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Zeit für Reform von E. G. White

Vor fünfhundert Jahren, eine Zeit der Reform war ausgebrochen. Die Aufmerksamkeit aller Parteien richtete sich nun auf die Versammlung der deutschen Länder, die kurz nach Karls Thronbesteigung in Worms tagte. Wichtige politische Fragen und Belange sollten auf diesem Reichstag erörtert werden; zum erstenmal sollten die deutschen Fürsten ihrem jugendlichen Monarchen auf einer Ratsversammlung begegnen. Aus allen deutschen Landen hatten sich die Würdenträger der Kirche und des Reiches eingefunden. Der weltliche Adel, gewaltig und eifersüchtig auf seine Erbrechte bedacht; Kirchenfürsten, stolz in dem Bewußtsein ihrer Überlegenheit an Rang und Macht; höfische Ritter und ihr bewaffnetes Gefolge; Gesandte aus fremden und fernen Ländern — alle versammelten sich in Worms. Und auf dieser großartigen Versammlung erregte die Sache des sächsischen Reformators die größte Aufmerksamkeit.

Vor fünfhundert Jahren, eine Zeit der Reform war ausgebrochen. Die Aufmerksamkeit aller Parteien richtete sich nun auf die Versammlung der deutschen Länder, die kurz nach Karls Thronbesteigung in Worms tagte. Wichtige politische Fragen und Belange sollten auf diesem Reichstag erörtert werden; zum erstenmal sollten die deutschen Fürsten ihrem jugendlichen Monarchen auf einer Ratsversammlung begegnen. Aus allen deutschen Landen hatten sich die Würdenträger der Kirche und des Reiches eingefunden. Der weltliche Adel, gewaltig und eifersüchtig auf seine Erbrechte bedacht; Kirchenfürsten, stolz in dem Bewußtsein ihrer Überlegenheit an Rang und Macht; höfische Ritter und ihr bewaffnetes Gefolge; Gesandte aus fremden und fernen Ländern — alle versammelten sich in Worms. Und auf dieser großartigen Versammlung erregte die Sache des sächsischen Reformators die größte Aufmerksamkeit.

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<strong>Zeit</strong> <strong>für</strong> <strong>Reform</strong><br />

deren Herzen <strong>von</strong> ihren Wahrheiten unberührt waren, besprachen sie eifrig und stritten sogar mit den<br />

Verfechtern der römischen Kirche. Calvin, ein tüchtiger Kämpfer auf dem Gebiete theologischer<br />

Streitigkeiten, hatte einen höheren Auftrag zu erfüllen als diese lärmenden Schulgelehrten. Die Gemüter der<br />

Menschen waren geweckt, und jetzt war die <strong>Zeit</strong> gekommen, ihnen die Wahrheit nahezubringen. Während<br />

die Hörsäle der Universitäten <strong>von</strong> dem Geschrei theologischer Streitfragen erfüllt waren, ging Calvin <strong>von</strong><br />

Haus zu Haus, öffnete den Menschen das Verständnis der Heiligen Schrift und sprach zu ihnen <strong>von</strong> Christus,<br />

dem Gekreuzigten.<br />

Durch Gottes gnädige Vorsehung sollte Paris wiederum eine Einladung erhalten, das Evangelium<br />

anzunehmen. Es hatte den Ruf Fabers und Farels verworfen; doch erneut sollten alle Stände in jener großen<br />

Hauptstadt die Botschaft vernehmen. Der König hatte sich politischer Rücksichten halber noch nicht völlig<br />

<strong>für</strong> Rom und gegen die <strong>Reform</strong>ation entschieden. Margarete hegte noch immer die Hoffnung, daß der<br />

Protestantismus in Frankreich siegen würde. Sie bestimmte, daß in Paris der reformierte Glaube gepredigt<br />

werden sollte. Während der Abwesenheit des Königs ließ sie einen protestantischen Prediger in den Kirchen<br />

der Stadt den wahren Bibelglauben verkündigen. Als dies <strong>von</strong> den päpstlichen Würdenträgern verboten<br />

wurde, stellte die Fürstin ihren Palast zur Verfügung. Ein Gemach wurde als Kapelle hergerichtet, und dann<br />

gab man bekannt, daß täglich zu einer bestimmten Stunde eine Predigt stattfände und daß das Volk aller<br />

Stände dazu eingeladen sei. Große Scharen strömten zum Gottesdienst. Nicht nur die Kapelle, sondern auch<br />

die Vorzimmer und Hallen waren gedrängt voll. Tausende kamen jeden Tag zusammen: Adlige,<br />

Staatsmänner, Rechtsgelehrte, Kaufleute und Handwerker. Statt die Versammlungen zu untersagen, befahl<br />

der König, in Paris zwei Kirchen zu öffnen. Nie zuvor war die Stadt so vom Worte Gottes bewegt worden.<br />

Es schien, als wäre der Geist des Lebens vom Himmel auf das Volk gekommen. Mäßigkeit, Reinheit,<br />

Ordnung und Fleiß traten an die Stelle <strong>von</strong> Trunkenheit, Ausschweifung, Zwietracht und Müßiggang.<br />

Die Priesterschaft war jedoch nicht müßig. Da der König sich weigerte,einzuschreiten und die Predigt<br />

zu verbieten,wandte sie sich an die Bevölkerung. Kein Mittel wurde gespart, um die Furcht, die Vorurteile<br />

und den Fanatismus der unwissenden und abergläubischen Menge zu erregen. Und Paris, das sich seinen<br />

falschen Lehrern blindlings ergab, erkannte wie einst Jerusalem weder die <strong>Zeit</strong> seiner Heimsuchung noch<br />

was zu seinem Frieden diente. Zwei Jahre lang wurde das Wort Gottes in der Hauptstadt verkündigt; doch<br />

während viele das Evangelium annahmen, verwarf es die Mehrheit des Volkes. Franz hatte, nur um seinem<br />

eigenen Zweck zu dienen, eine gewisse religiöse Duldung an den Tag gelegt, und es gelang den päpstlichen<br />

Anhängern, wieder die Oberhand zu gewinnen. Abermals wurden die Kirchen geschlossen und<br />

Scheiterhaufen aufgerichtet.<br />

Calvin war noch in Paris, bereitete sich durch Studium, tiefes Nachdenken und Gebet auf seine<br />

künftige Arbeit vor und fuhr fort, das Licht auszubreiten. Schließlich geriet auch er in den Verdacht der<br />

Ketzerei. Die Behörden beschlossen,ihn den Flammen zu übergeben. Da er sich in seiner Abgeschiedenheit<br />

außer jeder Gefahr wähnte, dachte er an nichts Böses. Plötzlich eilten Freunde auf sein Zimmer mit der<br />

Nachricht, daß Beamte auf dem Wege seien, ihn zu verhaften. Im selben Augenblick vernahmen sie lautes<br />

Klopfen am äußeren Eingang. Es galt, keine <strong>Zeit</strong> zu verlieren. Einige Freunde hielten die Beamten an der<br />

Tür auf, während andere dem <strong>Reform</strong>ator behilflich waren,sich durchs Fenster hinunterzulassen und schnell<br />

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