MUSIK FOTOS: MARCEL SCHAAR FOTO: A. THOMPSON INTERVIEW JOHANNES OERDING
MUSIK Er ist nicht nur einer der freundlichsten Menschen im Musikgeschäft, Johannes Oerding hat auch Stil. Als er 15 Minuten zu spät zum Interview erscheint, kann er sich kaum genug entschuldigen und hat als kleine Geste sogar Trüffelschokolade mitgebracht. Kein Wunder, dass er sogar eine der wildesten Frauen des Landes zu seiner Freundin machen konnte. Und mit Ina Müller führt er wohl die zurzeit interessanteste halböffentliche Beziehung im deutschen Musikgeschäft: Ina, sechzehn Jahre älter als er, erfolgreiche Moderatorin und Sängerin, und Johannes, der mittlerweile zu den erfolgreichsten Sängern des Landes gehört. Dass sie trotz der vielen Jahre des Zusammenseins nicht einmal zusammenwohnen (aber gerade deshalb so lange zusammen sind, wie sie gerne verraten), verwirrt einige Leute fast noch mehr als der Altersunterschied. Ganz schön modern und frei, und alles andere als normal, diese Beziehung – aber für dieses Paar ist es selbstverständlich, so zu leben. Sollen doch die Spießbürger und Langweiler den Kopf schütteln, Ina würde ihnen sowieso nur laut ins Gesicht lachen und Johannes ein neues Lied darüber schreiben. An seiner Musik arbeitet dieses Paar natürlich auch zusammen. So komponierte Johannes auf Inas letzten Album „Ich bin die“ (welches vor kurzem mit Gold zertifiziert wurde) mit, und sie berät ihn ebenso bei seinen Liedern. Sie sind ein Team, und dass die beiden ihre Lieder dabei nicht gegenseitig überlagern, dass sie auch hier immer selbstständig und eigen sind, versteht sich von selbst. Sie sind zwei Individuen, die Spaß an ihren Leben haben und teilen, was sie teilen wollen. Sich Freiräume zu lassen, gilt auch hier. Und Johannes füllt diese Freiräume vor allem mit seiner Musik – schon allein dafür braucht er diese ständige Entscheidungsfreiheit, selbst wenn er weiß, dass dieses Leben oft an Egozentrik grenzt. „Ich bin wahnsinnig rastlos und getrieben“, sagt er. „Voller Ehrgeiz. Ich will immer etwas tun und weiterkommen. Die kurzen Glücksmomente sind eben kurz – dann geht es weiter, dann kommt etwas anderes.“ Er versucht seit einiger Zeit allerdings, den Fokus zu verschieben: „Diese Momente, die muss ich länger abspeichern“, weiß er. „Unser Himmel ist derselbe“ So kam es auch, dass Johannes im letzten Jahr nach Südostasien und Australien flog, um sich zu lösen und den Kopf freizubekommen. Ein Leben ohne SMS, keine Telefonate, bestenfalls ab und an E-<strong>Mai</strong>ls. Nach dem Erfolg seines letzten Albums „Alles brennt“, das 45 Wochen in den Charts war und bis auf Platz drei kletterte, suchte er nach einer Art echten Gelassenheit – die sonst gar nicht in ihm steckt und die er sich regelrecht erarbeiten muss, denn eigentlich motivierte ihn dieser große Erfolg nur noch mehr: „Ich glaube, da ist noch ganz, ganz viel Luft nach oben“, sagt er. „Ich hatte mit ,Alles brennt‘ ja gerade erst meine erste Radiosingle.“ Die Suche nach Ruhe war aber dringend notwendig: „Ich hatte so viel Arbeit, Trubel und Reize die zwei Jahre davor, dass sogar ich selber erkannt habe, dass ich eine Auszeit brauche“, gibt er zu. „Und alleine zu reisen, das habe ich auch noch nie gemacht.“ Er war fast sieben Wochen unterwegs, zuerst auf einer kleinen Insel in Thailand, dann in Australien: „Klassisch Backpacker. Was man eigentlich nach der Schule macht. So richtig Hostel- Style.“ Zum Beispiel dabei auch mit zehn Leuten in einem Zimmer pennen. „Aber ich war da schon der Älteste“, lacht Johannes. Er musste unterwegs auch wieder lernen, selbstständig zu sein. „Das Buchen und alles“, erklärt er. „Sonst frage ich ja nur: ,Wo müssen wir morgen hin? Ach, München!‘ Und die Flüge sind gebucht, man wird abgeholt und so weiter. Man ist schon ein bisschen versaut dadurch!“ Zum Ende der Reise hin begann er auch die ersten Texte für sein neues Album zu schreiben. Die Einsamkeit gab ihm die Gelegenheit zum Aufarbeiten, zum Reflektieren, nicht nur der privaten Dinge, sondern auch all dessen, was in den letzten zwei Jahren in der Welt passiert ist – und wenn es nur der Tod von Prince ist, den er in „So schön“ anspricht. In dem Lied „Unser Himmel ist derselbe“ beschreibt er, wie diese Zeit seinen Horizont erweitert hat – weg vom Klein- Klein, dafür ein bisschen mehr globales Denken und Fühlen. Natürlich ist „Kreise“ auch wieder ein intensives, persönliches Album, doch er hat den Blick erweitert und Themen bearbeitet, die umfassender sind. Wie zum Beispiel in „Love Me Tinder“, wo er über das Leben in der digitalen Einsamkeit und die Suche nach Wegen hinaus singt. Doch was das Album vor allem ausdrückt, sind die zwei Seelen des Johannes Oerding. Seine rastlose Seite, die Freiheit lebt und braucht, und im Gegensatz dazu der Mensch, der seine Freunde und Familie liebt und diese Nähe genießt. Da gibt es den Song „Hundert Leben“, in dem er über diese Freunde singt, „und dann ,Leuchtschrift‘, über die große Freiheit in der großen Stadt“, erklärt er. Provinz und Metropole: „Ich lebe gerade beides.“ Zu Anlässen von Geburtstag bis Kommunion fährt er zurück aufs Land, und trotzdem will er auch in St. Pauli bis sieben Uhr morgens versacken. „Mit Leuten, die ich gerade kennengelernt habe Schwachsinn reden. Das alles ist auf diesem Album.“ Die Lieder sind nach seiner Rückkehr in einer Sturm-und-Drang-Phase entstanden: „Ich war voller Tatendrang.“ Deshalb hat er alle Ideen schnell festgehalten und skizziert, denn dann ging es erst einmal daran, mit Ina für ihr Album zu komponieren. „Das war gar nicht so einfach, denn ich dachte dabei viel über mein eigenes nach, während wir an ihrem arbeiteten. Das clashte manchmal.“ Denn obwohl sie beide völlig unterschiedlich klingen, „mögen wir die gleichen Harmonien.“ Letztlich lief es darauf hinaus, dass die beiden hintereinander weg an ihren zwei Alben gearbeitet haben. Das könnten nicht viele, aber für die interessanteste halböffentliche Beziehung des Landes war auch das kein Problem. *fis