11.04.2017 Aufrufe

VSAO JOURNAL Nr. 4 - August 2015

Wasser Gastroenterologie/Rheumatologie Noten für Spitäler

Wasser Gastroenterologie/Rheumatologie Noten für Spitäler

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

FOKUS ▶ WASSER<br />

Die grüne Fee –<br />

verehrt und verfemt<br />

Seine Geschichte ist wechselvoll: Geboren wurde der Absinthe im Val-de-Travers, von wo aus er<br />

die Welt eroberte. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde seine Herstellung verboten, da er angeblich<br />

wahnsinnig machen solle. Im Verborgenen hielten ihm seine Anhänger jedoch beinahe hundert<br />

Jahre die Treue. Seit zehn Jahren darf man diesen speziellen Neuenburger nun wieder ganz legal<br />

geniessen.<br />

Patrick und Michael Widmer, Dock11 GmbH, Absinthe Distribution, Derendingen<br />

«Absinthe besitzt die Kraft der Magier;<br />

Absinthe kann die Vergangenheit auslöschen<br />

oder erneuern und die Zukunft<br />

annullieren oder voraussagen.»<br />

(Ernest Dowson, englischer Dichter<br />

1867–1900)<br />

Um die Entdeckung des Absinthe ranken<br />

sich viele Legenden. Insbesondere im frühen<br />

18. Jahrhundert basieren diese Geschichten<br />

auf Quellen, welche ähnlich<br />

trübe sind wie das Getränk selbst. Der eigentlichen<br />

Entdeckung des Getränkes<br />

gingen diverse Liköre auf der Basis von<br />

Wermut voraus, die in der Mitte des<br />

18. Jahrhunderts hergestellt wurden. Allerdings<br />

waren dies Absinthe-Weine und<br />

noch keine Destillate.<br />

Im Januar 1777 wurde im Rahmen eines<br />

Banketts in Boudry bei Neuenburg für die<br />

«Herren der Justiz» ein «extrait<br />

d`apessinte» als Digestif zur Verdauung<br />

gereicht. Absinthe wurde zu dieser Zeit<br />

also bereits in Gasthäusern serviert und<br />

genossen. Die Wirkung des besonderen<br />

Extraktes sprach sich schnell weit über die<br />

Grenzen des damaligen «Fürstentums<br />

Neuenburg» herum. Daher verwundert es<br />

nicht, dass auch der Arzt Dr. Pierre Ordinaire,<br />

der sich – angeblich auf der Flucht<br />

vor der Französischen Revolution – in<br />

Couvet im Val-de-Travers niederliess, davon<br />

erfahren haben soll. Ob es diesen<br />

«ordinären» Arzt, der das aussergewöhnliche<br />

Getränk unters Volk gebracht haben<br />

soll, tatsächlich gab, ist bis heute unklar.<br />

Denn es gibt nur ebenso ungenaue wie<br />

widersprüchliche Aussagen zu seiner Existenz.<br />

Tatsache ist, dass in Couvet, zufälligerweise<br />

in der Nachbarschaft dieses angeblichen<br />

Arztes ohne nachweisbare Niederlassung,<br />

eine kräuterkundige Frau namens<br />

Henriette Henriod lebte. Diese postalisch<br />

dokumentierte «Mère» Henriod gab dann<br />

gemäss diverser historischen Quellen das<br />

erste Rezept weiter. Wenn man sich die<br />

Lebensbedingungen in der Mitte des<br />

18. Jahrhunderts vergegenwärtigt, kann<br />

man gut verstehen, dass eine «Kräuterhexe»<br />

sich nicht als Herstellerin eines<br />

solch potenten Heilmittels und beliebten<br />

Getränkes zu erkennen geben wollte –<br />

und sich die Legende mit dem «gewöhnlichen»<br />

Arzt für eine nette und plausible<br />

Geschichte geradezu anbot. Zudem passt<br />

diese Vorstellung besser ins Weltbild der<br />

meist männlichen Historiker.<br />

Es ist trotzdem anzunehmen, dass «Mère»<br />

Henriod bereits für die Zubereitung des<br />

Getränks anlässlich des Banketts in Boudry<br />

zuständig war. In der Folge verkaufte<br />

sie wohl das Rezept an den Major Daniel-<br />

Henri Dubied. Dieser eröffnete mit seinem<br />

Schwiegersohn Henri-Louis Pernod im<br />

Jahr 1797 in Couvet die erste Destillerie.<br />

Illegal oder legal?<br />

Immer wieder wird man mit der Frage<br />

konfrontiert, ob Absinthe denn in der<br />

Schweiz legal sei. Wir können Sie an dieser<br />

Stelle beruhigen. In der Schweiz ist Absinthe<br />

legal zu kaufen, zu besitzen und zu<br />

konsumieren – wie jedes andere alkoholische<br />

Getränk. Dem war jedoch nicht<br />

immer so. Erst seit dem 1. März 2005 ist<br />

die «grüne Fee» in der Schweiz wieder auf<br />

freiem Fuss. Den Stein ins Rollen gebracht<br />

hatte eine EU-weite Gesetzesänderung von<br />

1998, mit welcher die Absinthe-Herstellung<br />

und dessen Einfuhr in die EU zugelassen<br />

wurde. Der erlaubte Thujongehalt<br />

wurde damals auf maximal 35 mg/kg<br />

festgelegt.<br />

Warum aber wurde der Absinthe überhaupt<br />

verboten? Anstoss dafür gab die<br />

Antialkoholbewegung Ende des 19. Jahrhunderts<br />

in Frankreich, als man erstmals<br />

das Problem des Alkoholismus erkannte.<br />

Vor diesem Hintergrund war der schreckliche<br />

Mordfall Lanfray in Commugny ein<br />

sehr willkommenes Argument für alle<br />

Absinthe-Gegner: Im Sommer des Jahres<br />

1905 kam es in der Waadtländer Gemeinde<br />

Commugny zu einem Familiendrama,<br />

als ein betrunkener Landarbeiter zuerst<br />

seine Frau und anschliessend seine zwei<br />

Töchter erschoss. Für dieses Ereignis wurde<br />

der Absinthe verantwortlich gemacht,<br />

obwohl vor Gericht klar wurde, dass der<br />

Mann täglich mehrere Liter Weisswein<br />

getrunken hatte. Doch der Ruf des Absinthe<br />

war zerstört. Es kam zu einer Volksinitiative,<br />

welche 1908, entgegen der Empfehlung<br />

des Bundesrates, angenommen<br />

wurde. Am 7. Oktober 1910 trat das Verbot<br />

in Kraft. Interessant sind in diesem Zu-<br />

<strong>Nr</strong>. 4 <strong>August</strong> <strong>2015</strong><br />

<strong>VSAO</strong> <strong>JOURNAL</strong> ASMAC<br />

35

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!