04.05.2017 Aufrufe

05/2017 Schule-Spezial

Fritz + Fränzi

Fritz + Fränzi

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Erziehung & <strong>Schule</strong><br />

>>> atmung. Ein Vater schrieb bereits die zweite Seite<br />

seines Notizbuchs voll, Schweissperlen auf der Nase.<br />

Ich rutschte auf dem Stuhl herum wie eine driftende<br />

Kontinentalplatte.<br />

Dabei kamen Stundenplan, Ersatzstunden-, Notfallstunden-<br />

sowie Nachholstundenplan noch gar nicht zur<br />

Sprache. Ganz zu schweigen vom Mithelfen beim<br />

Schlittschuhbinden oder der Art und Weise, wie man<br />

den Geburtstagskuchen mitzubringen habe (portioniert,<br />

mit Servietten). Schweigen breitete sich aus. Das<br />

erwartete Sperrfeuer der Detailfragen blieb aus. Viel zu<br />

perplex waren wir Mamas und Papas, die wir uns doch<br />

in den vergangenen zwei Kindergartenjahren eifrig im<br />

Loslassen geübt hatten. Und nun dieser geballte Haufen<br />

an Information. Ungepolstert. Was passiert da mit unseren<br />

Prinzen und Prinzessinnen?<br />

Die Macht zurückerobern<br />

Die kommenden Wochen machten es klar. Denn in der<br />

<strong>Schule</strong> ist jedes Kind, selbst der folgsamste Prinz und<br />

die hübscheste Prinzessin, nur eines unter vielen. Gleiche<br />

Rechte und gleiche Pflichten gelten hier. Über Nacht<br />

werden aus kleinen Wunschkindern kleine Schulbürger.<br />

Gut möglich, dass die Lehrperson sogar ein anderes<br />

Kind dem eigenen vorzieht, und unweigerlich kommt<br />

der Tag, an dem das Kind eine Verbesserung zum zweiten<br />

Mal abschreiben oder drei Seiten Rechenaufgaben<br />

bewältigen muss, ob es nun darauf Lust hat oder nicht.<br />

Mit Sicherheit kommt auch der Moment, wo es wegen<br />

einer Dummheit nachsitzen muss oder sanktioniert<br />

wird. Dieser Gedanke ist unangenehm. Manche Eltern<br />

schäumen dann vor Empörung und tragen ihren verletzten<br />

Stolz in eine E-Mail, ein Gespräch. Noch mehr<br />

Nervosität grassiert nur noch in der fünften und sechsten<br />

Klasse, wenn die spielerische Leichtigkeit der Unterstufe<br />

abklingt und es darum geht, den Übertritt in die<br />

nächste Stufe durchzusetzen. Will man da wirklich dabei<br />

sein?<br />

Andererseits gibt es da auch die Gruppe der Eltern,<br />

die sich sofort mit dem gesamten Lehrkörper solidarisieren,<br />

zu jedem erdenklichen Anlass Selbstgebackenes<br />

beisteuern, ein Zusatzheft mit fakultativen Hausaufgaben<br />

einfordern oder nach den Schulanlässen noch freiwillig<br />

den Boden wischen. Noch ratloser aber stimmt<br />

mich auch nach vielen Jahren jene Spezies, die soziales<br />

Lernen als Unfug betrachtet und sich täglich alle Missetaten<br />

der anderen Kinder berichten lässt.<br />

Die Dinge, die meine Früchtchen heimlich taten und<br />

tun, gehen mich mit ganz wenigen Ausnahmen nichts<br />

an, denn: Hat nicht auch jedes Kind das Recht auf ein<br />

bisschen unstrukturiertes Eigenleben und Geheimnisse?<br />

Wollen wir wirklich alles wissen, was sie täglich treiben?<br />

Sind Kontrolle und allumfassender Schutz wirklich<br />

kindgerecht? Die Helikopter-Eltern sagen: Ja. Lautstark<br />

Ich rutsche auf dem Stuhl<br />

herum wie eine driftende<br />

Kontinentalplatte.<br />

beklagen sie sich am eigens einberufenen <strong>Spezial</strong>elternabend,<br />

bei den Nachbarn und in hartnäckigen Fällen<br />

sogar persönlich, dass der Tochter ein – nur ein! –<br />

Handschuh versteckt oder der Sohn auf dem Nachhauseweg<br />

mit Kirschsteinen beworfen worden sei – sogar<br />

zweimal!<br />

Schlichten ist nicht nötig<br />

Auch das ist <strong>Schule</strong>: Zoff auf dem Pausenplatz. Ein Tummelfeld<br />

zwischen Adoration und Aggression. Wo man<br />

auch als Zehnjähriger noch prima Verstecken spielen<br />

kann und die Pausencracker kollektiv zerbröselt. Ein<br />

Ort aber auch, an dem man sich aus niedrigen Beweggründen<br />

voll krass konkrete Beschimpfungen an den<br />

Hals wünscht, eine Rauferei vom Zaun bricht oder im<br />

Fussballspiel einen sauberen Beinsteller riskiert. Empörte<br />

und atemlose Gemüter, manchmal auch körperliche<br />

Schrammen gilt es dann am Familientisch zu besänftigen<br />

und einige Dutzend vermisste Gegenstände neu anzuschaffen.<br />

Ja, auch meinem Kind wurde schon die Mütze<br />

in den Bach geworfen, eins an den Kopf gehauen und<br />

die Brille verbogen. Der Höhepunkt war ein zuoberst<br />

auf dem Index stehendes Schimpfwort, das ein eifersüchtiger<br />

Klassenkamerad meinem Erstklässler zurief<br />

(und das eigentlich mir galt). Dieser war so irritiert<br />

darüber, dass er sogar vergass, beim Mittagessen den<br />

Brokkoli auf dem Teller zu ignorieren. Unschöne<br />

Geduldsproben, gewiss, doch trotzdem bin ich zum<br />

Schluss gelangt: Nein, man muss tatsächlich nicht über<br />

alles reden. Ein Schulkind zu haben, bedeutet eben nicht,<br />

die individuellen erzieherischen Ideale in einer Art<br />

Grundsatzdebatte bei jeder Gelegenheit unaufgefordert<br />

zu artikulieren.<br />

Die Petzerei ihres Kindes zu belohnen, indem die<br />

Eltern ein anderes beschimpfen, obwohl sie nicht einmal<br />

dabei waren, dient letztlich nur der Ich-Bezogenheit,<br />

nicht aber dem Kind.<br />

Gibt es Streit, wird er ausgetragen. Punkt. Ein Kind<br />

siegt oder es erlebt eine Niederlage, ohne dass Erwachsene<br />

gleich mit Blaulicht und Sirene herbeieilen müssen.<br />

<strong>Schule</strong> ist Bildung, keine Dienstleistung. Das ist zwar<br />

den Lehrpersonen klar, aber leider nicht allen Eltern.<br />

Nach sicher 25 durchgestandenen, mehrheitlich launigen<br />

und friedvollen Elternabenden wuchs in mir die<br />

Erkenntnis, dass die Gefühle, die Eltern eines frischge-<br />

56 Frühjahr <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi <strong>Schule</strong>

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!