Freiheitsentziehende Maßnahmen in der Jugendhilfe - AWO ...
Freiheitsentziehende Maßnahmen in der Jugendhilfe - AWO ...
Freiheitsentziehende Maßnahmen in der Jugendhilfe - AWO ...
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Bug bekommen, se<strong>in</strong>e Lehre daraus gezogen,<br />
und alle weiteren Straftaten wären gar nicht<br />
vorgekommen.<br />
Das, me<strong>in</strong>e Damen und Herren, ist allerd<strong>in</strong>gs<br />
Wunschdenken. Denn zum e<strong>in</strong>en gibt es nach<br />
wie vor ke<strong>in</strong>e zuverlässige Prognostik, mit <strong>der</strong><br />
e<strong>in</strong>deutig erkannt werden könnte, wer se<strong>in</strong>e<br />
del<strong>in</strong>quente Karriere (auch dies e<strong>in</strong> eher fragwürdiger<br />
Begriff) fortsetzen wird, gar e<strong>in</strong> sog.<br />
persistenter Krim<strong>in</strong>eller werden wird bzw. bereits<br />
ist. Im Gegenteil: die krim<strong>in</strong>ologische<br />
Lebenslängsschnittforschung hat uns <strong>in</strong> den<br />
letzten Jahren deutlich vor Augen geführt, dass<br />
die früheren Kategorisierungen <strong>in</strong> life-time-persisters<br />
und adolescens-limited-offen<strong>der</strong>s, also <strong>in</strong><br />
die lebenslangen Intensivtäter und die ubiquitären<br />
Jugendstraftäter so nicht mehr tragen:<br />
auch <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Mehrfachtäter s<strong>in</strong>d Wandel,<br />
<strong>der</strong> Ausstieg eher die Regel, als die Fortsetzung<br />
über mehrere Lebensabschnitte. Und sie zeigt,<br />
dass aktuelle B<strong>in</strong>dungen und Lebensumstände<br />
wichtigere Faktoren für die Beendigung e<strong>in</strong>er<br />
del<strong>in</strong>quenten Phase s<strong>in</strong>d als typische Risikofaktoren<br />
<strong>der</strong> K<strong>in</strong>dheit wie ADHS o<strong>der</strong> familiäre<br />
Gewalterlebnisse. Diese Lebensumstände, die<br />
aktuelle E<strong>in</strong>b<strong>in</strong>dung <strong>in</strong> die Systeme <strong>der</strong> <strong>in</strong>formellen<br />
Sozialkontrolle, werden aber durch justizielle<br />
E<strong>in</strong>griffe (und durch Angebote <strong>der</strong> <strong>Jugendhilfe</strong><br />
und an<strong>der</strong>er Hilfesysteme) bee<strong>in</strong>flusst, zum<br />
Teil gravierend verän<strong>der</strong>t. Auf <strong>der</strong> Hand liegt,<br />
dass freiheitsentziehende Sanktionen eher Des<strong>in</strong>tegration<br />
als soziale Integration för<strong>der</strong>n.<br />
Im übrigen hat sich auch bislang nichts an den<br />
Erkenntnissen verän<strong>der</strong>t, dass e<strong>in</strong> rigides justizielles<br />
E<strong>in</strong>greifen, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e durch freiheitsentziehende<br />
Sanktionen, eher dazu beiträgt, die<br />
Rückfälligkeit zu erhöhen als zu reduzieren.<br />
Tendenziell verlängert es eher e<strong>in</strong>e del<strong>in</strong>quente<br />
Karriere, als dass es zu ihrer Beendigung beiträgt.<br />
Jugendrichter s<strong>in</strong>d daher oft <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er schweren<br />
und paradoxen Situation, weil sie zwischen<br />
Alternativen h<strong>in</strong>- und hergerissen s<strong>in</strong>d und weil<br />
ihnen die krim<strong>in</strong>ologische Forschung mit ihren<br />
allgeme<strong>in</strong>en Ergebnissen nicht unmittelbar<br />
etwas für die Entscheidung des E<strong>in</strong>zelfalls an die<br />
Hand geben kann. Sie müssen ihren Fall entscheiden,<br />
und das ist immer schwierig, weil man<br />
<strong>Freiheitsentziehende</strong> Maßnahmen ... aus Sicht <strong>der</strong> Justiz<br />
nicht <strong>in</strong> die Zukunft blicken kann und nicht<br />
weiß, ob und wie lange sich e<strong>in</strong>e del<strong>in</strong>quente<br />
Phase fortsetzt. In <strong>der</strong> Tendenz glaube ich aber<br />
schon, dass es nach wie vor richtig ist zu sagen,<br />
wir versuchen so lange wie es irgendwie möglich<br />
ist, dass wir Freiheitsentzug durch Untersuchungshaft<br />
o<strong>der</strong> durch Jugendstrafe vermeiden.<br />
Dafür s<strong>in</strong>d aber auch die entsprechende Angebote<br />
und das Engagement erfor<strong>der</strong>lich.<br />
Das führt praktisch direkt schon zu <strong>der</strong> dritten<br />
Frage:<br />
3. Brauchen wir mehr freiheitsentziehende<br />
Maßnahmen aus Sicht des Jugendstrafrechts?<br />
Ich glaube, e<strong>in</strong>s kann man ganz sicher sagen:<br />
Wir brauchen jedenfalls ke<strong>in</strong>e neuen E<strong>in</strong>griffstatbestände<br />
für freiheitsentziehende Maßnahmen.<br />
Wir brauchen ganz sicher auch ke<strong>in</strong>e herabgesenkten<br />
E<strong>in</strong>griffsschwellen, beispielsweise<br />
bei <strong>der</strong> geschlossenen Unterbr<strong>in</strong>gung im Kontext<br />
des familiengerichtlichen Verfahrens.<br />
Ich glaube, was wir stattdessen brauchten, wäre<br />
e<strong>in</strong> großer Ausbau <strong>der</strong> Untersuchungshaftvermeidung.<br />
Ich b<strong>in</strong> <strong>der</strong> Me<strong>in</strong>ung, dass die Untersuchungshaft<br />
bei Jugendlichen viel zu großzügig<br />
angewendet wird, und die Versuche des Gesetzgebers<br />
des 1.JGG-Än<strong>der</strong>ungsgesetzes von 1990,<br />
die Anwendung <strong>der</strong> Untersuchungshaft im Jugendstrafrecht<br />
weiter e<strong>in</strong>zugrenzen, haben nur<br />
sehr begrenzte Früchte getragen. Das liegt sicher<br />
zum e<strong>in</strong>en daran, dass es <strong>in</strong>sgesamt nur wenige<br />
Angebote hierfür gibt. Es liegt aber auch daran,<br />
dass die Justiz nur verhalten von den Möglichkeiten<br />
Gebrauch macht. Hier besteht vielleicht<br />
auch e<strong>in</strong> Vermittlungsproblem: die Angebote<br />
müssen noch besser bekannt gemacht und<br />
erklärt werden. Sie wirken schließlich durch die<br />
Akzeptanz <strong>der</strong> Gerichte.<br />
Ob diese Angebote freiheitsentziehend ausgerichtet<br />
s<strong>in</strong>d o<strong>der</strong> nicht, liegt <strong>in</strong> <strong>der</strong> Verantwortung<br />
<strong>der</strong> <strong>Jugendhilfe</strong>. Die Justiz will häufig die<br />
Gewährleistung, dass ihre Jungen und Mädchen,<br />
für die sie nun auch e<strong>in</strong> Stück Verantwortung<br />
hat, sicher untergebracht s<strong>in</strong>d und dass sie nicht<br />
wie<strong>der</strong> Ärger machen. Sie soll Untersuchungshaft<br />
vermeiden, und wahrsche<strong>in</strong>lich ist auch e<strong>in</strong><br />
geschlossenes Jugendheim immer noch besser<br />
39