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Zeit für Reform von E. G. White

Vor fünfhundert Jahren, eine Zeit der Reform war ausgebrochen. Die Aufmerksamkeit aller Parteien richtete sich nun auf die Versammlung der deutschen Länder, die kurz nach Karls Thronbesteigung in Worms tagte. Wichtige politische Fragen und Belange sollten auf diesem Reichstag erörtert werden; zum erstenmal sollten die deutschen Fürsten ihrem jugendlichen Monarchen auf einer Ratsversammlung begegnen. Aus allen deutschen Landen hatten sich die Würdenträger der Kirche und des Reiches eingefunden. Der weltliche Adel, gewaltig und eifersüchtig auf seine Erbrechte bedacht; Kirchenfürsten, stolz in dem Bewußtsein ihrer Überlegenheit an Rang und Macht; höfische Ritter und ihr bewaffnetes Gefolge; Gesandte aus fremden und fernen Ländern — alle versammelten sich in Worms. Und auf dieser großartigen Versammlung erregte die Sache des sächsischen Reformators die größte Aufmerksamkeit.

Vor fünfhundert Jahren, eine Zeit der Reform war ausgebrochen. Die Aufmerksamkeit aller Parteien richtete sich nun auf die Versammlung der deutschen Länder, die kurz nach Karls Thronbesteigung in Worms tagte. Wichtige politische Fragen und Belange sollten auf diesem Reichstag erörtert werden; zum erstenmal sollten die deutschen Fürsten ihrem jugendlichen Monarchen auf einer Ratsversammlung begegnen. Aus allen deutschen Landen hatten sich die Würdenträger der Kirche und des Reiches eingefunden. Der weltliche Adel, gewaltig und eifersüchtig auf seine Erbrechte bedacht; Kirchenfürsten, stolz in dem Bewußtsein ihrer Überlegenheit an Rang und Macht; höfische Ritter und ihr bewaffnetes Gefolge; Gesandte aus fremden und fernen Ländern — alle versammelten sich in Worms. Und auf dieser großartigen Versammlung erregte die Sache des sächsischen Reformators die größte Aufmerksamkeit.

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<strong>Zeit</strong> <strong>für</strong> <strong>Reform</strong><br />

Gottes beanspruchte. Sein Geist ist jetzt nicht weniger grausam und willkürlich als zu der <strong>Zeit</strong>, da es die<br />

menschliche Freiheit niederwarf und die Heiligen des Allerhöchsten erschlug.<br />

Auf das Papsttum trifft genau das <strong>von</strong> der Prophezeiung gebrauchte Bild zu <strong>von</strong> dem „Abfall, der da<br />

kommen soll“. Es gehört zu seinem diplomatischen Geschick, immer den Charakter anzunehmen, der am<br />

besten seinen Absichten dient. „Wir sind nicht gebunden, den Ketzern Treue und Glauben zu halten“, erklärt<br />

die römische Kirche. Soll nun diese Macht, deren Geschichte während eines Jahrtausends mit dem Blut der<br />

Heiligen geschrieben wurde, zur Gemeinde Christi gerechnet werden? Nicht ohne Grund ist in<br />

protestantischen Ländern die Behauptung aufgestellt worden, der Katholizismus unterscheide sich nicht<br />

mehr so sehr vom Protestantismus wie in früheren <strong>Zeit</strong>en. Wohl hat sich manches geändert, aber nicht das<br />

Papsttum. Der Katholizismus ähnelt in der Tat dem heutigen Protestantismus, weil dieser seit den Tagen der<br />

<strong>Reform</strong>ation sehr entartet ist.<br />

Indem die protestantischen Kirchen die Gunst der Welt gesucht haben, hat falsche Nächstenliebe ihre<br />

Augen verblendet. Sie können nicht einsehen, warum es unrecht sein sollte, <strong>von</strong> allem Bösen Gutes zu<br />

denken; und als unausbleibliche Folge werden sie schließlich Böses <strong>von</strong> allem Guten glauben. Anstatt den<br />

einst den Heiligen übergebenen Glauben zu verteidigen, entschuldigen sie sich nun sozusagen bei Rom<br />

wegen ihrer lieblosen Beurteilung dieses Glaubens und bitten darum, ihren blinden Eifer zu verzeihen. Viele<br />

<strong>von</strong> denen, die der römisch-katholischen Erscheinungswelt nicht wohlwollend gegenüberstehen, <strong>für</strong>chten<br />

nichts <strong>von</strong> deren Machteinfluß.<br />

Sie machen geltend, daß die geistige und sittliche Finsternis, die während des Mittelalters herrschte,<br />

die Ausbreitung ihrer Glaubenssätze, ihres Aberglaubens und ihrer Unterdrückungen begünstigte, und daß<br />

die Einsichten der Neuzeit, die allgemeine Verbreitung des Wissens und die zunehmende Freiheit in<br />

Glaubensdingen ein Wiederaufleben <strong>von</strong> Unduldsamkeit und Tyrannei unmöglich machen. Schon der<br />

Gedanke, daß ein solcher Zustand bestehen könne, wird verlacht. Es ist wahr, daß unserem Geschlecht große<br />

geistige, sittliche und religiöse Erkenntnisse aufgingen. Aus dem frei erschlossenen heiligen Wort Gottes<br />

hat sich himmlisches Licht über die Welt ergossen. Man sollte aber bedenken, daß je größer das gewährte<br />

Licht, desto dunkler auch die Finsternis derer ist, die es verdrehen oder verwerfen.<br />

Ein Studium der Heiligen Schrift unter Gebet würde den Protestanten den wahren Charakter des<br />

Papsttums zeigen; aber viele sind nach ihrer eigenen Meinung so weise, daß sie nicht das Bedürfnis haben,<br />

Gott demütig zu suchen, um in die Wahrheit geleitet zu werden. Obwohl sie sich mit ihrer Erleuchtung<br />

brüsten, wissen sie weder etwas <strong>von</strong> der Heiligen Schrift noch <strong>von</strong> der Kraft Gottes. Sie müssen irgendein<br />

Mittel haben, um ihr Gewissen zu beruhigen; und sie suchen das, was am wenigsten geistlich und<br />

demütigend ist. Sie möchten gern Gott vergessen, aber in einer Weise, daß es scheint, als gedächten sie<br />

seiner. Das Papsttum kann den Bedürfnissen dieser Menschen entsprechen. Es hat sich auf zwei Klassen der<br />

Menschheit eingestellt; und diese umfassen beinahe die ganze Erde: diejenigen, die durch ihre eigenen<br />

Verdienste gerettet werden möchten, und jene, die in ihren Sünden gerettet werden wollen. Hier liegt das<br />

Geheimnis seiner Macht.<br />

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