Mitteilungsblatt - Deutscher Altphilologenverband
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ilität für die ökologischen und sozialethischen<br />
Bezüge der modernen Wirtschaft hinzukommen,<br />
um den Idealtyp des modernen Berufsmenschen<br />
zu vervollständigen. Sie sehen, meine Damen<br />
und Herren, ein höchst komplexes und ehrgeiziges<br />
Idealbild und - daraus abgeleitet - ein ungeheuer<br />
anspruchsvolles Bildungsprogramm. Es<br />
läßt sich zwar weitgehend in die klassische humanistische<br />
Bildungstradition einordnen, weist<br />
aber durchaus auch neue Züge auf.<br />
Ich will Ihnen gleichsam als Kondensat des<br />
bisher Gesagten ein Zitat aus einem Buch von<br />
Herbert Henzler, dem Deutschland-Chef des<br />
amerikanischen Beratungsunternehmens Mc<br />
Kinsey, vorstellen:<br />
„Im Mittelpunkt steht ein Mensch, der selbständig<br />
ist und stark. Er nimmt sein Schicksal in<br />
eigene Hände und deshalb will er, daß ihn der<br />
Staat weitgehend in Ruhe läßt. Er ist mobil,<br />
fleißig, wißbegierig. Er ist auch effizient, d. h.<br />
seine Ziele versucht er mit minimalem Aufwand<br />
zu erreichen. So hat er ständig ein Augenmerk<br />
auf die Kosten. Er scheut nicht Risiken, und er<br />
ist alle Zeit auf der Suche nach Innovationen.<br />
Wettbewerb, zumal weltweiter, ist für diesen<br />
Menschen eine Herausforderung, die ihn noch<br />
stärker macht.“<br />
An dieser Stelle werden neben den Dimensionen<br />
und Chancen eines neuen von der Arbeitswelt<br />
her entwickelten Menschenbildes aber auch<br />
Grenzen und Gefahren sichtbar.<br />
Ich sehe mindestens drei Punkte, in denen eine<br />
derart idealtypische Vorstellung des modernen<br />
Teilhabers an der Arbeitswelt die Gefahr einer<br />
Fehlentwicklung oder gar Pervertierung heraufbeschwört.<br />
Zunächst ist die starke Überbetonung der Funktionalität<br />
und Effizienz leicht als Aussperrung<br />
alles nicht Funktionalen, alles nicht Glatten zu<br />
verstehen. Wo bleiben in einem solchen Vorstellungsbild<br />
die Querköpfe, die Widerborstigen,<br />
die Lebenskünstler, Langsamdenker und<br />
Spaßvögel? Dieser Menschenschlag wird nicht<br />
nur in der Gesellschaft und im Kulturbetrieb<br />
gebraucht; sie sind nicht nur als Gegenwelt zur<br />
Berufssphäre bedeutsam, insofern sie das Leben<br />
bunt machen. Vielmehr braucht auch die Wirt-<br />
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schaft, braucht auch die Arbeitswelt diesen Typus,<br />
wenn sie nicht in Routine, Leerlauf und<br />
Mechanik erstarren sollen.<br />
Die andere Gefahr liegt dort, wo eine derart<br />
funktionale Persönlichkeit getragen wird von<br />
einem rigorosen Individualismus. Wer sich auf<br />
seinem Arbeitsplatz ausschließlich um seines<br />
persönlichen Ehrgeizes und Fortkommens willen<br />
bemüht, verhält sich zwar rein äußerlich<br />
nach den Spielregeln der Wettbewerbsgesellschaft,<br />
verläßt nicht die Bahn, die ihm von dort<br />
her vorgegeben ist. Er vernachlässigt damit aber<br />
die gesamtgesellschaftliche Verantwortung seines<br />
Tuns, er vergißt die Auswirkungen seiner<br />
Entscheidungen als Manager auf die soziale<br />
Welt seiner Mitarbeiter sowie auf die Umwelt<br />
insgesamt. Damit verfehlt er eine wichtige,<br />
langfristig ganz entscheidende Dimension seines<br />
Agierens, deren Mißachtung am Ende auch ihn<br />
selbst trifft.<br />
Der dritte Negativ-Aspekt einer zu stark betonten<br />
Funktionalität liegt in der Gefahr begründet,<br />
daß der moderne Funktionsträger menschlich<br />
verarmt, wenn er sein Heil einseitig und ausschließlich<br />
im beruflichen Engagement sieht.<br />
Das burn-out-Syndrom vieler Leistungsträger ist<br />
ein bedeutsames Alarmzeichen. Wer sich einseitig<br />
verbrennt, also keine Kompensation in<br />
anderen Lebensfeldern als dem beruflichen hat,<br />
kein Widerlager im emotionalen, künstlerischen,<br />
familiären Umfeld besitzt, nicht die Kunst des<br />
Rückzugs aus dem beruflichen Gedränge in die<br />
Ruhe und Muße der Selbstbesinnung kennt, hat<br />
am Ende trotz vielleicht spektakulärer beruflicher<br />
Erfolge nur einen Bruchteil seiner humanen<br />
Chancen und Potentiale realisiert.<br />
IV. Erwartungen an die gymnasiale Bildung<br />
und an den Altsprachenunterricht<br />
Wenn ich nach allem nun in meinem letzten<br />
Kapitel den Versuch unternehme, einige Anforderungen<br />
und Erwartungen an das Bildungssystem<br />
und speziell an die gymnasiale Bildung zu