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Zeit für Reform von E. G. White

Vor fünfhundert Jahren, eine Zeit der Reform war ausgebrochen. Die Aufmerksamkeit aller Parteien richtete sich nun auf die Versammlung der deutschen Länder, die kurz nach Karls Thronbesteigung in Worms tagte. Wichtige politische Fragen und Belange sollten auf diesem Reichstag erörtert werden; zum erstenmal sollten die deutschen Fürsten ihrem jugendlichen Monarchen auf einer Ratsversammlung begegnen. Aus allen deutschen Landen hatten sich die Würdenträger der Kirche und des Reiches eingefunden. Der weltliche Adel, gewaltig und eifersüchtig auf seine Erbrechte bedacht; Kirchenfürsten, stolz in dem Bewußtsein ihrer Überlegenheit an Rang und Macht; höfische Ritter und ihr bewaffnetes Gefolge; Gesandte aus fremden und fernen Ländern — alle versammelten sich in Worms. Und auf dieser großartigen Versammlung erregte die Sache des sächsischen Reformators die größte Aufmerksamkeit.

Vor fünfhundert Jahren, eine Zeit der Reform war ausgebrochen. Die Aufmerksamkeit aller Parteien richtete sich nun auf die Versammlung der deutschen Länder, die kurz nach Karls Thronbesteigung in Worms tagte. Wichtige politische Fragen und Belange sollten auf diesem Reichstag erörtert werden; zum erstenmal sollten die deutschen Fürsten ihrem jugendlichen Monarchen auf einer Ratsversammlung begegnen. Aus allen deutschen Landen hatten sich die Würdenträger der Kirche und des Reiches eingefunden. Der weltliche Adel, gewaltig und eifersüchtig auf seine Erbrechte bedacht; Kirchenfürsten, stolz in dem Bewußtsein ihrer Überlegenheit an Rang und Macht; höfische Ritter und ihr bewaffnetes Gefolge; Gesandte aus fremden und fernen Ländern — alle versammelten sich in Worms. Und auf dieser großartigen Versammlung erregte die Sache des sächsischen Reformators die größte Aufmerksamkeit.

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<strong>Zeit</strong> <strong>für</strong> <strong>Reform</strong><br />

nächst Gott vieles zu hoffen ist, ein unseliger Eingang und ein unglücklich Regiment zuteil werde. Ich könnte<br />

da<strong>für</strong> reichlich Exempel bringen aus der Heiligen Schrift, <strong>von</strong> Pharao, vom König zu Babel und <strong>von</strong> den<br />

Königen Israels, welche gerade dann am meisten Verderben sich bereitet haben, wenn sie mit den klügsten<br />

Reden und Anschlägen ihr Reich zu befrieden und zu befestigen dachten. Denn der Herr ist‘s, der die Klugen<br />

erhascht in ihrer Klugheit und die Berge umkehrt, ehe sie es innewerden; darum tut‘s not, Gott zu <strong>für</strong>chten.“<br />

Luther hatte deutsch gesprochen; er wurde nun aufgefordert, dieselben Worte in lateinischer Sprache<br />

zu wiederholen. Wiewohl er durch die voraufgegangene Anstrengung erschöpft war, willfahrte er doch<br />

dieser Bitte und trug dieselbe Rede noch einmal ebenso deutlich und kraftvoll vor, so daß ihn alle verstehen<br />

konnten. Gottes Vorsehung waltete in dieser Sache. Viele Fürsten waren durch Irrtum und Aberglauben so<br />

verblendet, daß sie bei Luthers erster Rede die Gewichtigkeit seiner Gründe nicht klar erfassen konnten;<br />

durch diese Wiederholung aber wurden ihnen die angeführten Punkte klar verständlich. Solche, die ihre<br />

Herzen dem Licht hartnäckig verschlossen und sich durchaus nicht <strong>von</strong> der Wahrheit überzeugen lassen<br />

wollten, wurden durch die Gewalt seiner Worte in höchsten Zorn versetzt. Als er seine Rede beendet hatte,<br />

mahnte der Wortführer des Reichstages in strafendem Ton, Luther hätte nicht zur Sache geantwortet, und es<br />

gehöre sich nicht, hier Verdammungsurteile und Feststellungen <strong>von</strong> Konzilien in Frage zu ziehen. Luther<br />

sollte klar und deutlich antworten, ob er widerrufen wolle oder nicht.<br />

Darauf erwiderte der <strong>Reform</strong>ator: „Weil denn Eure Majestät und die Herrschaften eine einfache<br />

Antwort begehren, so will ich eine geben, die weder Hörner noch Zähne hat, dermaßen: Wenn ich nicht<br />

durch Schriftzeugnisse oder helle Gründe werde überwunden werden (denn ich glaube weder dem Papst<br />

noch den Konzilien allein, weil feststeht, daß sie öfter geirrt und sich selbst widersprochen haben), so bin<br />

ich überwunden durch die <strong>von</strong> mir angeführten Schriften und mein Gewissen gefangen in Gottes Worten;<br />

widerrufen kann ich nichts und will ich nichts, weil wider das Gewissen zu handeln beschwerlich, unsicher<br />

und nicht lauter ist. Hier stehe ich, ich kann nicht anders, Gott helfe mir, Amen.“<br />

So stand dieser rechtschaffene Mann auf dem sicheren Grund des göttlichen Wortes. Des Himmels<br />

Licht erleuchtete sein Angesicht. Die Größe und Reinheit seines Charakters, der Friede und die Freude seines<br />

Herzens offenbarten sich allen, als er die Macht des Irrtums bloßstellte und die Überlegenheit jenes Glaubens<br />

bezeugte, der die Welt überwindet. Die Versammlung staunte über diese kühne Verteidigung. Seine erste<br />

Antwort hatte Luther mit gedämpfter Stimme in achtungsvoller, beinahe unterwürfiger Haltung gegeben.<br />

Die Römlinge hatten dies als einen Beweis gedeutet, daß sein Mut angefangen habe zu wanken. Sie<br />

betrachteten sein Gesuch um Bedenkzeit nur als Vorspiel seines Widerrufs. Sogar Kaiser Karl, der halb<br />

verächtlich die gebeugte Gestalt des Mönches, sein schlichtes Gewand und die Einfachheit seiner Ansprache<br />

wahrnahm, hatte erklärt: „Der soll mich nicht zum Ketzer machen.“ Der Mut aber und die Festigkeit, die<br />

Luther nun an den Tag legte, überraschte, ebenso wie die Kraft und Klarheit seiner Beweisführung,alle<br />

Parteien. Von Bewunderung hingerissen,rief der Kaiser: „Dieser Mönch redet unerschrocken, mit getrostem<br />

Mut!“ Viele Fürsten blickten mit Stolz und Freude auf diesen Vertreter ihrer Nation.<br />

Die Anhänger Roms waren geschlagen, und ihre Sache erschien in einem sehr ungünstigen Licht. Sie<br />

suchten nicht etwa dadurch ihre Macht aufrechtzuerhalten, indem sie sich auf die Heilige Schrift beriefen,<br />

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