14.07.2017 Aufrufe

Zeit für Reform von E. G. White

Vor fünfhundert Jahren, eine Zeit der Reform war ausgebrochen. Die Aufmerksamkeit aller Parteien richtete sich nun auf die Versammlung der deutschen Länder, die kurz nach Karls Thronbesteigung in Worms tagte. Wichtige politische Fragen und Belange sollten auf diesem Reichstag erörtert werden; zum erstenmal sollten die deutschen Fürsten ihrem jugendlichen Monarchen auf einer Ratsversammlung begegnen. Aus allen deutschen Landen hatten sich die Würdenträger der Kirche und des Reiches eingefunden. Der weltliche Adel, gewaltig und eifersüchtig auf seine Erbrechte bedacht; Kirchenfürsten, stolz in dem Bewußtsein ihrer Überlegenheit an Rang und Macht; höfische Ritter und ihr bewaffnetes Gefolge; Gesandte aus fremden und fernen Ländern — alle versammelten sich in Worms. Und auf dieser großartigen Versammlung erregte die Sache des sächsischen Reformators die größte Aufmerksamkeit.

Vor fünfhundert Jahren, eine Zeit der Reform war ausgebrochen. Die Aufmerksamkeit aller Parteien richtete sich nun auf die Versammlung der deutschen Länder, die kurz nach Karls Thronbesteigung in Worms tagte. Wichtige politische Fragen und Belange sollten auf diesem Reichstag erörtert werden; zum erstenmal sollten die deutschen Fürsten ihrem jugendlichen Monarchen auf einer Ratsversammlung begegnen. Aus allen deutschen Landen hatten sich die Würdenträger der Kirche und des Reiches eingefunden. Der weltliche Adel, gewaltig und eifersüchtig auf seine Erbrechte bedacht; Kirchenfürsten, stolz in dem Bewußtsein ihrer Überlegenheit an Rang und Macht; höfische Ritter und ihr bewaffnetes Gefolge; Gesandte aus fremden und fernen Ländern — alle versammelten sich in Worms. Und auf dieser großartigen Versammlung erregte die Sache des sächsischen Reformators die größte Aufmerksamkeit.

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

<strong>Zeit</strong> <strong>für</strong> <strong>Reform</strong><br />

Genugtuung zu leisten. Calvin sah nichts vor sich als das Dunkel ewiger Verzweiflung. Vergebens bemühten<br />

sich die Gelehrten der Kirche, seiner Angst abzuhelfen, vergebens nahm er seine Zuflucht zu Beichte und<br />

Bußübungen: seine Seele konnten sie nicht mit Gott versöhnen.<br />

Während Calvin noch diese vergeblichen Kämpfe durchlebte, kam er eines Tages wie <strong>von</strong> ungefähr<br />

an einem der öffentlichen Plätze vorbei und wurde dort Augenzeuge der Verbrennung eines Ketzers. Er war<br />

betroffen über den Ausdruck des Friedens, der auf dem Angesicht des Märtyrers ruhte. Unter den Qualen<br />

jenes furchtbaren Todes und unter der noch schrecklicheren Verdammung der Kirche bekundete er einen<br />

Glauben und Mut, den der junge Student schmerzlich mit seiner eigenen Verzweiflung und Finsternis<br />

verglich, während er doch in strengstem Gehorsam gegen die Kirche lebte. Auf die Bibel, so wußte er,<br />

stützten die Ketzer ihren Glauben, und er entschloß sich, die Heilige Schrift zu studieren, um womöglich das<br />

Geheimnis ihrer Freude zu entdecken.<br />

In der Bibel fand er Christus. „O Vater!“ rief er aus, „sein Opfer hat deinen Zorn besänftigt, sein Blut<br />

hat meine Flecken gereinigt, sein Kreuz hat meinen Fluch getragen, sein Tod hat <strong>für</strong> mich Genugtuung<br />

geleistet. Wir hatten viel unnütze Torheiten geschmiedet; aber du hast mir dein Wort gleich einer Fackel<br />

gegeben, und du hast mein Herz gerührt, damit ich jedes andere Verdienst, ausgenommen das des Erlösers,<br />

verabscheue.“ Calvin war <strong>für</strong> das Priesteramt erzogen worden. Schon im Alter <strong>von</strong> zwölf Jahren wurde er<br />

zum Kaplan einer kleinen Gemeinde ernannt. Sein Haupt hatte der Bischof nach den Verordnungen der<br />

Kirche geschoren. Er erhielt weder eine Weihe noch erfüllte er die Pflichten eines Priesters, aber er war<br />

Mitglied der Geistlichkeit, trug den Titel seines Amtes und erhielt in Anbetracht dessen ein Gehalt.<br />

Als er nun fühlte, daß er nie ein Priester werden würde, widmete er sich eine <strong>Zeit</strong>lang dem Studium<br />

der Rechte, gab aber schließlich seinen Vorsatz auf und entschloß sich, sein Leben dem Evangelium zu<br />

weihen. Er zögerte jedoch, öffentlich zu lehren; denn er war <strong>von</strong> Natur aus schüchtern. Das Bewußtsein der<br />

großen Verantwortlichkeit einer solchen Stellung lastete schwer auf ihm, und es verlangte ihn nach weiterem<br />

Studium. Schließlich willigte er doch auf die ernsten Bitten seiner Freunde hin ein. „Wunderbar ist es“, sagte<br />

er, „daß einer <strong>von</strong> so niedriger Herkunft zu so hoher Würde erhoben werden sollte.“<br />

Ruhig trat Calvin sein Werk an, und seine Worte waren wie der Tau, der niederfällt, um die Erde zu<br />

erquicken. Er hatte Paris verlassen und hielt sich nun in einer Stadt in der Provinz unter dem Schutz der<br />

Prinzessin Magarete auf, den sie auch seinen Jüngern zuteil werden ließ, weil sie das Evangelium liebte.<br />

Calvin war noch immer ein Jüngling, freundlich und anspruchslos in seinem Wesen. Er begann seine<br />

Aufgabe bei den Leuten in ihren Wohnungen. Umgeben <strong>von</strong> den Angehörigen des Haushaltes las er die<br />

Bibel und erklärte die Heilswahrheiten. Die Zuhörer brachten andern die frohe Kunde, und bald ging Calvin<br />

<strong>von</strong> der Stadt in die umliegenden kleineren Städte und Dörfer. Er fand ebenso in Schlössern wie in Hütten<br />

Eingang; er machte Fortschritte und legte den Grund zu Gemeinden, aus denen unerschrockene Zeugen <strong>für</strong><br />

die Wahrheit hervorgehen sollten.<br />

Einige Monate später war er wieder in Paris. Im Kreise der Gebildeten und Gelehrten herrschte eine<br />

ungewohnte Aufregung. Das Studium der alten Sprachen hatte die Menschen zur Bibel geführt, und viele,<br />

131

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!