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Zeit für Reform von E. G. White

Vor fünfhundert Jahren, eine Zeit der Reform war ausgebrochen. Die Aufmerksamkeit aller Parteien richtete sich nun auf die Versammlung der deutschen Länder, die kurz nach Karls Thronbesteigung in Worms tagte. Wichtige politische Fragen und Belange sollten auf diesem Reichstag erörtert werden; zum erstenmal sollten die deutschen Fürsten ihrem jugendlichen Monarchen auf einer Ratsversammlung begegnen. Aus allen deutschen Landen hatten sich die Würdenträger der Kirche und des Reiches eingefunden. Der weltliche Adel, gewaltig und eifersüchtig auf seine Erbrechte bedacht; Kirchenfürsten, stolz in dem Bewußtsein ihrer Überlegenheit an Rang und Macht; höfische Ritter und ihr bewaffnetes Gefolge; Gesandte aus fremden und fernen Ländern — alle versammelten sich in Worms. Und auf dieser großartigen Versammlung erregte die Sache des sächsischen Reformators die größte Aufmerksamkeit.

Vor fünfhundert Jahren, eine Zeit der Reform war ausgebrochen. Die Aufmerksamkeit aller Parteien richtete sich nun auf die Versammlung der deutschen Länder, die kurz nach Karls Thronbesteigung in Worms tagte. Wichtige politische Fragen und Belange sollten auf diesem Reichstag erörtert werden; zum erstenmal sollten die deutschen Fürsten ihrem jugendlichen Monarchen auf einer Ratsversammlung begegnen. Aus allen deutschen Landen hatten sich die Würdenträger der Kirche und des Reiches eingefunden. Der weltliche Adel, gewaltig und eifersüchtig auf seine Erbrechte bedacht; Kirchenfürsten, stolz in dem Bewußtsein ihrer Überlegenheit an Rang und Macht; höfische Ritter und ihr bewaffnetes Gefolge; Gesandte aus fremden und fernen Ländern — alle versammelten sich in Worms. Und auf dieser großartigen Versammlung erregte die Sache des sächsischen Reformators die größte Aufmerksamkeit.

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<strong>Zeit</strong> <strong>für</strong> <strong>Reform</strong><br />

bald darauf verließ er die Schweiz. Das Auftreten der Pest, des sogenannten „schwarzen Todes“, die 1519<br />

die Schweiz heimsuchte, verlieh den Erneuerungsbestrebungen starken Auftrieb. Als die Menschen auf diese<br />

Weise dem Verderben unmittelbar gegenübergestellt wurden, sahen viele ein, wie nichtig und wertlos die<br />

Ablässe waren, die sie kürzlich erst gekauft hatten, und sie sehnten sich nach einem sicheren Grund <strong>für</strong> ihren<br />

Glauben. In Zürich wurde auch Zwingli aufs Krankenlager geworfen. Er lag so schwer danieder, daß man<br />

auf seine Genesung nicht mehr zu hoffen wagte und das Gerücht sich verbreitete, er sei tot. In jener schweren<br />

Stunde der Prüfung blieben jedoch seine Hoffnungen und sein Mut unerschüttert. Im Glauben blickte er auf<br />

das Kreuz <strong>von</strong> Golgatha und vertraute auf die allgenügsame Versöhnung <strong>für</strong> die Sünde. Als er <strong>von</strong> der Pforte<br />

des Todes zurückgekehrt war, predigte er das Evangelium mit größerer Kraft als je zuvor, und seine Worte<br />

übten eine ungewöhnliche Macht aus. Das Volk begrüßte freudig seinen verehrten Seelsorger, der ihm<br />

wiedergeschenkt war. Mit der Besorgung der Kranken und Sterbenden selbst beschäftigt gewesen, fühlte es<br />

wie nie zuvor den Wert des Evangeliums.<br />

Zwingli war zu einem klareren Verständnis der Evangeliumswahrheiten gelangt und hatte an sich<br />

selbst deren neugestaltende Macht völliger erfahren. Der Sündenfall und der Erlösungsplan waren die<br />

Themen, mit denen er sich beschäftigte. Er schrieb: „In Adam sind wir alle tot und in Verderbnis und<br />

Verdammnis versunken“, aber Christus ist „wahrer Mensch gleichwie wahrer Gott und ein ewig währendes<br />

Gut“. „Sein Leiden ist ewig gut und fruchtbar, tut der göttlichen Gerechtigkeit in Ewigkeit <strong>für</strong> die Sünden<br />

aller Menschen genug, die sich sicher und gläubig darauf verlassen.“ Doch lehrte er deutlich, daß es den<br />

Menschen unter der Gnade Christi nicht freistehe, weiterhin zu sündigen. „Siehe, wo der wahre Glaube ist<br />

(der <strong>von</strong> der Liebe nicht geschieden), da ist Gott. Wo aber Gott ist, da geschieht nichts Arges ... da fehlt es<br />

nicht an guten Werken.“<br />

Zwinglis Predigten erregten solches Aufsehen, daß das Großmünster die Menge nicht fassen konnte,<br />

die ihm zuhören wollte. Nach und nach, wie sie es aufnehmen konnten, öffnete er seinen Zuhörern die<br />

Wahrheit. Er war sorgfältig darauf bedacht, nicht gleich am Anfang Lehren einzuführen, die sie erschrecken<br />

und die Vorurteile erregen würden. Seine Aufgabe hieß, ihre Herzen <strong>für</strong> die Lehren Christi zu gewinnen, sie<br />

durch dessen Liebe zu erweichen und ihnen dessen Beispiel vor Augen zu halten. Nähmen sie die Grundsätze<br />

des Evangeliums an, schwänden unvermeidlich ihre abergläubischen Begriffe und Gebräuche.<br />

Schritt <strong>für</strong> Schritt ging die <strong>Reform</strong>ation in Zürich vorwärts. Schreckensvoll erhoben sich ihre Feinde<br />

zu tatkräftigem Widerstand. Ein Jahr zuvor hatte der Mönch <strong>von</strong> Wittenberg in Worms Papst und Kaiser<br />

sein „Nein“ entgegengehalten, und nun schien in Zürich alles auf ein ähnliches Widerstreben gegen die<br />

päpstlichen Ansprüche hinzudeuten. Zwingli wurde wiederholt angegriffen. In den päpstlichen Kantonen<br />

wurden <strong>von</strong> <strong>Zeit</strong> zu <strong>Zeit</strong> Jünger des Evangeliums auf den Scheiterhaufen gebracht, doch das genügte nicht;<br />

der Lehrer der Ketzerei mußte zum Schweigen gebracht werden. Deshalb sandte der Bischof <strong>von</strong> Konstanz<br />

drei Abgeordnete zu dem Rat zu Zürich, die Zwingli anklagten, er lehre das Volk, die Geset- ze der Kirche<br />

zu übertreten, und gefährde so den Frieden und die Ordnung des Volkes. Sollte aber die Autorität der Kirche<br />

unberücksichtigt bleiben, so träte ein Zustand allgemeiner Gesetzlosigkeit ein. Zwingli antwortete: „Ich habe<br />

schon beinahe vier Jahre lang das Evangelium Jesu mit saurer Mühe und Arbeit gepredigt. Zürich ist ruhiger<br />

und friedlicher, als jeder andere Ort der Eidgenossenschaft, und dies schreiben alle guten Bürger dem<br />

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