Ohne Taktstock, dafür mit subtilen Bewegungen führt Juri Temirkanow das Orchester genau dahin, wo er es haben möchte.
SPONSORING Von Klangmagiern, Saitenzauberern und der russischen Seele «Es gibt Orchester, die einen erfreuen, es gibt Orchester, die einen hinreissen und es gibt diejenigen, die einen komplett umhauen. Die St. Petersburger Philharmoniker gehören in die dritte Kategorie», schreibt die schottische Zeitung «The Herald» begeistert. Auf Einladung der Credit Suisse Private Banking gastieren das Orchester und sein Dirigent Juri Temirkanow in der Schweiz. Jacqueline Perregaux, Redaktion Bulletin Foto: Marc Vanappelghem Fragt man Juri Temirkanow, der die St. Petersburger Philharmoniker seit 1988 leitet, nach dem Unterschied zwischen seinem und einem westlichen Orchester, spricht er etwas Überraschendes an: Die St. Petersburger können sich finanziell nur dank Auslandtourneen über Wasser halten. Ist etwa eines der weltbesten Orchester auf Almosen angewiesen? Seit seiner Gründung 1882 war das Orchester äusserst privilegiert – bis zum Ende des kommunistischen Systems. Die Konditionen für die Musiker waren derart gut – Ministerlöhne und vom Staat bezahlte Wohnungen waren Standard –, dass alle in St. Petersburg spielen wollten. «Wenn wir ein Vorspiel ausschrieben, bewarben sich die besten Musiker aus sämtlichen Sowjetrepubliken bei uns. Heute stammen unsere Musiker aus einem einzigen Konservatorium», fasst Temirkanow die Situation zusammen. Kein Wunder, war es unter diesen Umständen schwierig, das hohe Niveau des Orchesters zu halten. Dass dies aber gelungen ist, daran zweifelt niemand, der die St. Petersburger im Konzert erlebt hat. Wohl nicht ohne Grund werden sie regelmässig zu Tourneen nach Europa, in die USA und nach Asien eingeladen. Mitte Oktober etwa gastieren sie auf Einladung der Credit Suisse Private Banking in der Schweiz (siehe Kästchen Seite 78). Von seinen Musikern verlangt Temirkanow ein grosses Engagement: «Wenn jemand nur um Geld zu verdienen in unserem Beruf arbeitet, ist das so, als ob ein Pfarrer nur für Geld predigt, aber nicht an das glaubt, was er predigt.» Mögen die Bedingungen für die St. Petersburger auch schwieriger geworden sein, eines ist gewiss: Ihre Stadt gehört immer noch zu den blühendsten «Für mich existiert die Trennung zwischen alter und neuer Musik nicht. Musik muss mich einfach bewegen.» Juri Temirkanow Kulturstätten der Welt. Die «weissen Nächte» im Juni sind weltberühmt, und die barocken Bauten ziehen Besucher aus aller Welt in ihren Bann. Musik hatte in der 1703 gegründeten Stadt schon früh einen hohen Stellenwert. So schloss sich 18<strong>02</strong> eine Gruppe von musikbegeisterten Aristokraten in St. Petersburg zu Europas erster philharmonischer Gesellschaft zusammen. Noch heute können die St. Petersburger Philharmoniker auf diese Tradition bauen, stammen doch ihre beiden akustisch hervorragenden Säle aus den Anfangsjahren des 19. Jahrhunderts. Namhafte Dirigenten und Musiker sind dort mit dem Orchester aufgetreten, zahlreiche Werke wurden dort uraufgeführt. Das Erbe Mrawinskijs ist noch spürbar Der Komponist, der dem Orchester am nächsten steht, ist Schostakowitsch: Als enger Freund des legendären Jewgenij Mrawinskij, der die St. Petersburger von 1938 bis zu seinem Tod 1988 leitete, erlebte Schostakowitsch zahlreiche Uraufführungen seiner Kompositionen durch das Orchester. Der Einfluss beider, Mrawinskijs und Schostakowitschs, auf die Musiker und ihr Musizieren war riesig und ist noch heute spürbar; einige von ihnen waren bereits damals Orchestermitglieder. Dass die russische Musik einen Grossteil des Repertoires ausmacht, besonders auf Tourneen, versteht sich fast von selbst. Dabei verharren die St. Petersburger jedoch keineswegs in der Vergangenheit; für Experimente und Neuerungen sind sie offen. Angesprochen auf sein Verhältnis zu moderner Musik meint Temirkanow: «Für mich existiert dieses Konzept der Trennung zwischen alter und neuer Musik nicht. Musik muss mich bewegen, das gilt für klassische genauso wie für moderne Werke.» Welche Anforderungen muss ein Stück also erfüllen, damit Temirkanow es dirigiert? «Es soll nicht konstruiert wirken. Ich kenne viele Dirigenten, die fast alles dirigieren können. Wenn ich jedoch ein Stück nicht Credit Suisse Bulletin 4-<strong>02</strong> 77