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blu Mai 2017

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MUSIK<br />

THE CRANBERRIES<br />

ZURÜCK ZUM GLÜCK<br />

„Unplugged“ statt „Air Rage“ –<br />

Sängerin Doloros O’Riordan<br />

findet ihre Balance wieder<br />

Die Szene ist derart grotesk, dass sie fast<br />

schon wieder lustig anmutet. Man stelle<br />

sich vor, wie die nur 1,58 Meter kleine Frau<br />

einem stattlichen Police Officer am Dubliner<br />

Flughafen eine Kopfnuss verpasst. Die<br />

absurde Szene am 10. November 2014, die<br />

als „O’Riordan’s air rage“ die britischen Titelseiten<br />

ziert, bringt die Sänger nicht nach<br />

New York, sondern hinter Gitter. Ursache:<br />

Liebeskummer.<br />

O’Riordans Gewaltausbruch ist Resultat<br />

von tiefer Traurigkeit und purer Verzweiflung.<br />

„Eine schlimme Phase“, erklärt sie<br />

heute, „ich war total durch den Wind.<br />

Mein Ehemann hatte mich nach zwanzig<br />

Jahren verlassen, ich konnte vor Kummer<br />

monatelang nicht richtig schlafen. Ich litt<br />

an Depressionen und extremen Gefühlszuständen.<br />

Ich habe nicht geahnt, dass<br />

kontinuierlicher Schlafmangel einen in den<br />

Wahnsinn treibt. Ich hatte Panikattacken,<br />

war fast paranoid und bin dann einfach<br />

durchgedreht. Das war der unrühmliche<br />

Höhepunkt.“ Gerichtsverfahren, Körperverletzung,<br />

6.000 Euro Strafe.<br />

Inzwischen hat die Mittvierzigerin aus dem<br />

irischen Limerick ihre Balance wiedergefunden.<br />

„Was ich sehr hilfreich finde, sind feste<br />

tägliche Abläufe, etwa schwimmen oder<br />

spazieren gehen. Draußen in der Natur zu<br />

sein, hat mir sehr gut getan“, erklärt sie. „Ich<br />

liebe die Natur, weil sie etwas Beruhigendes<br />

hat, das einen generell gut runterbringt und<br />

erdet.“<br />

Und dann ist ja da noch die Musik.<br />

O’Riordan reist nach Kanada und schreibt<br />

sich ihre Sorgen mit drei Songs von der<br />

Seele. Sie zieht einen Schlussstrich unter<br />

ihre nicht allzu glückliche Vergangenheit.<br />

„Rupture“ thematisiert die Depressionen,<br />

unter denen sie seit ihrer Trennung litt.<br />

Mit „Why“ verabschiedete sie sich von<br />

ihrem verstorbenen Vater. Und „The Glory“<br />

beschreibt das langsame Wiederfinden des<br />

Glücks. „Man muss am Glück arbeiten, um<br />

es wiederzufinden“, sagt sie ernst.<br />

Ausgerechnet die US-TV-Show „The Bachelorette“,<br />

in der O’Riordan mit dem Irish<br />

Chamber Quartett ein Hochzeitsständchen<br />

für das Brautpaar singt, bringt die schüchterne<br />

Sängerin auf die Idee, die Klassiker<br />

ihrer Cranberries akustisch aufzupolieren:<br />

„Das war der Ausgangspunkt für das neue<br />

Album.“ Ihre Jungs zu begeistern bedarf<br />

keiner großen Überredungskunst. Die<br />

berühmteste Indie-Rock-Band Irlands,<br />

die in den Neunzigerjahren mit Hits wie<br />

„Zombie“ und „Linger“ die Charts stürmte,<br />

hat nach ihrer Trennung 2003 und der<br />

Reunion 2009 immer wieder lange Pausen<br />

eingelegt, sich aber nie ernsthaft zerstritten.<br />

„Es war anfangs ein bisschen komisch,<br />

aber nach ein paar Minuten Unsicherheit,<br />

fühlten sich alle gleich wieder pudelwohl“,<br />

beschreibt O’Riordan das erste Zusammentreffen<br />

mit ihren Jungs. Das Ergebnis? Heißt<br />

„Something Else“, ist eine Referenz auf ihr<br />

Sensationsdebüt „Everybody Else ...“ und<br />

entstand in nur 14 Tagen zusammen mit<br />

dem Irish Chamber Orchestra. Zehn Songs<br />

arrangierte das Quartett, das bekanntlich<br />

bereits 1994 mit einem gefeierten „MTV<br />

Unplugged“ ausreichend akustische Erfahrung<br />

gesammelt hatte. Die alten Rock-Hits<br />

klingen mit Streicherzuckerguss zwar<br />

vergleichsweise handzahm, aber schlüssig,<br />

obendrauf der unverwechselbare Gesang<br />

der zierlichen Frau mit der sanften Wut in<br />

der Stimme und dem scheinbar chronischen<br />

Schluckauf. „Normalerweise rocken<br />

unsere Songs, sind laut und aggressiv. Jetzt<br />

haben sie einen ganz neuen Glanz, sehr<br />

sanft und würdevoll“, findet O’Riordan. „Und<br />

sie sind ein bisschen erwachsener.“ Wie sie<br />

selbst auch.<br />

*Stefan Woldach

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