blu Mai 2017
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MUSIK<br />
Er ist nicht nur einer der<br />
freundlichsten Menschen im<br />
Musikgeschäft, Johannes Oerding<br />
hat auch Stil. Als er 15 Minuten zu<br />
spät zum Interview erscheint, kann<br />
er sich kaum genug entschuldigen<br />
und hat als kleine Geste sogar<br />
Trüffelschokolade mitgebracht.<br />
Kein Wunder, dass er sogar eine der<br />
wildesten Frauen des Landes zu seiner<br />
Freundin machen konnte. Und mit Ina<br />
Müller führt er wohl die zurzeit interessanteste<br />
halböffentliche Beziehung im<br />
deutschen Musikgeschäft: Ina, sechzehn<br />
Jahre älter als er, erfolgreiche Moderatorin<br />
und Sängerin, und Johannes, der<br />
mittlerweile zu den erfolgreichsten Sängern<br />
des Landes gehört. Dass sie trotz<br />
der vielen Jahre des Zusammenseins<br />
nicht einmal zusammenwohnen (aber<br />
gerade deshalb so lange zusammen sind,<br />
wie sie gerne verraten), verwirrt einige<br />
Leute fast noch mehr als der Altersunterschied.<br />
Ganz schön modern und frei,<br />
und alles andere als normal, diese Beziehung<br />
– aber für dieses Paar ist es selbstverständlich,<br />
so zu leben. Sollen doch die<br />
Spießbürger und Langweiler den Kopf<br />
schütteln, Ina würde ihnen sowieso nur<br />
laut ins Gesicht lachen und Johannes ein<br />
neues Lied darüber schreiben.<br />
An seiner Musik arbeitet dieses Paar<br />
natürlich auch zusammen. So komponierte<br />
Johannes auf Inas letzten Album<br />
„Ich bin die“ (welches vor kurzem mit<br />
Gold zertifiziert wurde) mit, und sie berät<br />
ihn ebenso bei seinen Liedern. Sie sind<br />
ein Team, und dass die beiden ihre Lieder<br />
dabei nicht gegenseitig überlagern, dass<br />
sie auch hier immer selbstständig und<br />
eigen sind, versteht sich von selbst. Sie<br />
sind zwei Individuen, die Spaß an ihren<br />
Leben haben und teilen, was sie teilen<br />
wollen. Sich Freiräume zu lassen, gilt<br />
auch hier. Und Johannes füllt diese Freiräume<br />
vor allem mit seiner Musik – schon<br />
allein dafür braucht er diese ständige<br />
Entscheidungsfreiheit, selbst wenn er<br />
weiß, dass dieses Leben oft an Egozentrik<br />
grenzt. „Ich bin wahnsinnig rastlos<br />
und getrieben“, sagt er. „Voller Ehrgeiz.<br />
Ich will immer etwas tun und weiterkommen.<br />
Die kurzen Glücksmomente sind<br />
eben kurz – dann geht es weiter, dann<br />
kommt etwas anderes.“<br />
Er versucht seit einiger Zeit allerdings,<br />
den Fokus zu verschieben: „Diese Momente,<br />
die muss ich länger abspeichern“,<br />
weiß er.<br />
„Unser Himmel ist derselbe“<br />
So kam es auch, dass Johannes im letzten<br />
Jahr nach Südostasien und Australien<br />
flog, um sich zu lösen und den Kopf<br />
freizubekommen. Ein Leben ohne SMS,<br />
keine Telefonate, bestenfalls ab und an<br />
E-<strong>Mai</strong>ls. Nach dem Erfolg seines letzten<br />
Albums „Alles brennt“, das 45 Wochen<br />
in den Charts war und bis auf Platz drei<br />
kletterte, suchte er nach einer Art echten<br />
Gelassenheit – die sonst gar nicht<br />
in ihm steckt und die er sich regelrecht<br />
erarbeiten muss, denn eigentlich motivierte<br />
ihn dieser große Erfolg nur noch<br />
mehr: „Ich glaube, da ist noch ganz, ganz<br />
viel Luft nach oben“, sagt er. „Ich hatte<br />
mit ,Alles brennt‘ ja gerade erst meine<br />
erste Radiosingle.“<br />
Die Suche nach Ruhe war aber dringend<br />
notwendig: „Ich hatte so viel Arbeit, Trubel<br />
und Reize die zwei Jahre davor, dass<br />
sogar ich selber erkannt habe, dass ich<br />
eine Auszeit brauche“, gibt er zu. „Und<br />
alleine zu reisen, das habe ich auch noch<br />
nie gemacht.“ Er war fast sieben Wochen<br />
unterwegs, zuerst auf einer kleinen Insel<br />
in Thailand, dann in Australien: „Klassisch<br />
Backpacker. Was man eigentlich nach<br />
der Schule macht. So richtig Hostel-<br />
Style.“ Zum Beispiel dabei auch mit zehn<br />
Leuten in einem Zimmer pennen. „Aber<br />
ich war da schon der Älteste“, lacht<br />
Johannes. Er musste unterwegs auch<br />
wieder lernen, selbstständig zu sein.<br />
„Das Buchen und alles“, erklärt er. „Sonst<br />
frage ich ja nur: ,Wo müssen wir morgen<br />
hin? Ach, München!‘ Und die Flüge sind<br />
gebucht, man wird abgeholt und so weiter.<br />
Man ist schon ein bisschen versaut<br />
dadurch!“<br />
Zum Ende der Reise hin begann er auch<br />
die ersten Texte für sein neues Album<br />
zu schreiben. Die Einsamkeit gab ihm<br />
die Gelegenheit zum Aufarbeiten, zum<br />
Reflektieren, nicht nur der privaten Dinge,<br />
sondern auch all dessen, was in den<br />
letzten zwei Jahren in der Welt passiert<br />
ist – und wenn es nur der Tod von Prince<br />
ist, den er in „So schön“ anspricht. In<br />
dem Lied „Unser Himmel ist derselbe“<br />
beschreibt er, wie diese Zeit seinen<br />
Horizont erweitert hat – weg vom Klein-<br />
Klein, dafür ein bisschen mehr globales<br />
Denken und Fühlen. Natürlich ist „Kreise“<br />
auch wieder ein intensives, persönliches<br />
Album, doch er hat den Blick erweitert<br />
und Themen bearbeitet, die umfassender<br />
sind. Wie zum Beispiel in „Love<br />
Me Tinder“, wo er über das Leben in der<br />
digitalen Einsamkeit und die Suche nach<br />
Wegen hinaus singt.<br />
Doch was das Album vor allem ausdrückt,<br />
sind die zwei Seelen des Johannes Oerding.<br />
Seine rastlose Seite, die Freiheit lebt<br />
und braucht, und im Gegensatz dazu der<br />
Mensch, der seine Freunde und Familie<br />
liebt und diese Nähe genießt. Da gibt<br />
es den Song „Hundert Leben“, in dem<br />
er über diese Freunde singt, „und dann<br />
,Leuchtschrift‘, über die große Freiheit in<br />
der großen Stadt“, erklärt er. Provinz und<br />
Metropole: „Ich lebe gerade beides.“ Zu<br />
Anlässen von Geburtstag bis Kommunion<br />
fährt er zurück aufs Land, und trotzdem<br />
will er auch in St. Pauli bis sieben Uhr<br />
morgens versacken. „Mit Leuten, die ich<br />
gerade kennengelernt habe Schwachsinn<br />
reden. Das alles ist auf diesem Album.“<br />
Die Lieder sind nach seiner Rückkehr in<br />
einer Sturm-und-Drang-Phase entstanden:<br />
„Ich war voller Tatendrang.“ Deshalb<br />
hat er alle Ideen schnell festgehalten und<br />
skizziert, denn dann ging es erst einmal<br />
daran, mit Ina für ihr Album zu komponieren.<br />
„Das war gar nicht so einfach,<br />
denn ich dachte dabei viel über mein<br />
eigenes nach, während wir an ihrem arbeiteten.<br />
Das clashte manchmal.“ Denn<br />
obwohl sie beide völlig unterschiedlich<br />
klingen, „mögen wir die gleichen Harmonien.“<br />
Letztlich lief es darauf hinaus,<br />
dass die beiden hintereinander weg an<br />
ihren zwei Alben gearbeitet haben. Das<br />
könnten nicht viele, aber für die interessanteste<br />
halböffentliche Beziehung des<br />
Landes war auch das kein Problem.<br />
*fis