VSAO JOURNAL Nr. 4 - August 2015
Wasser Gastroenterologie/Rheumatologie Noten für Spitäler
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FOKUS ▶ WASSER<br />
Die grüne Fee –<br />
verehrt und verfemt<br />
Seine Geschichte ist wechselvoll: Geboren wurde der Absinthe im Val-de-Travers, von wo aus er<br />
die Welt eroberte. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde seine Herstellung verboten, da er angeblich<br />
wahnsinnig machen solle. Im Verborgenen hielten ihm seine Anhänger jedoch beinahe hundert<br />
Jahre die Treue. Seit zehn Jahren darf man diesen speziellen Neuenburger nun wieder ganz legal<br />
geniessen.<br />
Patrick und Michael Widmer, Dock11 GmbH, Absinthe Distribution, Derendingen<br />
«Absinthe besitzt die Kraft der Magier;<br />
Absinthe kann die Vergangenheit auslöschen<br />
oder erneuern und die Zukunft<br />
annullieren oder voraussagen.»<br />
(Ernest Dowson, englischer Dichter<br />
1867–1900)<br />
Um die Entdeckung des Absinthe ranken<br />
sich viele Legenden. Insbesondere im frühen<br />
18. Jahrhundert basieren diese Geschichten<br />
auf Quellen, welche ähnlich<br />
trübe sind wie das Getränk selbst. Der eigentlichen<br />
Entdeckung des Getränkes<br />
gingen diverse Liköre auf der Basis von<br />
Wermut voraus, die in der Mitte des<br />
18. Jahrhunderts hergestellt wurden. Allerdings<br />
waren dies Absinthe-Weine und<br />
noch keine Destillate.<br />
Im Januar 1777 wurde im Rahmen eines<br />
Banketts in Boudry bei Neuenburg für die<br />
«Herren der Justiz» ein «extrait<br />
d`apessinte» als Digestif zur Verdauung<br />
gereicht. Absinthe wurde zu dieser Zeit<br />
also bereits in Gasthäusern serviert und<br />
genossen. Die Wirkung des besonderen<br />
Extraktes sprach sich schnell weit über die<br />
Grenzen des damaligen «Fürstentums<br />
Neuenburg» herum. Daher verwundert es<br />
nicht, dass auch der Arzt Dr. Pierre Ordinaire,<br />
der sich – angeblich auf der Flucht<br />
vor der Französischen Revolution – in<br />
Couvet im Val-de-Travers niederliess, davon<br />
erfahren haben soll. Ob es diesen<br />
«ordinären» Arzt, der das aussergewöhnliche<br />
Getränk unters Volk gebracht haben<br />
soll, tatsächlich gab, ist bis heute unklar.<br />
Denn es gibt nur ebenso ungenaue wie<br />
widersprüchliche Aussagen zu seiner Existenz.<br />
Tatsache ist, dass in Couvet, zufälligerweise<br />
in der Nachbarschaft dieses angeblichen<br />
Arztes ohne nachweisbare Niederlassung,<br />
eine kräuterkundige Frau namens<br />
Henriette Henriod lebte. Diese postalisch<br />
dokumentierte «Mère» Henriod gab dann<br />
gemäss diverser historischen Quellen das<br />
erste Rezept weiter. Wenn man sich die<br />
Lebensbedingungen in der Mitte des<br />
18. Jahrhunderts vergegenwärtigt, kann<br />
man gut verstehen, dass eine «Kräuterhexe»<br />
sich nicht als Herstellerin eines<br />
solch potenten Heilmittels und beliebten<br />
Getränkes zu erkennen geben wollte –<br />
und sich die Legende mit dem «gewöhnlichen»<br />
Arzt für eine nette und plausible<br />
Geschichte geradezu anbot. Zudem passt<br />
diese Vorstellung besser ins Weltbild der<br />
meist männlichen Historiker.<br />
Es ist trotzdem anzunehmen, dass «Mère»<br />
Henriod bereits für die Zubereitung des<br />
Getränks anlässlich des Banketts in Boudry<br />
zuständig war. In der Folge verkaufte<br />
sie wohl das Rezept an den Major Daniel-<br />
Henri Dubied. Dieser eröffnete mit seinem<br />
Schwiegersohn Henri-Louis Pernod im<br />
Jahr 1797 in Couvet die erste Destillerie.<br />
Illegal oder legal?<br />
Immer wieder wird man mit der Frage<br />
konfrontiert, ob Absinthe denn in der<br />
Schweiz legal sei. Wir können Sie an dieser<br />
Stelle beruhigen. In der Schweiz ist Absinthe<br />
legal zu kaufen, zu besitzen und zu<br />
konsumieren – wie jedes andere alkoholische<br />
Getränk. Dem war jedoch nicht<br />
immer so. Erst seit dem 1. März 2005 ist<br />
die «grüne Fee» in der Schweiz wieder auf<br />
freiem Fuss. Den Stein ins Rollen gebracht<br />
hatte eine EU-weite Gesetzesänderung von<br />
1998, mit welcher die Absinthe-Herstellung<br />
und dessen Einfuhr in die EU zugelassen<br />
wurde. Der erlaubte Thujongehalt<br />
wurde damals auf maximal 35 mg/kg<br />
festgelegt.<br />
Warum aber wurde der Absinthe überhaupt<br />
verboten? Anstoss dafür gab die<br />
Antialkoholbewegung Ende des 19. Jahrhunderts<br />
in Frankreich, als man erstmals<br />
das Problem des Alkoholismus erkannte.<br />
Vor diesem Hintergrund war der schreckliche<br />
Mordfall Lanfray in Commugny ein<br />
sehr willkommenes Argument für alle<br />
Absinthe-Gegner: Im Sommer des Jahres<br />
1905 kam es in der Waadtländer Gemeinde<br />
Commugny zu einem Familiendrama,<br />
als ein betrunkener Landarbeiter zuerst<br />
seine Frau und anschliessend seine zwei<br />
Töchter erschoss. Für dieses Ereignis wurde<br />
der Absinthe verantwortlich gemacht,<br />
obwohl vor Gericht klar wurde, dass der<br />
Mann täglich mehrere Liter Weisswein<br />
getrunken hatte. Doch der Ruf des Absinthe<br />
war zerstört. Es kam zu einer Volksinitiative,<br />
welche 1908, entgegen der Empfehlung<br />
des Bundesrates, angenommen<br />
wurde. Am 7. Oktober 1910 trat das Verbot<br />
in Kraft. Interessant sind in diesem Zu-<br />
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