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Zeit für Reform von E. G. White

Vor fünfhundert Jahren, eine Zeit der Reform war ausgebrochen. Die Aufmerksamkeit aller Parteien richtete sich nun auf die Versammlung der deutschen Länder, die kurz nach Karls Thronbesteigung in Worms tagte. Wichtige politische Fragen und Belange sollten auf diesem Reichstag erörtert werden; zum erstenmal sollten die deutschen Fürsten ihrem jugendlichen Monarchen auf einer Ratsversammlung begegnen. Aus allen deutschen Landen hatten sich die Würdenträger der Kirche und des Reiches eingefunden. Der weltliche Adel, gewaltig und eifersüchtig auf seine Erbrechte bedacht; Kirchenfürsten, stolz in dem Bewußtsein ihrer Überlegenheit an Rang und Macht; höfische Ritter und ihr bewaffnetes Gefolge; Gesandte aus fremden und fernen Ländern — alle versammelten sich in Worms. Und auf dieser großartigen Versammlung erregte die Sache des sächsischen Reformators die größte Aufmerksamkeit.

Vor fünfhundert Jahren, eine Zeit der Reform war ausgebrochen. Die Aufmerksamkeit aller Parteien richtete sich nun auf die Versammlung der deutschen Länder, die kurz nach Karls Thronbesteigung in Worms tagte. Wichtige politische Fragen und Belange sollten auf diesem Reichstag erörtert werden; zum erstenmal sollten die deutschen Fürsten ihrem jugendlichen Monarchen auf einer Ratsversammlung begegnen. Aus allen deutschen Landen hatten sich die Würdenträger der Kirche und des Reiches eingefunden. Der weltliche Adel, gewaltig und eifersüchtig auf seine Erbrechte bedacht; Kirchenfürsten, stolz in dem Bewußtsein ihrer Überlegenheit an Rang und Macht; höfische Ritter und ihr bewaffnetes Gefolge; Gesandte aus fremden und fernen Ländern — alle versammelten sich in Worms. Und auf dieser großartigen Versammlung erregte die Sache des sächsischen Reformators die größte Aufmerksamkeit.

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<strong>Zeit</strong> <strong>für</strong> <strong>Reform</strong><br />

Lahmen gehen und die Tauben hören, er reinigte die Aussätzigen, weckte die Toten auf und verkündigte den<br />

Armen das Evangelium. Apostelgeschichte 10,38; Lukas 4,18; Matthäus 11,5. Allen Menschen ohne<br />

Unterschied galt die gnadenreiche Einladung: „Kommet her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid;<br />

ich will euch erquicken.“ Matthäus 11,28.<br />

Obgleich ihm Gutes mit Bösem und Liebe mit Haß belohnt wurde (Psalm 109,5), war er doch<br />

unverwandt seiner Mission der Barmherzigkeit nachgegangen. Nie waren die Menschen abgewiesen worden,<br />

die seine Gnade gesucht hatten. Selbst ein heimatloser Wanderer, dessen tägliches Teil Schmach und<br />

Entbehrung hieß, hatte er gelebt, um den Bedürftigen zu dienen, das Leid der Menschen zu lindern und<br />

Seelen zur Annahme der Gabe des Lebens zu bewegen. Wenn sich auch die Wogen der Gnade an<br />

widerspenstigen Herzen brachen, sie kehrten mit einer noch stärkeren Flut mitleidsvoller, unaussprechlicher<br />

Liebe zurück. Aber Israel hatte sich <strong>von</strong> seinem besten Freund und einzigen Helfer abgewandt, hatte die<br />

Mahnungen seiner Liebe verachtet, seine Ratschläge verschmäht, seine Warnungen verlacht.<br />

Die Stunde der Hoffnung und der Gnade neigte sich dem Ende zu; die Schale des lange<br />

zurückgehaltenen Zornes Gottes war nahezu gefüllt. Die nunmehr unheildrohende Wolke, die sich in den<br />

Jahren des Abfalls und der Empörung gebildet hatte, war im Begriff, sich über ein schuldiges Volk zu<br />

entladen. Der allein sie vor dem bevorstehenden Schicksal hätte bewahren können, war verachtet,<br />

mißhandelt, verworfen worden und sollte bald gekreuzigt werden. Christi Kreuzestod auf Golgatha würde<br />

Israels <strong>Zeit</strong> als einer <strong>von</strong> Gott begünstigten und gesegneten Nation beenden. Der Verlust auch nur einer Seele<br />

ist ein Unglück, das unendlich schwerer wiegt als die Vorteile und Reichtümer der Welt. Als Christus auf<br />

Jerusalem blickte, sah er das Schicksal einer ganzen Stadt, einer ganzen Nation vor seinem inneren Auge<br />

abrollen — jener Stadt, jener Nation, die einst die Auserwählte Gottes, sein ausschließliches Eigentum<br />

gewesen war.<br />

Propheten hatten über den Abfall der Kinder Israel und über die schrecklichen Verwüstungen, die ihre<br />

Sünden heraufbeschworen, geweint. Jeremia wünschte, daß seine Augen Tränenquellen wären, um Tag und<br />

Nacht die Erschlagenen der Tochter seines Volkes und des Herrn Herde, die gefangengenommenen worden<br />

war, beweinen zu können. Jeremia 8,23; Jeremia 13,17. Welchen Schmerz muß da Christus empfunden<br />

haben, dessen prophetischer Blick nicht Jahre, sondern ganze <strong>Zeit</strong>alter umfaßte! Er sah den Würgeengel mit<br />

dem gegen die Stadt erhobenen Schwert, die so lange Wohnstätte des Höchsten gewesen war. Von der Spitze<br />

des Ölberges, <strong>von</strong> derselben Stelle,die später <strong>von</strong> Titus und seinem Heer besetzt wurde,schaute er über das<br />

Tal auf die heiligen Höfe und Säulenhallen, und vor seinem tränenumflorten Auge tauchte eine schreckliche<br />

Vision auf: die Stadtmauern waren <strong>von</strong> einem feindlichen Heer umzingelt. Er hörte das Stampfen der sich<br />

sammelnden Horden, vernahm die Stimme der in der belagerten Stadt nach Brot schreienden Mütter und<br />

Kinder. Er sah ihren heiligen, prächtigen Tempel, die Paläste und Türme den Flammen preisgegeben, und<br />

dort, wo diese Bauwerke sich einst erhoben, schaute er nur einen rauchenden Trümmerhaufen.<br />

Den <strong>Zeit</strong>enfluß überblickend, sah er das Bundesvolk in alle Länder zerstreut wie Schiffbrüchige an<br />

einem öden Strand. In der irdischen Vergeltung, die sich anschickte, seine Kinder heimzusuchen, sah er die<br />

ersten Tropfen aus jener Zornesschale, die sie beim Gericht bis zur Neige leeren müssen. Sein göttliches<br />

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