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Zeit für Reform von E. G. White

Vor fünfhundert Jahren, eine Zeit der Reform war ausgebrochen. Die Aufmerksamkeit aller Parteien richtete sich nun auf die Versammlung der deutschen Länder, die kurz nach Karls Thronbesteigung in Worms tagte. Wichtige politische Fragen und Belange sollten auf diesem Reichstag erörtert werden; zum erstenmal sollten die deutschen Fürsten ihrem jugendlichen Monarchen auf einer Ratsversammlung begegnen. Aus allen deutschen Landen hatten sich die Würdenträger der Kirche und des Reiches eingefunden. Der weltliche Adel, gewaltig und eifersüchtig auf seine Erbrechte bedacht; Kirchenfürsten, stolz in dem Bewußtsein ihrer Überlegenheit an Rang und Macht; höfische Ritter und ihr bewaffnetes Gefolge; Gesandte aus fremden und fernen Ländern — alle versammelten sich in Worms. Und auf dieser großartigen Versammlung erregte die Sache des sächsischen Reformators die größte Aufmerksamkeit.

Vor fünfhundert Jahren, eine Zeit der Reform war ausgebrochen. Die Aufmerksamkeit aller Parteien richtete sich nun auf die Versammlung der deutschen Länder, die kurz nach Karls Thronbesteigung in Worms tagte. Wichtige politische Fragen und Belange sollten auf diesem Reichstag erörtert werden; zum erstenmal sollten die deutschen Fürsten ihrem jugendlichen Monarchen auf einer Ratsversammlung begegnen. Aus allen deutschen Landen hatten sich die Würdenträger der Kirche und des Reiches eingefunden. Der weltliche Adel, gewaltig und eifersüchtig auf seine Erbrechte bedacht; Kirchenfürsten, stolz in dem Bewußtsein ihrer Überlegenheit an Rang und Macht; höfische Ritter und ihr bewaffnetes Gefolge; Gesandte aus fremden und fernen Ländern — alle versammelten sich in Worms. Und auf dieser großartigen Versammlung erregte die Sache des sächsischen Reformators die größte Aufmerksamkeit.

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<strong>Zeit</strong> <strong>für</strong> <strong>Reform</strong><br />

aus der Stadt zu entkommen. Er fand Zuflucht in der Hütte eines Arbeiters, der ein Freund der <strong>Reform</strong>ation<br />

war; dort verkleidete er sich, indem er einen Anzug seines Gastgebers anzog und setzte mit einer Hacke auf<br />

der Schulter die Reise fort. Seine Schritte nach dem Süden lenkend, fand er wiederum eine Zuflucht, diesmal<br />

auf den Besitzungen Margaretes <strong>von</strong> Parma.<br />

Hier blieb er einige Monate, sicher unter dem Schutz mächtiger Freunde, und befaßte sich wie zuvor<br />

mit seinen Studien. Aber sein Herz war auf die Verbreitung des Evangeliums in Frankreich bedacht, er<br />

konnte nicht lange untätig bleiben. Sobald der Sturm sich etwas gelegt hatte, suchte er ein neues Arbeitsfeld<br />

in Poitiers, wo eine Universität war, und wo man die neue Auffassungen bereits günstig aufgenommen hatte.<br />

Leute aller Stände lauschten freudig dem Evangelium. Es wurde nicht öffentlich gepredigt; aber im Hause<br />

des Oberbürgermeisters, in seiner eigenen Wohnung und zuweilen in einer öffentlichen Gartenanlage<br />

erschloß Calvin die Worte des Lebens denen, die sie hören wollten. Als die Zahl seiner Zuhörer wuchs, hielt<br />

man es <strong>für</strong> sicherer, sich außerhalb der Stadt zu versammeln. Eine Höhle an der Seite einer tiefen, engen<br />

Bergschlucht, wo Bäume und überhängende Felsen die Abgeschiedenheit vervollständigten, wurde als<br />

Versammlungsort gewählt. Kleine Gruppen, die die Stadt auf verschiedenen Wegen verließen, fanden ihren<br />

Weg dorthin. An diesem abgelegenen Ort wurde die Bibel gelesen und ausgelegt. Hier wurde zum erstenmal<br />

<strong>von</strong> den Protestanten Frankreichs das heilige Abendmahl gefeiert. Diese kleine Gemeinde sandte mehrere<br />

treue Evangelisten aus.<br />

Noch einmal kehrte Calvin nach Paris zurück. Auch jetzt konnte er die Hoffnung noch nicht aufgeben,<br />

daß Frankreich als Ganzes die <strong>Reform</strong>ation annehmen werde. Aber er fand fast überall verschlossene Türen.<br />

Das Evangelium lehren, hieß den geraden Weg auf den Scheiterhaufen einschlagen, und er entschloß sich<br />

schließlich, nach Deutschland zu gehen. Kaum hatte Calvin Frankreich verlassen, brach der Sturm über die<br />

Protestanten herein, der ihn, wäre er länger dort geblieben, sicherlich mit in das allgemeine Verderben<br />

gerissen hätte. Die französischen <strong>Reform</strong>atoren, die ernstlich wünschten, daß ihr Land mit Deutschland und<br />

der Schweiz Schritt hielte, beschlossen gegen die abergläubischen Gebräuche Roms einen kühnen Streich<br />

zu führen, der die ganze Nation aufwecken sollte. Demgemäß wurden in einer Nacht in ganz Frankreich<br />

Plakate gegen die Messe angeschlagen. Statt die <strong>Reform</strong>ation zu fördern, brachte jedoch dieser eifrige aber<br />

unkluge Schritt nicht nur seinen Urhebern, sondern auch den Freunden des reformierten Glaubens in ganz<br />

Frankreich Verderben. Er lieferte den Katholiken den schon lange erwünschten<br />

Vorwand, um die gänzliche Ausrottung der Ketzer als Aufrührer, die der Sicherheit des Thrones und<br />

dem Frieden der Nation gefährlich wären, zu verlangen. Von unbekannter Hand — ob der eines unbesonnen<br />

Freundes oder eines verschlagenen Feindes stellte sich nie heraus — wurde eines der Plakate an der Tür des<br />

königlichen Privatgemaches befestigt. Der Monarch war entsetzt. In dieser Schrift wurden abergläubische<br />

Gebräuche, die jahrhundertelang bestanden hatten, schonungslos angegriffen. Die beispiellose<br />

Verwegenheit, diese ungeschminkten und erschreckenden Äußerungen vor ihn zu bringen, erregte seinen<br />

Zorn. Vor Entsetzen stand er einen Augenblick bebend und sprachlos, dann brach seine Wut mit den<br />

schrecklichen Worten los: „Man ergreife ohne Unterschied alle, die des Luthertums verdächtigt sind ... Ich<br />

will sie alle ausrotten.“ Die Würfel waren gefallen. Der König hatte entschieden, sich ganz auf die Seite<br />

Roms zu stellen.<br />

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