22.09.2017 Aufrufe

Courage, Mumm, Schneid

Credit Suisse bulletin, 1998/04

Credit Suisse bulletin, 1998/04

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Schwerpunkt<br />

10<br />

« meist ruft gleich der<br />

anwalt an»<br />

mit scharfBlick erkennt der<br />

Kabarettist Lorenz Keiser die übel<br />

der zeit und scheut sich nicht,<br />

mit dem finger draufzuzeigen.<br />

Wer sein Gesicht nicht kennt, käme wohl<br />

nie auf die Idee, dass dieser struwwelpetrige,<br />

unscheinbare Fast-Vierziger sich mit<br />

den ganz Grossen dieses Landes anlegt.<br />

Doch wenn er dann so da sitzt und beim<br />

Nachmittagskaffee in seiner spitzbübischen<br />

Art allerlei Schwänke aus seinem<br />

Kabarettistenalltag auftischt, kann man es<br />

sich schon denken: Mancher verbale Schabernack,<br />

den er vorzugsweise mit Exponenten<br />

der hiesigen Wirtschafts- und Politszene<br />

und allzu devoten Kirchendienern treibt, ist<br />

den Geschmähten schon in den falschen<br />

Hals geraten. Die Rede ist von Lorenz, dem<br />

Keiser im Schweizer Kabarettistenadel.<br />

Den Unmut, welchen seine bissige<br />

Satire weckt, hat Lorenz Keiser schon oft<br />

zu spüren bekommen: «Meist ruft gleich<br />

der Anwalt an», erzählt er und zieht genüsslich<br />

an seiner Zigarette. Oder es hagelt<br />

böse Briefe. Immer wieder versuchten die<br />

Verunglimpften, ihn mit mehr oder weniger<br />

lautem Säbelgerassel Mores zu lehren: Eine<br />

Satire-Sendung wurde eine Stunde vor Ausstrahlung<br />

am Fernsehen auf Androhung<br />

einer Wirtschaftsgrösse abgesetzt, gegen<br />

einen weiteren Keiser-Beitrag wurde bei<br />

der TV-Beschwerdeinstanz UBI Protest<br />

ein gelegt, und mit seinem Kabarettstück<br />

«Der Erreger» trat Keiser 1992 gar eine<br />

Rechtsstreit-Lawine los. «Im Gegensatz<br />

zum Theater, wo die Leute die Geisselung<br />

von Missständen hören wollen, reicht im<br />

Fernsehen schon eine geringe Dosis Satire,<br />

und ich werde fast gelyncht», witzelt er.<br />

Seine Meinung öffentlich kundzutun, das<br />

habe bei ihm nichts mit Mut zu tun. Dass<br />

es manchmal heftige Reaktionen auf seine<br />

Arbeit gibt, liegt wohl in der Natur der<br />

Sache; schliesslich macht Keiser nichts<br />

anderes, als Tabus und Konventionen zu<br />

brechen. «Es ist mir klar, dass ich polarisiere,<br />

wenn ich jemanden durch den Kakao<br />

ziehe. Aber das Kabarett muss angriffig,<br />

polemisch und zuweilen ein bisschen verrückt<br />

sein; es ist meine Waffe gegen Stärkere,<br />

deren Tun für mich nicht über jeden<br />

Zweifel erhaben ist.» Die Drohgebärden als<br />

Antwort auf Keisers verbale Attacken haben<br />

ihn nie beirrt. Niemandem ist es bis heute<br />

gelungen, ihn das Fürchten zu lehren oder<br />

ihm gar einen Maulkorb zu verpassen.<br />

«Eine richtige Mutprobe war die Entscheidung,<br />

als Freischaffender von meiner<br />

Kreativität zu leben», erzählt er. Wenn Mut<br />

als Gegenteil von Ängstlichkeit verstanden<br />

werde, dann sei er schon ein mutiger<br />

Mensch. «Aber bewusst wird mir das nur,<br />

wenn die Leute mich fragen: ‹Wie hältst<br />

Du das nur aus, so ganz ohne Pensionskasse<br />

?›»<br />

Auch die Premieren verlangen Lorenz<br />

Keiser einiges an Mut ab. «Das mit dem<br />

Lampenfieber ist eine Leidensgeschichte.»<br />

Schon Stunden vor dem Auftritt ziehe<br />

sich sein Magen auf ein winziges Etwas<br />

zusammen. «Die Vorstellung, ich könnte<br />

den Faden verlieren, ist einfach grauenhaft!<br />

Aber dann der Applaus – das Grösste!»<br />

Und der ist ihm sicher. Auch mit seinem<br />

letzten Soloprogramm «Aquaplaning<br />

– eine Spritzfahrt durch die Pfützen des<br />

freien Markts» hat der mit allen Wassern<br />

gewaschene Dramaturg sein Publikum<br />

nicht im Regen stehenlassen.<br />

CREDIT SUISSE BULLETIN 4 |98

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!