14.07.2017 Aufrufe

Zeit für Reform von E. G. White

Vor fünfhundert Jahren, eine Zeit der Reform war ausgebrochen. Die Aufmerksamkeit aller Parteien richtete sich nun auf die Versammlung der deutschen Länder, die kurz nach Karls Thronbesteigung in Worms tagte. Wichtige politische Fragen und Belange sollten auf diesem Reichstag erörtert werden; zum erstenmal sollten die deutschen Fürsten ihrem jugendlichen Monarchen auf einer Ratsversammlung begegnen. Aus allen deutschen Landen hatten sich die Würdenträger der Kirche und des Reiches eingefunden. Der weltliche Adel, gewaltig und eifersüchtig auf seine Erbrechte bedacht; Kirchenfürsten, stolz in dem Bewußtsein ihrer Überlegenheit an Rang und Macht; höfische Ritter und ihr bewaffnetes Gefolge; Gesandte aus fremden und fernen Ländern — alle versammelten sich in Worms. Und auf dieser großartigen Versammlung erregte die Sache des sächsischen Reformators die größte Aufmerksamkeit.

Vor fünfhundert Jahren, eine Zeit der Reform war ausgebrochen. Die Aufmerksamkeit aller Parteien richtete sich nun auf die Versammlung der deutschen Länder, die kurz nach Karls Thronbesteigung in Worms tagte. Wichtige politische Fragen und Belange sollten auf diesem Reichstag erörtert werden; zum erstenmal sollten die deutschen Fürsten ihrem jugendlichen Monarchen auf einer Ratsversammlung begegnen. Aus allen deutschen Landen hatten sich die Würdenträger der Kirche und des Reiches eingefunden. Der weltliche Adel, gewaltig und eifersüchtig auf seine Erbrechte bedacht; Kirchenfürsten, stolz in dem Bewußtsein ihrer Überlegenheit an Rang und Macht; höfische Ritter und ihr bewaffnetes Gefolge; Gesandte aus fremden und fernen Ländern — alle versammelten sich in Worms. Und auf dieser großartigen Versammlung erregte die Sache des sächsischen Reformators die größte Aufmerksamkeit.

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

<strong>Zeit</strong> <strong>für</strong> <strong>Reform</strong><br />

Alle gegnerischen Strömungen setzten auf ihre Art die Heilige Schrift beiseite und erhoben<br />

menschliche Weisheit zur Quelle religiöser Wahrheit und Erkenntnis. Der Rationalismus vergöttert die<br />

Vernunft und macht sie zum Maßstab der Religion. Die römischkatholische Kirche, die <strong>für</strong> den Papst eine<br />

unmittelbar <strong>von</strong> den Aposteln überkommene und <strong>für</strong> alle <strong>Zeit</strong>en unwandelbare Inspiration (göttliche<br />

Eingebung) beansprucht, bietet genügend Beispiele <strong>von</strong> Ausschweifung und Entartung, was allerdings unter<br />

der Heiligkeit des apostolischen Auftrags verheimlicht bleiben mußte. Die Eingebung, auf die sich Münzer<br />

und seine Anhänger beriefen, stammte aus den wunderlichen Einfällen ihrer Einbildungskraft; ihr Einfluß<br />

untergrub sowohl die menschliche als auch die göttliche Autorität. Wahre Christen betrachten die Heilige<br />

Schrift als die Schatzkammer der <strong>von</strong> Gott eingegebenen Wahrheit und als Prüfstein <strong>für</strong> jede Eingebung.<br />

Nach seiner Rückkehr <strong>von</strong> der Wartburg vollendete Luther seine Übersetzung des Neuen Testaments,<br />

und bald wurde das Evangelium dem deutschen Volk in seiner eigenen Sprache gegeben. Diese Übersetzung<br />

nahmen alle, die die Wahrheit liebten, mit großer Freude auf, wurde aber <strong>von</strong> denen, die menschliche<br />

Überlieferungen und Menschengebote vorzogen, höhnisch verworfen. Die Priester beunruhigte der Gedanke,<br />

daß das gemeine Volk jetzt fähig sein würde, mit ihnen die Lehren des Wortes Gottes zu besprechen und<br />

daß ihre eigene Unwissenheit dadurch ans Licht käme. Die Waffen ihrer menschlichen Vernunft waren<br />

machtlos gegen das Schwert des Geistes. Rom bot seinen ganzen Einfluß auf, um die Verbreitung der<br />

Heiligen Schrift zu hindern; aber Dekrete, Bannflüche und Folter blieben gleich wirkungslos. Je<br />

entschiedener die Bibel verdammt und verboten wurde, desto stärker verlangte das Volk zu erfahren, was<br />

sie wirklich lehre. Alle, die lesen konnten, waren begierig, das Wort Gottes selber zu erforschen. Sie trugen<br />

das Neue Testament bei sich, sie lasen es wieder und wieder und waren nicht eher zufrieden, bis sie große<br />

Teile auswendig gelernt hatten. Als Luther sah, mit welcher Gunst das Neue Testament aufgenommen wurde,<br />

machte er sich unverzüglich an die Übersetzung des Alten Testaments und veröffentlichte Teile da<strong>von</strong>,<br />

sobald sie fertig waren.<br />

Luthers Schriften wurden in Stadt und Land gleich günstig aufgenommen. „Was Luther und seine<br />

Freunde schrieben, wurde <strong>von</strong> andern verbreitet. Mönche, welche sich <strong>von</strong> der Ungesetzlichkeit der<br />

Klostergelübde überzeugt hatten und nach ihrer langen Untätigkeit ein arbeitsames Leben führen wollten,<br />

aber <strong>für</strong> die Predigt des göttlichen Wortes zu geringe Kenntnisse besaßen, durchstreiften die Provinzen, um<br />

Luthers Bücher zu verkaufen. Es gab bald sehr viele dieser mutigen Hausierer.“ Sehr aufmerksam wurden<br />

diese Schriften <strong>von</strong> Reichen und Armen, Gelehrten und Laien durchforscht. Abends lasen die<br />

Dorfschullehrer sie kleinen um den Herd versammelten Gruppen laut vor. Bei jeder dieser Bemühungen<br />

wurden einige Seelen <strong>von</strong> der Wahrheit überzeugt, nahmen das Wort freudig auf und erzählten andern<br />

wiederum die frohe Kunde.<br />

Die Worte der Bibel bewahrheiteten sich: „Wenn dein Wort offenbar wird, so erfreut es und macht<br />

klug die Einfältigen.“ Psalm 119,130. Das Erforschen der Heiligen Schrift bewirkte eine durchgreifende<br />

Veränderung in den Gemütern und Herzen des Volkes. Die päpstliche Herrschaft hatte ihren Untertanen ein<br />

eisernes Joch auferlegt, das sie in Unwissenheit und Erniedrigung hielt. Gewissenhaft hatte man eine<br />

abergläubische Wiederholung <strong>von</strong> Formen befolgt; aber an all diesem Dienst war der Anteil <strong>von</strong> Herz und<br />

Verstand nur gering. Luthers Predigten, die die eindeutigen Wahrheiten des Wortes Gottes hervorhoben, und<br />

114

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!