blu Mai 2017
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8 BÜHNE<br />
FOTO: FRIEDEMANN SIMON<br />
Im <strong>Mai</strong> rockt der Meister der<br />
Papierkostüme, Ennio Marchetto<br />
(57), das Tipi am Kanzleramt.<br />
Weil er mehr als fünfzig Stars und<br />
Sternchen zum Besten geben kann,<br />
ohne dabei zweidimensional zu wirken,<br />
haben wir ihn uns geschnappt.<br />
Ennio, wie oft wechselst du während<br />
deiner Shows durchschnittlich dein<br />
Outfit?<br />
In einer Stunde wechsle ich die Charaktere<br />
etwa alle zwei Minuten – jeder Charakter<br />
hat sein eigenes Kostüm. Manche Outfits<br />
wechsle ich sogar alle zwanzig Sekunden.<br />
Puh, eine ganze Menge! Bist du am<br />
Ende des Tages nicht manchmal<br />
verwirrt und fragst dich, wer du<br />
eigentlich bist?<br />
Ich bin ziemlich glücklich darüber, dass mir<br />
das eigentlich nie passiert. Ich will auch<br />
gar nicht sooo nah an den Charakteren<br />
sein, als dass mir das passieren könnte. Ich<br />
fühle jede einzelne dargestellte Persönlichkeit<br />
bis in Blut und Knochen – aber nur,<br />
solange ich ihre Songs zum Besten gebe.<br />
Ihre unterschiedlichen Stimmen zeigen mir<br />
irgendwie, wie ich mich verhalten soll.<br />
Welches ist dein Lieblingskostüm<br />
oder -charakter?<br />
Immer die aktuellste Kreation, weil ich es<br />
INTERVIEW<br />
ENNIO<br />
einfach mag, etwas Neues zu haben, mit<br />
dem ich arbeiten kann. Aber Marilyn und<br />
Mona Lisa gehören fest zur Show und werden<br />
immer zwei meiner Liebsten sein.<br />
Du wurdest in Venedig in eine Familie<br />
geboren, in der alle Männer Espressomaschinen-Reparateure<br />
sind – außer<br />
dir! Was hat dich zu deiner Entscheidung<br />
bewogen, und ist dein Verhältnis<br />
zu Kaffee trotzdem okay?<br />
Ich war nie glücklich dabei, Kaffeemaschinen<br />
zu reparieren, und wollte immer<br />
ausbrechen. Eines Nachts träumte ich von<br />
Marilyn Monroe in einem Papierkostüm.<br />
Das war so inspirierend, dass ich mich fragte,<br />
wieso ich nicht genau so etwas machte.<br />
Das lief dann Schritt für Schritt an. Meine<br />
ersten Auftritte hatte ich vor Freunden,<br />
drei Jahre später gewann ich den Preis als<br />
bester Comedian des Jahres und mein<br />
Leben änderte sich radikal.<br />
Du hast früher sehr viele Disney-<br />
Filme gesehen. Hat das deine Arbeit<br />
beeinflusst?<br />
Ich liebe Cartoons nach wie vor. Es gibt<br />
keinen bestimmten Film, der meine Arbeit<br />
beeinflusst hätte, trotzdem habe ich nie<br />
einen verpasst. Vor allem die Mischung aus<br />
MARCHETTO<br />
Märchen, Farben und Zeichnungen – das<br />
ist ein toller Mix.<br />
Nachdem du nun in siebzig Ländern<br />
weltweit aufgetreten bist: Hast du<br />
irgendeinen Unterschied wahrnehmen<br />
können, wie die Menschen aus<br />
verschiedenen Teilen der Erde darauf<br />
reagieren, wenn du zum Beispiel mit<br />
Geschlechterrollen spielst?<br />
Meine Shows sind bereits seit mehr als<br />
zwanzig Jahren sehr international unterwegs.<br />
Ich habe damals mit nur einer Frauenfigur<br />
angefangen und habe mittlerweile<br />
auch eine stolze Auswahl an männlichen<br />
Charakteren. Barbra zu spielen macht<br />
allerdings immer noch mehr Spaß als<br />
Pavarotti. Ich habe vor allem die Erfahrung<br />
gemacht, dass die Show bei unterschiedlichen<br />
Altersgruppen unterschiedlich<br />
ankommt. Nicht jeder Zuschauer mittleren<br />
Alters erkennt meine zeitgenössischen<br />
Figuren. Umgekehrt fragte mich mal ein<br />
Zwanzigjähriger, wer die kleine Dame sein<br />
sollte. Meine Gegenfrage: Du hast noch nie<br />
Édith Piaf gehört?!<br />
*Interview: Dennis Stephan<br />
www.tipi-am-kanzleramt.de