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Freiheitsentziehende Maßnahmen in der Jugendhilfe - AWO ...

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<strong>Freiheitsentziehende</strong> Maßnahmen ... aus Sicht <strong>der</strong> Pädagogik<br />

Historische E<strong>in</strong>ordnung <strong>der</strong><br />

aktuellen Diskussion<br />

Erwünscht war nun e<strong>in</strong>e kurze historische E<strong>in</strong>ordnung<br />

<strong>der</strong> aktuellen Diskussion um freiheitsentziehende<br />

Maßnahmen. Was unterscheidet also<br />

die aktuelle Diskussion von <strong>der</strong> <strong>in</strong> den 70er Jahren?<br />

Die Antwort lautet, so banal wie gleichwohl<br />

wahr: Schuld s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>mal mehr die sog. 68er –<br />

warum? Ende <strong>der</strong> 60er Jahre war <strong>Jugendhilfe</strong><br />

ganz wesentlich – und das muss man immer <strong>in</strong><br />

Er<strong>in</strong>nerung br<strong>in</strong>gen – konzentriert auf Heimerziehung,<br />

die ihrerseits aber im Grunde und <strong>der</strong><br />

Sache nach wesentlich geschlossene Unterbr<strong>in</strong>gung<br />

war. Es gab ganz wenige Ausnahmen, familienähnliche<br />

E<strong>in</strong>richtungen, beispielsweise von<br />

SOS, aber das waren schon wirklich rare Pflanzen.<br />

Ich will über die Gründe für den geschlossenen<br />

Charakter gar nicht reden, aber wir müssen uns<br />

darüber im Klaren se<strong>in</strong>, im Grunde war das<br />

Unternehmen (die Heimerziehung) repressiv und<br />

methodisch e<strong>in</strong>geschränkt. Das hat sich erst <strong>in</strong><br />

den Entwicklungen <strong>der</strong> ausgehenden 60ern und<br />

beg<strong>in</strong>nenden 70ern geän<strong>der</strong>t, die eben mit dem<br />

Schlagwort „68“ identifiziert werden.<br />

Ganz knapp formuliert: Das alte System <strong>der</strong><br />

Jugendfürsorge hatte ganz wenig, eigentlich gar<br />

nichts mit Pädagogik zu tun, son<strong>der</strong>n war<br />

schlicht und ergreifend e<strong>in</strong> Diszipl<strong>in</strong>ierungsmechanismus.<br />

Gegenüber diesem Diszipl<strong>in</strong>ierungsmechanismus<br />

gibt es aber gar ke<strong>in</strong>e Alternative<br />

als die For<strong>der</strong>ung nach „Freiheit“, um überhaupt<br />

erst pädagogisch handeln zu können. Und je<strong>der</strong>,<br />

<strong>der</strong> versucht, das Rad dorth<strong>in</strong> wie<strong>der</strong> zurück zu<br />

drehen, muss entschiedenen politischen und<br />

auch pädagogischen Wi<strong>der</strong>stand erzeugen. Aber<br />

das Paradox <strong>der</strong> Entwicklung bestand dar<strong>in</strong>, dass<br />

mit diesem notwendigen juristischen, politischen<br />

Argument e<strong>in</strong> Stück weit das Fachverständnis<br />

verstellt worden ist, also <strong>der</strong> Blick darauf,<br />

was eigentlich im Kontext pädagogischen<br />

Handelns unabd<strong>in</strong>gbar ist. Wir haben uns, und<br />

das macht e<strong>in</strong> wenig die durchgehende These<br />

me<strong>in</strong>es Vortrags aus, e<strong>in</strong>en „Kategorienfehler“<br />

e<strong>in</strong>gehandelt, weil wir nämlich im Blick auf pädagogische<br />

Verhältnisse immer – und zunächst<br />

mal notwendigerweise – politisch argumentieren,<br />

vielleicht auch ethisch argumentieren, aber<br />

nicht sehen, was <strong>in</strong> pädagogischer H<strong>in</strong>sicht passieren<br />

kann. Das ist e<strong>in</strong> ganz schwieriges Gebiet,<br />

14<br />

aber wir gehen sozusagen immer <strong>in</strong> die falsche<br />

Richtung, weil wir das aus dieser historischen<br />

Erfahrung heraus e<strong>in</strong>fach auch tun müssen.<br />

Aber, um nicht missverstanden zu werden:<br />

selbstverständlich ist im pädagogischen Kontext<br />

Freiheit als systematische und normative Kategorie<br />

pr<strong>in</strong>zipiell immer voraus zusetzen. Es ist<br />

jedoch schlicht von <strong>der</strong> Sache her falsch, wenn<br />

man Pädagogik etwa von Diszipl<strong>in</strong> her zu denken,<br />

zu praktizieren versucht, wie das etwa vor<br />

e<strong>in</strong>em Jahr <strong>in</strong> dem unsäglichen Buch von Herrn<br />

Bueb gefor<strong>der</strong>t worden ist. Interessant ist <strong>in</strong> diesem<br />

Zusammenhang übrigens und hier kommt<br />

jetzt <strong>der</strong> Allgeme<strong>in</strong>pädagoge zu Wort, dass sich<br />

Bueb auf Kant bezieht – ohne diesen allerd<strong>in</strong>gs<br />

überhaupt zu verstehen. Kant hat nämlich <strong>in</strong><br />

se<strong>in</strong>er Pädagogik geschrieben, dass das entscheidende<br />

Problem aller Erziehung <strong>in</strong> dem Satz<br />

zu fassen sei: „Wie kultiviere ich die Freiheit bei<br />

dem Zwange?“ Die Po<strong>in</strong>te dieses Satzes besteht<br />

dar<strong>in</strong>, dass Kant uns darüber belehrt, dass man<br />

die Freiheit hat, die pädagogische Aufgabe aber<br />

genau dar<strong>in</strong> liegt, uns klar zu machen, wie wir<br />

ordentlich mit Freiheit umgehen können, allzumal<br />

dann, wenn, gesellschaftlich und kulturell,<br />

Zwangsverhältnisse geradezu notorisch s<strong>in</strong>d.<br />

Also, was heißt das? Pädagogisches Handeln ist<br />

im Grundsatz mit dem Entzug von Freiheit nicht<br />

vere<strong>in</strong>bar.<br />

1. Der e<strong>in</strong>e Grund dafür liegt dar<strong>in</strong>, dass wir,<br />

zum Glück allemal <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er liberalen Gesellschaft,<br />

e<strong>in</strong>en ethischen Vorbehalt gegen den<br />

Entzug von Freiheit haben, die ihrerseits<br />

Grundlage unserer rechtlichen und politischen<br />

Verständnisse geworden ist. Nur dort, wo wir<br />

es mit Straftatbeständen zu tun haben, über<br />

welche aber justiziell entschieden wird, kann<br />

e<strong>in</strong> Freiheitsentzug gebilligt werden – und<br />

selbst hier bedarf es ja e<strong>in</strong>er mühsamen<br />

Güterabwägung. Zugleich ist dieser Vorbehalt<br />

<strong>der</strong> Freiheit gegenüber jeglichem staatlichen<br />

Handeln zu machen, das, mit welcher Begründung<br />

auch immer, <strong>in</strong> die Persönlichkeitsrechte<br />

e<strong>in</strong>es Menschen e<strong>in</strong>greift. Hier ist zu<br />

prüfen, ob und wie weit <strong>der</strong> Staat überhaupt<br />

korrekt handelt, und das ist etwa auch das<br />

Thema <strong>der</strong> Untersuchung zu „<strong>Freiheitsentziehende</strong>n<br />

Maßnahmen“, die beispielsweise das<br />

Deutsche Jugend<strong>in</strong>stitut durchgeführt hat.

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