennbar. Zivilisation<br />

lebt wieder auf, der Staat regeneriert in Karls<br />

Reformpolitik. Klio spricht wieder. Orientierung<br />

ist wieder möglich.

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