Magazin Mitarbeitende Solothurner Spitäler 03/17 - Wiki, wiki
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FOKUS | GASTBEITRAG<br />
Arbeiten und Aufträge gehören erledigt. Von dieser<br />
Erwartungshaltung ist der Alltag oft geprägt. So<br />
entstehen mitunter auch Stressmomente. Diese<br />
treten bekanntlich dann auf, wenn es mir unmöglich<br />
scheint, mit den vorhandenen Ressourcen wirklich<br />
ans Ziel zu kommen.<br />
Ganz anders verhält es sich mit der Langeweile.<br />
Zwei Menschen, die sich in unterschiedlichen Disziplinen<br />
damit auseinandersetzen, erläutern ihre<br />
Ansichten und Beobachtungen.<br />
M I T<br />
LANGEWEILE<br />
LEBEN UND ARBEITEN<br />
DIE PROFESSORIN DER KABARETTIST<br />
Alexandra Freund, wie umschreiben Sie die Langeweile?<br />
Wie fühlt sie sich an?<br />
Langeweile ist das Gefühl, dass das, was ich gerade tue, belanglos<br />
ist, keine Anforderung an mich stellt, dass sich die Zeit schier<br />
endlos ausdehnt und ich mich dabei beobachte, dass meine Gedanken<br />
abschweifen.<br />
Welche Wirkung hat die Langeweile auf mich, mein Denken<br />
und mein Handeln?<br />
Denken und Handeln sind dann nicht zielgerichtet. Langeweile<br />
kann – trotz (oder wegen) der Unterforderung erschöpfend wirken.<br />
Sie kann aber auch nervös machen und «hippelig», einen<br />
darauf ausrichten, dass man etwas anderes machen möchte.<br />
Welches Potenzial steckt in der Langeweile?<br />
Langeweile kann, eben weil sie nicht zielgerichtet ist und unsere<br />
Gedanken eher assoziativ schweifen lässt, einen Freiraum für<br />
neue Gedanken schaffen. In diesem Freiraum können neue Assoziationen<br />
dazu führen, dass man bekannte Dinge mit anderen<br />
Augen und aus einem neuen Blickwinkel anschaut. Oder dass<br />
man Dinge miteinander verknüpft, die sonst als unverbunden<br />
wahrgenommen werden. Dies kann zu Kreativität führen.<br />
Welches Hausmittel gibt es denn, eben doch aus diesem<br />
Zustand zu kommen?<br />
Ein Hausmittel gibt es nicht – es wird immer Situationen geben,<br />
in denen einem langweilig ist (z. B. beim Warten auf einen Bus).<br />
Aber das ist auch gar nicht schlimm. Ein Mittel aus quälender<br />
Langeweile zu kommen, ist es, sich mit etwas gedanklich zu<br />
beschäftigen, was einem Spass macht (z. B. der Planung eines<br />
besonderen Geschenks für einen Freund / eine Freundin, der Erinnerung<br />
an ein schönes Erlebnis aus der Vergangenheit) oder,<br />
was schwierig ist (z. B. der Lösung eines schwierigen Problems).<br />
Wenn das alles nicht klappt, dann sollte man sich einem wichtigen<br />
persönlichen Ziel widmen. Die Kopplung von Verhalten an<br />
persönliche Ziele schafft Sinn, und Sinn, das finden wir in unseren<br />
Studien, wirkt der Langeweile deutlich entgegen.<br />
Was versteht die Wissenschaft unter «die Zeit sinnvoll<br />
nutzen»?<br />
Es gibt meines Wissens nach keine wissenschaftliche Definition<br />
von «Zeit sinnvoll nutzen». Was persönlich sinnvoll ist, unterscheidet<br />
sich von Person zu Person und auch innerhalb von<br />
Personen über die Zeit (was mir mit 12 sinnvoll schien, muss<br />
mir mit 42 nicht unbedingt immer noch sinnvoll scheinen). Das<br />
Verfolgen persönlich wichtiger Ziele – was auch immer dies für<br />
eine Person ist (für den einen ist es die Familie, für den anderen<br />
die berufliche Karriere, und für den Dritten ein möglichst spassintensives<br />
Leben) – ist sicherlich eine sinnvolle Zeitnutzung.<br />
Dies kann jedoch immer nur von der Person selbst bestimmt<br />
werden. Übrigens ist es nicht nur eine sinnvolle Zeitnutzung,<br />
wenn man damit seinen Zielen auch tatsächlich näher kommt –<br />
Irrwege und Sackgassen können wichtige Einsichten vermitteln<br />
und das Leben durchaus bereichern.<br />
PROF. DR. PHIL. ALEXANDRA M. FREUND HAT DEN<br />
LEHRSTUHL FÜR ENTWICKLUNGSPSYCHOLOGIE:<br />
ERWACHSENENALTER AN DER UNIVERSITÄT ZÜRICH<br />
INNE. EINER IHRER FORSCHUNGSSCHWERPUNKTE<br />
IST DIE MOTIVATION ÜBER DIE LEBENSSPANNE.<br />
Jan Rutishauser, wie fühlt es sich an, Langeweile<br />
auszuhalten?<br />
Langeweile. Langeweile. Langeweile. Langeweile. Langeweile.<br />
Langeweile. Langeweile. Langeweile. Langeweile. Langeweile.<br />
So. Nur halt länger.<br />
Was erhoffen Sie sich aus langweiligen Momenten?<br />
Langeweile ist meine Kreativitätstankstelle. Um Texte zu schreiben,<br />
ziehe ich mich an meinen Schreibtisch zurück, auf dem es<br />
ausser Schreibzeugs (Laptop ohne Internetanschluss sowie Kugelschreiber<br />
und Papier) und Kaffee nichts gibt.<br />
Manchmal findet man keine Motivation oder hat keine Idee, jedoch<br />
wenn man als Kabarettist vorwärts kommen möchte, kann<br />
man nicht nur schreiben, wenn einen die Muse gerade geküsst<br />
hat. Wenn man sich nur lange genug langweilt, ist selbst die<br />
Steuererklärung eine willkommene Ablenkung. Oder halt das<br />
Verfassen von einem neuen Text. Mich aktiv zu langweilen ist auf<br />
eine gewisse Art und Weise mein Musenanlockmittel.<br />
Was passiert, wenn die erhoffte Langeweile ausbleibt?<br />
Wenn ich am Schreibtisch sitze und wirklich rein gar nichts mache,<br />
dann geschieht das nicht. Es kann immer noch sein, dass<br />
der neue Text am Ende nicht gut genug ist, aber es ist 1000 Mal<br />
einfacher etwas umzuschreiben und zu verbessern, als eine Geschichte<br />
beim allerersten Mal fixfertig aufs Papier zu setzen.<br />
Warum ist Langeweile gesellschaftlich verpönt?<br />
Langeweile wird wahrscheinlich mit Nichtstun und Unproduktivität<br />
gleichgesetzt. Was heutzutage in unserem Optimierungswahn<br />
natürlich nicht sein darf. Dabei ist für mich genau das Gegenteil<br />
der Fall: Erst in der Langweile spüre ich überhaupt wieder,<br />
was ich eigentlich will und brauche oder auch, was mich gerade<br />
beunruhigt und beschäftigt. Ohne die ständige Ablenkung<br />
von Facebook und Co. komme ich eher wieder mit mir selbst in<br />
Kontakt. Was schlussendlich auch wieder meiner Produktivität<br />
zugute kommt. Ein glücklicher und ausgeglichener Mensch lebt<br />
und arbeitet besser.<br />
Langeweile als Programm: Wie wollen Sie mit dieser<br />
Thematik unterhalten?<br />
Ich unterhalte nicht direkt mit der Langeweile selbst. Lange weile<br />
ist zu Recht ein unangenehmes Gefühl, das uns antreibt, etwas<br />
mit unserer Zeit anzustellen. Jedoch hat uns die Langeweile<br />
früher als Kinder dazu gebracht, zu spielen. Etwas zu basteln,<br />
zu malen oder uns Geschichten auszudenken. Heutzutage versandet<br />
dieser Antrieb meistens vor dem Fernseher. Um es kurz<br />
zu fassen: Langeweile führt zum Spielen, spielen zu Kreativität<br />
und diese dann, in meinem Fall, zu meinem neuen Programm<br />
«Gepflegte Langeweile». Ich zeige, hoffentlich, nicht die Langeweile<br />
auf der Bühne, sondern das, was ich daraus gemacht habe.<br />
DER KABARETTIST JAN RUTISHAUSER BRACHTE<br />
DIESEN SOMMER SEIN ZWEITES, ABENDFÜLLENDES<br />
PROGRAMM AUF DIE BÜHNE. IN «GEPFLEGTE<br />
LANGEWEILE» GEHT ER DIVERSEN FRAGESTELLUN<br />
GEN TIEFGRÜNDIG ODER AUCH OBERFLÄCHLICH,<br />
AUF JEDEN FALL ABER HUMORVOLL NACH.<br />
ZU SEHEN AM 28. OKTOBER 20<strong>17</strong> UM 20.00 UHR<br />
IM KELLERTHEATER WANGEN A. A.<br />
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