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Zeit für Reform von E. G. White

Vor fünfhundert Jahren, eine Zeit der Reform war ausgebrochen. Die Aufmerksamkeit aller Parteien richtete sich nun auf die Versammlung der deutschen Länder, die kurz nach Karls Thronbesteigung in Worms tagte. Wichtige politische Fragen und Belange sollten auf diesem Reichstag erörtert werden; zum erstenmal sollten die deutschen Fürsten ihrem jugendlichen Monarchen auf einer Ratsversammlung begegnen. Aus allen deutschen Landen hatten sich die Würdenträger der Kirche und des Reiches eingefunden. Der weltliche Adel, gewaltig und eifersüchtig auf seine Erbrechte bedacht; Kirchenfürsten, stolz in dem Bewußtsein ihrer Überlegenheit an Rang und Macht; höfische Ritter und ihr bewaffnetes Gefolge; Gesandte aus fremden und fernen Ländern — alle versammelten sich in Worms. Und auf dieser großartigen Versammlung erregte die Sache des sächsischen Reformators die größte Aufmerksamkeit.

Vor fünfhundert Jahren, eine Zeit der Reform war ausgebrochen. Die Aufmerksamkeit aller Parteien richtete sich nun auf die Versammlung der deutschen Länder, die kurz nach Karls Thronbesteigung in Worms tagte. Wichtige politische Fragen und Belange sollten auf diesem Reichstag erörtert werden; zum erstenmal sollten die deutschen Fürsten ihrem jugendlichen Monarchen auf einer Ratsversammlung begegnen. Aus allen deutschen Landen hatten sich die Würdenträger der Kirche und des Reiches eingefunden. Der weltliche Adel, gewaltig und eifersüchtig auf seine Erbrechte bedacht; Kirchenfürsten, stolz in dem Bewußtsein ihrer Überlegenheit an Rang und Macht; höfische Ritter und ihr bewaffnetes Gefolge; Gesandte aus fremden und fernen Ländern — alle versammelten sich in Worms. Und auf dieser großartigen Versammlung erregte die Sache des sächsischen Reformators die größte Aufmerksamkeit.

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<strong>Zeit</strong> <strong>für</strong> <strong>Reform</strong><br />

Levita, eine Sammlung angeblich fränkischer Kapitularien. Die Pseudoisidorischen Dekretalen sind um die<br />

Mitte des 9. Jahrhunderts wahrscheinlich in der Kirchenprovinz Reims entstanden; der Herausgeber nennt<br />

sich Isidorus Mercator. Unmittelbarer Zweck der Sammlung war, die Kirche <strong>von</strong> der Staatsgewalt zu<br />

befreien, die Macht der Erzbischöfe zu brechen und den Primat des Papstes zu festigen. Die Bischöfe sollten<br />

der Gerichtsbarkeit der weltlichen Gewalten sowie der Metropoliten und Provinzialsynoden enthoben<br />

werden. Die wichtigsten Sätze der Pseudoisidorischen Dekretalen sind in die späteren<br />

Kirchenrechtssammlungen und in das Corpus Juris Canonici übergegangen und haben besonders seit der<br />

<strong>Reform</strong>bewegung des 11. Jahrhunderts die kirchliche Rechtsentwicklung beeinflußt.<br />

Das Mittelalter hat die Pseudoisidorischen Dekretalen <strong>für</strong> echt gehalten; aber bereits Nikolaus <strong>von</strong><br />

Cusa (15. Jahrhundert) äußerte Bedenken. Als Fälschung wurde die Sammlung zum erstenmal in den<br />

Magdeburger Zenturien des Matthias Flacius 1559 aufgedeckt (erste protestantische Kirchengeschichte).<br />

Den umfassenden Nachweis der Unechtheit hat gegenüber dem Jesuiten Franz Torres der reformierte<br />

Theologe David Blondel 1628 erbracht.“ (Der Große Brockhaus, Bd. XV, 198.)<br />

Isidor Mercator nahm als Grundlage seiner Fälschung eine Sammlung <strong>von</strong> gültigen Kanons, die<br />

Hispana Gallica Augustodunensis. Auf diese Weise schmälerte er die Gefahr der Aufdeckung, da<br />

Gesetzessammlungen gewöhnlich durch Hinzufügen neuer Gesetze zu den alten entstanden. Indem er seine<br />

Fälschung mit echtem Material verband, wurde sie als Fälschung weniger offenkundig. Die Unechtheit des<br />

pseudoisidorischen Machwerkes wird nun unstreitig zugegeben; denn sie ist durch innere Beweise, durch<br />

Untersuchung der Quellen und benutzten Methoden und durch die Tatsache, daß dieses Material vor 852<br />

unbekannt war, eindeutig erwiesen. Historiker stimmen darin überein, daß das Jahr 850 oder 851 das<br />

wahrscheinlichste Datum <strong>für</strong> die Vollendung der Sammlung ist, da diese Urkunde zuerst in der Admonitio<br />

der Kapitulare <strong>von</strong> Quiercy um 857 erwähnt wird.<br />

Der Verfasser dieser Fälschung ist nicht bekannt. Vermutlich rührte sie <strong>von</strong> der streitbaren neuen<br />

Kirchenpartei her, die sich im 9. Jahrhundert in Reims gebildet hatte. Es ist erwiesen, daß Bischof Hinkmar<br />

<strong>von</strong> Reims diese Dekretalen bei der Absetzung Rothads <strong>von</strong> Soissons benutzte. Dieser wieder brachte sie<br />

864 nach Rom und legte sie dem Papst Nikolaus I. vor.<br />

Unter denen, die ihre Authentizität anfochten, befanden sich Nikolaus <strong>von</strong> Cusa (1401-1464), Charles<br />

Du Moulin (1500-1566) und George Cassender (1513-1564). Der unwiderlegbare Beweis ihrer Fälschung<br />

wurde <strong>von</strong> dem Theologen David Blondel 1628 erbracht. Weitere Quellen: Migne, Patrologiae cursus<br />

completus, Bd. CXXX; P. Hinschius, Decretales Pseudo-Isidorianiae et capitula Angilramni, Leipzig, 1863;<br />

I. v. Döllinger, Das Papsttum 35ff., München, 1892, E. Seckel, Pseudoisidorische Dekretalen in<br />

Realenzyklopädie <strong>für</strong> protestantische Theologie und Kirche, Bd.XVI, 3. Aufl., 1905; E. Perels, Eine<br />

Denkschrift Hinkmars <strong>von</strong> Reims im Prozeß<br />

Rothads <strong>von</strong> Soissons, 1922; Maaßen, Pseudoisidorstudien, 1888; Kenneth Scott Latourette, A History<br />

of the Expansion of Christianity, Bd. III, 1938; H.H. Milman, History of Latin Christianity, Bd. III; New<br />

Schaff-Herzog Encyclopedia of Religious Knowledge, Bd.<br />

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