05/2017 Schule-Spezial
Fritz + Fränzi
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Erziehung & <strong>Schule</strong><br />
>>> atmung. Ein Vater schrieb bereits die zweite Seite<br />
seines Notizbuchs voll, Schweissperlen auf der Nase.<br />
Ich rutschte auf dem Stuhl herum wie eine driftende<br />
Kontinentalplatte.<br />
Dabei kamen Stundenplan, Ersatzstunden-, Notfallstunden-<br />
sowie Nachholstundenplan noch gar nicht zur<br />
Sprache. Ganz zu schweigen vom Mithelfen beim<br />
Schlittschuhbinden oder der Art und Weise, wie man<br />
den Geburtstagskuchen mitzubringen habe (portioniert,<br />
mit Servietten). Schweigen breitete sich aus. Das<br />
erwartete Sperrfeuer der Detailfragen blieb aus. Viel zu<br />
perplex waren wir Mamas und Papas, die wir uns doch<br />
in den vergangenen zwei Kindergartenjahren eifrig im<br />
Loslassen geübt hatten. Und nun dieser geballte Haufen<br />
an Information. Ungepolstert. Was passiert da mit unseren<br />
Prinzen und Prinzessinnen?<br />
Die Macht zurückerobern<br />
Die kommenden Wochen machten es klar. Denn in der<br />
<strong>Schule</strong> ist jedes Kind, selbst der folgsamste Prinz und<br />
die hübscheste Prinzessin, nur eines unter vielen. Gleiche<br />
Rechte und gleiche Pflichten gelten hier. Über Nacht<br />
werden aus kleinen Wunschkindern kleine Schulbürger.<br />
Gut möglich, dass die Lehrperson sogar ein anderes<br />
Kind dem eigenen vorzieht, und unweigerlich kommt<br />
der Tag, an dem das Kind eine Verbesserung zum zweiten<br />
Mal abschreiben oder drei Seiten Rechenaufgaben<br />
bewältigen muss, ob es nun darauf Lust hat oder nicht.<br />
Mit Sicherheit kommt auch der Moment, wo es wegen<br />
einer Dummheit nachsitzen muss oder sanktioniert<br />
wird. Dieser Gedanke ist unangenehm. Manche Eltern<br />
schäumen dann vor Empörung und tragen ihren verletzten<br />
Stolz in eine E-Mail, ein Gespräch. Noch mehr<br />
Nervosität grassiert nur noch in der fünften und sechsten<br />
Klasse, wenn die spielerische Leichtigkeit der Unterstufe<br />
abklingt und es darum geht, den Übertritt in die<br />
nächste Stufe durchzusetzen. Will man da wirklich dabei<br />
sein?<br />
Andererseits gibt es da auch die Gruppe der Eltern,<br />
die sich sofort mit dem gesamten Lehrkörper solidarisieren,<br />
zu jedem erdenklichen Anlass Selbstgebackenes<br />
beisteuern, ein Zusatzheft mit fakultativen Hausaufgaben<br />
einfordern oder nach den Schulanlässen noch freiwillig<br />
den Boden wischen. Noch ratloser aber stimmt<br />
mich auch nach vielen Jahren jene Spezies, die soziales<br />
Lernen als Unfug betrachtet und sich täglich alle Missetaten<br />
der anderen Kinder berichten lässt.<br />
Die Dinge, die meine Früchtchen heimlich taten und<br />
tun, gehen mich mit ganz wenigen Ausnahmen nichts<br />
an, denn: Hat nicht auch jedes Kind das Recht auf ein<br />
bisschen unstrukturiertes Eigenleben und Geheimnisse?<br />
Wollen wir wirklich alles wissen, was sie täglich treiben?<br />
Sind Kontrolle und allumfassender Schutz wirklich<br />
kindgerecht? Die Helikopter-Eltern sagen: Ja. Lautstark<br />
Ich rutsche auf dem Stuhl<br />
herum wie eine driftende<br />
Kontinentalplatte.<br />
beklagen sie sich am eigens einberufenen <strong>Spezial</strong>elternabend,<br />
bei den Nachbarn und in hartnäckigen Fällen<br />
sogar persönlich, dass der Tochter ein – nur ein! –<br />
Handschuh versteckt oder der Sohn auf dem Nachhauseweg<br />
mit Kirschsteinen beworfen worden sei – sogar<br />
zweimal!<br />
Schlichten ist nicht nötig<br />
Auch das ist <strong>Schule</strong>: Zoff auf dem Pausenplatz. Ein Tummelfeld<br />
zwischen Adoration und Aggression. Wo man<br />
auch als Zehnjähriger noch prima Verstecken spielen<br />
kann und die Pausencracker kollektiv zerbröselt. Ein<br />
Ort aber auch, an dem man sich aus niedrigen Beweggründen<br />
voll krass konkrete Beschimpfungen an den<br />
Hals wünscht, eine Rauferei vom Zaun bricht oder im<br />
Fussballspiel einen sauberen Beinsteller riskiert. Empörte<br />
und atemlose Gemüter, manchmal auch körperliche<br />
Schrammen gilt es dann am Familientisch zu besänftigen<br />
und einige Dutzend vermisste Gegenstände neu anzuschaffen.<br />
Ja, auch meinem Kind wurde schon die Mütze<br />
in den Bach geworfen, eins an den Kopf gehauen und<br />
die Brille verbogen. Der Höhepunkt war ein zuoberst<br />
auf dem Index stehendes Schimpfwort, das ein eifersüchtiger<br />
Klassenkamerad meinem Erstklässler zurief<br />
(und das eigentlich mir galt). Dieser war so irritiert<br />
darüber, dass er sogar vergass, beim Mittagessen den<br />
Brokkoli auf dem Teller zu ignorieren. Unschöne<br />
Geduldsproben, gewiss, doch trotzdem bin ich zum<br />
Schluss gelangt: Nein, man muss tatsächlich nicht über<br />
alles reden. Ein Schulkind zu haben, bedeutet eben nicht,<br />
die individuellen erzieherischen Ideale in einer Art<br />
Grundsatzdebatte bei jeder Gelegenheit unaufgefordert<br />
zu artikulieren.<br />
Die Petzerei ihres Kindes zu belohnen, indem die<br />
Eltern ein anderes beschimpfen, obwohl sie nicht einmal<br />
dabei waren, dient letztlich nur der Ich-Bezogenheit,<br />
nicht aber dem Kind.<br />
Gibt es Streit, wird er ausgetragen. Punkt. Ein Kind<br />
siegt oder es erlebt eine Niederlage, ohne dass Erwachsene<br />
gleich mit Blaulicht und Sirene herbeieilen müssen.<br />
<strong>Schule</strong> ist Bildung, keine Dienstleistung. Das ist zwar<br />
den Lehrpersonen klar, aber leider nicht allen Eltern.<br />
Nach sicher 25 durchgestandenen, mehrheitlich launigen<br />
und friedvollen Elternabenden wuchs in mir die<br />
Erkenntnis, dass die Gefühle, die Eltern eines frischge-<br />
56 Frühjahr <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi <strong>Schule</strong>