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LEADERS<br />
«Versöhnung ist erst möglich, wenn<br />
die Justiz gehandelt hat»<br />
Chefanklägerin Carla Del Ponte fordert am Kriegsverbrechertribunal in Den Haag Gerechtigkeit<br />
für die Opfer des Milosevic-Regimes. Ihr Name steht weltweit für Integrität, Hartnäckigkeit und einen<br />
unerschütterlichen Glauben an die Gerechtigkeit. Interview: Daniel Huber, Redaktion Bulletin<br />
Daniel Huber Sie sind weit hinten im Maggiatal<br />
aufgewachsen. Vermissen Sie hier in<br />
Holland nicht die Berge?<br />
Carla Del Ponte Nein, eigentlich nicht. Ich<br />
habe auch nicht viel Zeit, um hinauszugehen<br />
und die Landschaft zu betrachten.<br />
Was ich hier von meinem Bürofenster aus<br />
sehe, gefällt mir recht gut. Besonders<br />
wenn das Stück Himmel wie heute blau ist.<br />
Fühlen Sie sich als Schweizerin? Aber<br />
sicher. Ich verfolge, so oft ich kann, was<br />
in der Schweiz passiert. Ich bin aber eine<br />
Schweizerin im Ausland, und das prägt.<br />
Man sieht die Schweiz ein bisschen anders.<br />
Positiver? Teilweise schon, aber nicht in<br />
allen Dingen.<br />
Im Jugoslawien-Konflikt war ein ausgeprägter<br />
Nationalismus die Triebfeder für viele<br />
Gräueltaten. Wie nah beisammen sind für<br />
Sie Patriotismus und Nationalismus? Für<br />
mich ist Patriotismus nicht gefährlich. Eine<br />
gesunde Portion erachte ich als positiv.<br />
Der Nationalismus, den wir hier in Den Haag<br />
erfahren, ist etwas völlig anderes und<br />
meiner Meinung nach auch eine Ausnahme.<br />
Inwiefern lassen sich die tiefen Wunden,<br />
die der Krieg in Ex-Jugoslawien hinterlassen<br />
hat, überhaupt heilen? Ich gehe oft in diese<br />
Region und habe Kontakte mit den Behörden,<br />
aber auch den Opfern. Ich spreche<br />
mit Frauen, die ihre Männer und Söhne verloren<br />
haben. Das Leid dieser Menschen ist<br />
selbst nach zehn Jahren noch immer sehr<br />
gross. Das macht eine Versöhnung schwierig.<br />
Von aussen lässt es sich leicht von<br />
Verzeihung und Zusammenleben sprechen,<br />
aber für die Betroffenen ist das schwierig.<br />
Vor allem wenn die Täter noch nicht<br />
abgeurteilt sind. Viele laufen sogar noch<br />
frei herum. Deshalb drängen wir auch<br />
die nationalen Behörden immer wieder, die<br />
Strafverfahren möglichst schnell zu eröffnen.<br />
Versöhnung ist erst möglich, wenn die<br />
Justiz gehandelt hat.<br />
Lassen sich solche Verbrechen, wie sie in<br />
Ex-Jugoslawien geschehen sind, überhaupt<br />
sühnen? Lässt sich ein Massenmord mit<br />
einer bestimmten Anzahl Jahren Gefängnis<br />
aufwiegen? Es ist nicht in erster Linie<br />
wichtig, wie viele Jahre die Angeschuldigten<br />
ins Gefängnis müssen. Entscheidend ist,<br />
dass diese Verbrecher zur Verantwortung<br />
gezogen werden. Auch ist es für die Bevölkerung<br />
wichtig, dass die Wahrheit an den<br />
Tag kommt. In Jugoslawien gab es zehn<br />
Jahre lang keine unabhängige Berichterstattung.<br />
Jemand muss die Leute über diese<br />
schrecklichen Dinge aufklären, damit sie<br />
sich einer gewissen Schuld bewusst werden.<br />
Erst dann ist eine Versöhnung möglich.<br />
Während des Konflikts war Milosevic lange<br />
ein akzeptierter Gesprächspartner. Erst als<br />
er am Boden war, wurde er zur Verantwortung<br />
gezogen. Ist Ihr Gericht ein Tribunal für<br />
Verlierer? Das ist eine sehr starke Vereinfachung.<br />
Es stimmt, dass sich die internationale<br />
Gemeinschaft mit Milosevic lange an<br />
den Verhandlungstisch gesetzt hat. Soviel<br />
wir wissen, hat sich das aber schlagartig<br />
geändert, als die Gräueltaten bekannt<br />
wurden. Auch fanden die Gespräche von<br />
Dayton auf einer politischen Ebene statt,<br />
und dort war man sozusagen gezwungen,<br />
mit Milosevic zu verhandeln. Er war als<br />
institutioneller Präsident der Mann, der die<br />
Dinge stoppen konnte.<br />
Damit ein Rechtssystem funktionieren kann,<br />
braucht es ein ausführendes Organ. Wer<br />
ist Ihre Polizei? Wir haben ein paar eigene<br />
Polizisten, die hier am Tribunal arbeiten.<br />
Für Zwangsmassnahmen wie Durchsuchungen<br />
und Verhaftungen bin ich aber auf<br />
die örtlichen Polizeikräfte oder die KFOR-<br />
Truppen angewiesen.<br />
Henry Dunant war darüber frustriert, dass<br />
sein Lebenswerk, das Internationale Rote<br />
Kreuz, zwar viel Leid lindert, aber nur wenig<br />
dazu beitragen kann, dass es gar nicht erst<br />
entsteht. Kennen Sie dieses Gefühl? Obwohl<br />
es in der heutigen Zeit gar nicht danach<br />
aussieht, hoffen wir natürlich auf und glauben<br />
an eine präventive Wirkung. So nennt<br />
der Beschluss des Sicherheitsrates für die<br />
Schaffung des Tribunals die Prävention<br />
explizit als Ziel. Das ist aber ein Effekt, der<br />
erst in ein paar Jahren Wirkung zeigen<br />
kann. Gerade deshalb ist es auch wichtig,<br />
dass wir den permanenten Gerichtshof<br />
haben, dessen Zuständigkeit nicht wie bei<br />
uns auf die Regionen Ex-Jugoslawien<br />
und Ruanda begrenzt ist.<br />
Wie wichtig sind die USA für Ihre Arbeit?<br />
Wenn es darum geht, Druck auszuüben,<br />
sind die USA für uns sehr wichtig. So<br />
knüpften die USA ihre finanzielle Unterstützung<br />
für Jugoslawien an klare Bedingungen.<br />
Eine davon war die Kooperation mit<br />
dem Tribunal, die letztendlich zur Auslieferung<br />
von Milosevic führte. Dagegen schafft<br />
es Europa nicht, entschlossen als Einheit<br />
aufzutreten. Es gibt immer ein Land, dem<br />
die Massnahmen zu weit gehen. Daneben<br />
sind die USA auch personell wichtig. Wir<br />
können aus einem riesigen Reservoir an<br />
juristisch qualifizierten Leuten schöpfen.<br />
Sie verbringen viel Zeit an Schauplätzen<br />
ehemaliger Gräueltaten, sprechen mit Opfern.<br />
Wie verarbeiten Sie diese Bilder und<br />
Erlebnisse? Wissen Sie, ich bin nun schon<br />
mehr als zwanzig Jahre Staatsanwältin.<br />
Das härtet ab und das ist gut so. Wer nicht<br />
gut schläft, kann auch nicht mehr gut<br />
arbeiten. Leichen sind zwar grausam, aber<br />
Foto: © Jacques Langerin/Corbis Sigma<br />
80 Credit Suisse Bulletin 4-<strong>02</strong>